VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 29.12.2021 - 6 K 739/21.WI.A - asyl.net: M30334
https://www.asyl.net/rsdb/m30334
Leitsatz:

Erfolgreiche Untätigkeitsklage einer in Griechenland schutzberechtigten Person:

Es ist nicht ausreichend, wenn das BAMF die verzögerte Entscheidung über einen Asylantrag mit fehlender Handlungsfähigkeit aufgrund fehlender Anweisungen des BMI erklärt. Da es Griechenland-Fälle gibt, in denen das BAMF in der Sache entscheidet, ist davon auszugehen, dass es in der Lage ist, diese Fälle zu entscheiden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Griechenland, internationaler Schutz in EU-Staat, Untätigkeitsklage, Verfahrensverzögerung, Beschleunigungsgebot, Asylverfahrensrichtlinie, Zusicherung, zureichender Grund,
Normen: VwGO § 75 S. 3, AsylG § 24 Abs. 4, RL 2013/32/EU Art. 31 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Es liegt auch kein zureichender Grund dafür vor, dass über den Asylantrag bis heute noch nicht entschieden worden ist. Dazu ist zunächst festzustellen, dass die Erklärung der Beklagten, dass sie politisch weisungsgebunden sei und insoweit noch keine Entscheidung seitens des zuständigen Bundesministeriums des Inneren ergangen sei und mithin eine Handlungsunfähigkeit vorliege, als Schutzbehauptung anzusehen ist. So hat die Beklagte mit Bescheid vom 09.12.2021 in einem anderen Verfahren (Aktenzeichen ...-457; VG Wiesbaden Aktenzeichen 2 K 898/18.WI.A) den dortigen Klägern den subsidiären Schutzstatus zugestanden, nachdem zuvor eine Abschiebung nach Griechenland angedroht worden ist. Hierbei ist zwar dem im Termin anwesenden Vertreter der Beklagten zuzugestehen, dass es sich hierbei um eine Familie mit Kindern gehandelt hat, das Verhalten der Beklagten zeigt jedoch, dass unmittelbar nach Bescheidsaufhebung mit Urteil vom 25.05.2021 und damit zeitnaher als im vorliegenden Verfahren die Beklagte in der Lage ist; die sogenannten "Griechenland Fälle" zu bescheiden.

Auch wenn die Lage in Griechenland indifferent sein mag, ist ein Hinzuwarten vorliegend nicht angebracht. Eine analoge Anwendung gem. Art. 31 Abs. 4 Richtlinie 2013/32/EU (sogenannte Verfahrensrichtlinie) scheint vorliegend schon mehr als fraglich, da es nicht um die ungewisse Lage des Herkunftslandes geht, sondern um die ungewisse Lage eines EU-Mitgliedstaates und dessen Umgang mit Asylbewerbern. Denn selbst wenn man diese Regelung der Verfahrensrichtlinie vorliegend entsprechend übertragen will, regelt Art. 31 Abs. 5 Richtlinie 2013/32/EU, dass das Prüfverfahren in jedem Fall innerhalb einer maximalen Frist von 21 Monaten ab förmlicher Antragstellung abzuschließen ist. Insoweit kommt es nicht auf die Entscheidung des VG Gießen oder die Aufhebung des Ausgangsbescheides vom 27.07.2020 durch die Beklagte am 12.10.2020 an, sondern auf das Datum der Antragstellung. Insoweit sind 21 Monate spätestens am 29.01.2022 um.

Dies mit der Folge, dass die Beklagte binnen drei Monaten nach Rechtskraft der vorliegenden Entscheidung über das Asylbegehren des Klägers zu entscheiden hat. Damit hat die Beklagte ausreichend Gelegenheit, sich eine "politische" Weisung des Bundesministeriums des Innern erteilen zu lassen. Immerhin ist bis dahin die nunmehrige Bundesregierung auch über 100 Tage im Amt, so dass spätestens ab diesem Zeitpunkt eine Handlungsfähigkeit und Entscheidungsfähigkeit unterstellt werden muss. Insoweit ist dem europäischen Rechtsgedanken, das Verfahren zügig zu bearbeiten und abschlüssig zu schließen, mit der von dem Gericht gesetzten weiteren Frist von drei Monaten hinreichend Genüge getan. Dabei lässt es das erkennende Gericht dahinstehen, ob die gemäß Art. 10 Abs. 3 lit. A Richtlinie 2013/32/EU geforderte Unparteilichkeit durch die von der Beklagten behaupteten Weisungsabhängigkeit bei dieser so vorhanden ist, wie die vom EU-Recht gefordert wird. [...]