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VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 12.01.2022 - 6 K 1073/19 - asyl.net: M30375
https://www.asyl.net/rsdb/m30375
Leitsatz:

Zur Reichweite einer Verpflichtungserklärung bei Visumserteilung durch anderen Schengenstaat sowie nach Wiedereinreise:

1. Es besteht keine Erstattungspflicht aus einer Verpflichtungserklärung, wenn die Einreise der begünstigten Person aufgrund eines Visums erfolgt, das ein anderer Schengenstaat erteilt hat.

2. Es besteht keine Erstattungspflicht aus einer Verpflichtungserklärung, soweit der Aufenthalt der begünstigten Person in Deutschland zwangsweise beendet wurde und sie im Anschluss wieder einreist. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, wie kurz der Aufenthalt im Ausland war.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Verpflichtungserklärung, Einreise, Abschiebung, Schengen-Visum,
Normen: AufenthG § 68 Abs. 1, AufenthG § 68 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Die vom Kläger unterzeichnete Verpflichtungserklärung vom 8.12.2016 ist keine tragfähige Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass der Aufenthalt der am 20.1.2017 das Bundesgebiet eingereisten Mutter des Klägers von ihr nicht erfasst wird (a). Zum anderen zeitigt die Verpflichtungserklärung unabhängig davon jedenfalls für den Zeitraum vom 5.10.2017 bis einschließlich Februar 2019, für den der Beklagte die Erstattung der von ihm für die Mutter erbrachten Sozialleistungen geltend gemacht hat, und für die monatlich festgesetzte Erstattung der Wohnkosten in Höhe von 60 € ab März 2019 keine Gültigkeit (mehr) (b).

a.

Verpflichtungserklärungen sind einseitige, empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärungen zugunsten Dritter, die, wie jede Willenserklärung, der Auslegung grundsätzlich zugänglich und mit Blick auf den Zweck des Aufenthalts des Ausländers, für den die Verpflichtungserklärung abgegeben worden ist, auszulegen sind. Hieraus gewinnt die Erklärung auch ihre Bestimmtheit (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, 1 C 33/97, zitiert nach juris).

Dies zugrunde gelegt erfasst die Verpflichtungserklärung des Klägers vom 8.12.2016 den am 20.1.2017 begründeten Aufenthalt seiner Mutter in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Sie hat keinen Beitrag dazu geleistet, einen legalen Aufenthalt der Mutter im Bundesgebiet zu ermöglichen. Nur zum Erhalt einer Erlaubnis für die Einreise und den anschließenden Aufenthalt der Mutter hatte der Kläger die Erklärung aber abgegeben, was für die Ausländerbehörde des Beklagten mit Blick auf das offenkundige diesbezügliche Interesse des Klägers auch erkennbar war.

Generell sollen Verpflichtungserklärungen im Sinne des § 68 Abs. 1 AufenthG dem Zweck dienen, Ausländern im Fall ungenügender, unsicherer oder auch nur ungeklärter eigener Einkommensverhältnisse die Möglichkeit zu eröffnen, die für die Erteilung eines Einreisevisums oder einer Aufenthaltserlaubnis erhebliche Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erfüllen und den Titel erhalten zu können (vgl. Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Loseblattausgabe, Stand: Oktober 2021, zu 868 Rz.4).

Da die Auslandsvertretung auch bei der Erteilung von Visa auf die Erklärung gegenüber der Ausländerbehörde und auf deren Feststellungen, insbesondere auch zur Bonität des Verpflichtungsgebers, zurückgreifen kann und diese auch berücksichtigen muss (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum AufenthG, Ziff. 68.1.2.4), liegt es auf der Hand, dass eine Verpflichtungserklärung auch im Fall der Visumerteilung für Kurzaufenthalte, ein solcher steht entsprechend dem auf dem Erklärungsformular vermerkten Aufenthaltszweck vorliegend in Rede, maßgeblich deswegen abgegeben wird, um die Einreise des von ihr Begünstigten zu erleichtern.

