VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 20.09.2021 - 4 K 2500/19 - asyl.net: M30433
https://www.asyl.net/rsdb/m30433
Leitsatz:

Einbürgerung einer Kurdin aus der Türkei:

Weder die Aktivitäten der Klägerin in den sozialen Medien und die Teilnahme an einer kurdischen Großdemonstration noch ihr Interview in einer kurdischen Zeitung stellen vorliegend relevante Unterstützungshandlungen der PKK dar, die nach § 11 StAG einer Einbürgerung entgegenstehen könnten.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Einbürgerung, PKK, Unterstützung, terroristische Vereinigung, Facebook, Ausschlussgrund, Türkei, Kurden,
Normen: StAG § 11 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

b) In Anwendung dieser Maßstäbe ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass die Klägerin im Hinblick auf die PKK tatbestandsmäßige Unterstützungshandlungen vornimmt oder vorgenommen hat. Die seitens der Beklagten vorgebrachten und durch das Landesamt für Verfassungsschutz übermittelten Erkenntnisse tragen weder in einzelner Betrachtung noch in einer Gesamtschau einen entsprechenden Verdacht gegen die Klägerin.

aa) Zunächst ist im Hinblick auf die in Rede stehenden Aktivitäten des der Klägerin zuzurechnenden Facebook-Accounts festzustellen, dass diese als Tatsachengrundlage im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG schon nicht geeignet erscheinen. So hat die Kammer zwar keine Zweifel daran, dass die Klägerin die insoweit angeführten "Gefällt mir"-Angaben tatsächlich selbst vorgenommen hat, was sie im Rahmen der sicherheitsrechtlichen Befragung durch das Migrationsamt auch selbst eingeräumt hat (vgl. die dokumentierte Beantwortung der Fragen Nr. 36 und 38). Gleichwohl können diese Feststellungen hier nicht den Verdacht einer einbürgerungsschädlichen Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG begründen. Angesichts der Bedeutung und des rechtstatsächlichen Umgangs mit sozialen Medien erscheint es schon grundsätzlich zweifelhaft, ob das reine Markieren einer Facebook-Seite mit einer "Gefällt mir"-Angabe sich nach Art, Gewicht und Undifferenziertheit eines solchen Verhaltens überhaupt dazu eignet, eine vom Willen des sich Äußernden getragene Unterstützungshandlung zu begründen. Vorliegend ist jedoch insbesondere zu berücksichtigen, dass weder die hier von der Klägerin mit einer "Gefällt mir"-Angabe markierten Regionalverbände der kurdischen Studierendenorganisation YXK/JXK noch der Sportverein … selbst als Nachfolge- oder Unterorganisationen der PKK verboten sind. Verboten sind seit dem 2. März 2017 lediglich Kennzeichen und Symbole der YXK/JXK und dies auch nicht schlechthin, sondern nur insoweit, als dass sich die PKK ihrer ersatzweise bedient (vgl. BT-Drs. 18/12025, S. 7). So wird die YXK/JXK in Berichten der Landesämter und des Bundesamtes für Verfassungsschutz zwar als eine der PKK nahestehende "Massenorganisation" bezeichnet, deren Bedeutung auch der in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeuge verdeutlichte. Hieraus folgt jedoch nicht, dass eine etwaige Unterstützung der YXK/JXK zugleich und ohne Weiteres als Unterstützung der verbotenen PKK in ihren inkriminierten Bestrebungen zu bewerten wäre. Insoweit hat auch der Zeuge in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass die genannten Organisationen auch rein kulturelle Veranstaltungen und soziale Angebote durchführen. Dass die PKK solche Veranstaltungen dann zur Gewinnung von Nachwuchs für ihre inkriminierten Ziele nutzt, vermag vor dem Hintergrund der gemischten Zwecksetzung nicht davon zu überzeugen, dass eine pauschale "Gefällt mir''-Angabe für die genannten Organisationen eine Unterstützungshandlung in Bezug auf die inkriminierten Ziele der PKK begründen könnte. Die Beklagte hat auch nicht dargelegt, dass die Klägerin einzelne Inhalte der genannten Organisationen, die tatsächlich als Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu qualifizieren wären und insoweit denjenigen der PKK entsprächen, über ihren Facebook-Account mit Zustimmung versehen oder weiterverbreitet hätte. Jedenfalls ist das alleinige und grundsätzlich passive Abonnieren bzw. mit einer "Gefällt mir"-Angabe Versehen der Facebook-Seite einer nicht verbotenen Organisation nicht als tatsächlicher Anhaltspunkt im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu werten, da es insoweit erkennbar an einem hinreichend konkreten Bezug zu den inkriminierten Bestrebungen der PKK fehlt. Dies gilt gleichermaßen für die "Gefällt mir"-Angabe der Klägerin im Hinblick auf das Foto des kurdischen Sportvereins ... Hierzu hat die Klägerin plausibel vorgebracht, dass sie das in Rede stehende Bild mit einer "Gefällt mir"-Angabe versah, weil auf diesem ihr Bruder abgebildet war. Die Kammer hält dies entgegen der Auffassung der Beklagten nicht für lebensfremd. Eine Unterstützungshandlung für den wiederum nicht unmittelbar mit den inkriminierten Zielen der PKK verbundenen … kann dem Verhalten der Klägerin vor diesem Hintergrund nicht entnommen werden.

bb) Auch ist der Umstand, dass die Klägerin am 8. September 2018 an einer Großkundgebung in Düsseldorf unter dem Motto "Schluss mit dem Verbot kurdischer Kultur! Freiheit für Abdullah Öcalan!“ teilnahm, ist für sich genommen nicht ausreichend, um einen hinreichenden Verdacht auf die Unterstützung von gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichteten Bestrebungen zu begründen. Insoweit ist insbesondere daran zu erinnern, dass eine negative Berücksichtigung von Versammlungsteilnahmen und -inhalten im Lichte des durch Art. 5 Abs. 1 GG vermittelten Grundrechts auf Meinungsfreiheit zu besehen ist. Die bloße Teilnahme an friedlichen, nicht verbotenen Demonstrationen, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen in einem bestimmten Land richten, stellt auch dann keine Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG dar, wenn zu diesen Demonstrationen auch Organisationen aufgerufen haben, die objektiv inkriminierte Ziele verfolgen oder wenn auf diesen Demonstrationen durch andere Teilnehmer die Abzeichen einer verbotenen Organisation gezeigt werden (vgl. VG Bremen, Urteil vom 26. März 2018 - 4 K 587/17, Rn. 94; VG Stuttgart, Urteil vom 13.05.2016 - 11 K 6/16, Rn. 36 m.w.N., jeweils juris). Hier macht die Beklagte geltend, dass es sich bei der in Bezug genommene Versammlung um eine Ersatzveranstaltung für das verbotene "26. Internationale Kurdische Kulturfestival“ gehandelt habe. Es seien dort Fahnen der YPG und YPJ sowie Bilder von gefallenen PKK-Kämpfern gezeigt und Parolen wie "Es lebe der Vorsitzende Öcalan, es lebe die PKK" skandiert worden. Weiter seien unter anderem Yüksel K. und Fatos G., Co-Vorsitzende des "Kongresses der kurdischdemokratischen Gesellschaft in Europa" (KCDK-E) als Redner aufgetreten. Die Klägerin selbst hat hierzu erklärt, sie habe an der Veranstaltung in erster Linie teilgenommen, um sich mit Freundinnen zu treffen, was im Übrigen auch durch eine entsprechende Lichtbildaufnahme anschaulich belegt wird (siehe Bl. 40 der beigezogenen BA des LfV). Bilder von gefallenen PKK-Kämpfern habe sie selbst nicht wahrgenommen. Das verbotene Kurdische Kulturfestival habe im Zeichen der Solidarität mit dem kurdischen Kanton Afrin in Nordsyrien stehen sollen, der von der türkischen Armee und ihren verbündeten dschihadistischen Milizen Anfang jenes Jahres besetzt worden sei. Unabhängig von der Frage, ob die Klägerin die von der Beklagten dargelegten Bezüge der Versammlung zu den Zielen und Organisationsstrukturen der PKK tatsächlich selbst wahrgenommen hat. ist hier unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 5 Abs. 1 GG - jedenfalls im Falle einer einmaligen Versammlungsteilnahme - selbst bei einem etwaigen PKK-nahen Gesamtgepräge der in Rede stehenden Großdemonstration nicht von einer Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG auszugehen. Hierfür spricht neben der kulturellen und sozialen Bedeutung derartiger Veranstaltungen für die kurdische Exilgemeinschaft (vgl. VG München, Urteil vom 26. Oktober 2009 - 25 K 08.3264, juris Rn. 38) auch der Bezug der Versammlung im Jahr 2018 zum Kriegsgeschehen in Nordsyrien, in dessen unmittelbarer Nähe die Klägerin geboren wurde und aufgewachsen ist. Es wäre mit den sich aus Art. 5 Abs. 1 GG ergebenden und im Zusammenhang eines Versammlungsgeschehens auch für Ausländer Geltung vermittelnden grundrechtlichen Vorgaben schlichtweg unvereinbar, die einmalige Teilnahme an einer solchen Großdemonstration als Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG anzusehen und der Klägerin damit aufzuerlegen, sich in Bezug auf ein für sie besonders bedeutsames politisches Geschehen der Teilnahme an einer kollektiven Meinungsäußerung zu enthalten.

cc) Soweit sich die streitgegenständliche Entscheidung auf das von der Klägerin mit der kurdischen Zeitung "..." geführte Kurzinterview stützt, welches im August 2018 unter ihrem Namen und mit einem Lichtbild versehen veröffentlicht wurde, ist eine differenzierende Betrachtungsweise angezeigt. Bei der Beurteilung und Gewichtung von Meinungsäußerungen sind deren Inhalt und Bedeutungsgehalt genau zu erfassen (vgl. Berlit. in: jurisPR-BVerwG 16/2007, Anm. 6, unter D). Zwar lässt sich der Tonalität der von der Klägerin getätigten Äußerungen - insbesondere dem im Hinblick auf Abdullah Öcalan gewählten Formulierung "unser Führer" - gewisse Sympathien für die Organisationsstruktur der PKK und wohl auch eine Identifikation mit der genannten Person entnehmen. Dieser Eindruck wird auch im Rahmen des mit dem Migrationsamt geführten Sicherheitsgespräch nicht beseitigt, in dem die Klägerin auf die Frage, welche Bedeutung Abdullah Öcalan für sie persönlich habe, nicht antworten wollte. Diese zunächst zum Ausdruck gebrachte Sympathie und Identifikation mit der Person Abdullah Öcalan ist jedoch im Lichte der weiteren Äußerungen im Rahmen des Zeitungsinterviews erkennbar allein auf eine Kritik an den Haftbedingungen Abdullah Öcalans zu sehen und geht darüber nicht hinaus. Auch diese Äußerung ist daher nicht als Unterstützungshandlung in Bezug auf die PKK zu qualifizieren, da sich darin allein ein politisch und menschenrechtlich begründbarer Standpunkt Ausdruck verleiht, der weit über etwaige Organisations- und Unterstützungskreise der PKK hinaus vertreten wird und somit nicht als Anknüpfungspunkt für den Verdacht einer Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG taugt. [...]