Diesem Zweck hat die vom Kläger abgegebene Verpflichtungserklärung aber in tatsächlicher Hinsicht nicht gedient. Der Mutter des Klägers wurde die legale Einreise und der spätere Aufenthalt nicht durch ein von der deutschen Auslandsvertretung in Bagdad erteiltes Einreisevisum ermöglicht. Ob es für sie eine Verpflichtungserklärung gab oder nicht, hat dementsprechend für ihre Einreise und ihren Aufenthalt keine Rolle gespielt. Wird eine Verpflichtungserklärung entweder ausdrücklich oder, wie vorliegend, jedenfalls nach den Umständen für den Erklärungsempfänger erkennbar in der Weise abgegeben, dass mit ihr die Erteilung eines bestimmten Aufenthaltstitels ermöglicht werden soll, so begründet die Erklärung keinen Erstattungsanspruch, wenn der Aufenthaltstitel später gleichwohl nicht erteilt worden war und der Ausländer oder die Ausländerin sodann illegal eingereist ist und nur eine Duldung bzw. eine Aufenthaltsgestattung erhalten hat (vgl. Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Loseblattausgabe, Stand: Oktober 2021, zu § 68 Rz. 27; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.8.1997, 6, S 2561/96 und Bay.VGH, Urteil vom 3.3.1998, 12 B 96.3002, beide zitiert nach juris).

Gleiches muss gelten, wenn, wie vorliegend, die Einreise Bundesgebiet auf eine von einem hoheitlichen Akt der Bundesrepublik Deutschland gänzlich unabhängige Art und Weise, nämlich durch ein von einem anderen europäischen Staat ausgestelltes Schengen-Visum, ermöglicht wird. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Verpflichtungserklärung des Klägers die Erteilung des Schengen-Visums an seine Mutter durch die französische Auslandsvertretung in Bagdad in irgendeiner Weise befördert hätte. […]

b.

Auch unabhängig von Vorstehendem scheidet die vom Kläger am 8.12.2016 gegenüber der Ausländerbehörde des Beklagten abgegebene Verpflichtungserklärung als tragfähige Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch aus. Selbst wenn durch sie eine Erstattungspflicht dem Grunde nach begründet worden wäre, wäre der von ihr umfasste Zeitraum mit der Abschiebung der Mutter (und der weiteren Familienangehörigen) des Klägers nach Frankreich am 4.10.2017 über den Grenzübergang Goldene Bremm beendet gewesen.

Aus der textlichen Fassung der Verpflichtungserklärung ergibt sich u.a., dass die Verpflichtung nur bis zu einer Beendigung des Aufenthalts der von ihr begünstigten Person Geltung beanspruchen soll. Mit der Abschiebung wurde der zunächst legal begründete und später - unterbrochen durch die Zeiten, in denen sie im Besitz von Aufenthaltsgestattungen war - illegal gewordene Aufenthalt der Mutter des Klägers in Deutschland beendet. Da vom streitgegenständlichen Bescheid ausschließlich Sozialleistungen erfasst werden, die ab dem 5.10.2017, also nach Beendigung des Aufenthalts am 4.10.2017, erbracht worden sind, kann die Verpflichtungserklärung nicht als Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch dienen.

Die zwangsweise Beendigung des Aufenthalts stellt eine maßgebliche Zäsur dar; mit der Wiedereinreise der Familie des Klägers wurde ein neuer Aufenthalt begründet. Hieran ändert sich durch den Umstand nichts, dass die Unterbrechung des Aufenthalts der Familienangehörigen des Klägers lediglich einen einzigen Tag lang gedauert hat. Zunächst fehlt ein Rechtssatz, der eine Abwesenheit von einer bestimmten (Mindest-)Dauer fordern würde, um von einer Beendigung des Aufenthalts des Begünstigten im Sinne des $ 68 Abs. 1 AufenthG ausgehen zu können. Ferner kann bei einer zwangsweisen Vollstreckung der Ausreisepflicht gegen den Willen des Ausreisepflichtigen durch Abschiebemaßnahmen die Erwägung schon vom Ansatz her nicht verfangen, eine sehr kurze Dauer eines zwischenzeitlichen Auslandsaufenthalts könnte auf eine Ausreise des von der Verpflichtungserklärung Begünstigten nur "pro forma" hindeuten. Eine solche könnte bei Vorliegen entsprechender Umstände des Einzelfalls allerdings in der Tat womöglich zur Folge haben, die Berufung auf eine - nur vorgeschobene - Ausreise des Begünstigten durch den Verpflichtungsgeber zur Beendigung seiner Erstattungspflicht als treuwidrig einzustufen. [...]