AG Erlangen

Merkliste
Zitieren als:
AG Erlangen, Urteil vom 10.12.2021 - 8 Cs 452 Js 51049/21 (Asylmagazin 5/2022, S. 184) - asyl.net: M30325
https://www.asyl.net/rsdb/m30325
Leitsatz:

Keine Strafbarkeit passlosen Aufenthalts wegen Unzumutbarkeit der Unterzeichnung der Reueerklärung in iranischer Botschaft:

1. Solange die Islamische Republik Iran die Erteilung eines Reisepasses von der Abgabe einer Freiwilligkeits- und Reueerklärung abhängig macht, ist eine Passbeschaffung unzumutbar, wenn die betroffene Person nicht freiwillig in den Iran zurückkehren möchte.

2. Das iranische Generalkonsulat hat seine dahingehende Praxis - auch nach erfolglos abgeschlossenen Asylverfahren - nicht tatsächlich geändert.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Iran, Passbeschaffung, Zumutbarkeit, Strafbarkeit, Passlosigkeit,
Normen: AufenthG § 48 Abs. 2, AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Gemäß § S5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1, 48 Abs. 2 AufenthG macht sich ein Ausländer dann strafbar, wenn er sich im Bundesgebiet ohne Pass oder Passersatzpapier aufhält und sich weigert, an der Passbeschaffung mitzuwirken. Der objektive Tatbestand setzt aber voraus, dass dem Ausländer die Beschaffung des Passes zumutbar gewesen ist. Solange die Islamische Republik Iran die Erteilung eines Reisepasses von der Abgabe einer Freiwilligkeits- und Reueerklärung abhängig macht, ist eine Passbeschaffung unzumutbar sein (Bayerisches Oberstes Landesgericht, BeckRS 2012, 20563; OLG München, 4 St RR 102/09, Urteil vom 09.03.2010 - juris Rn. 18 bis 21; OLG Nürnberg, 2 St OLG Ss 242/06, Urteil vom 16.01.2007 - juris Rn. 55).

BeckOK AuslR/Hohoff, 29. Ed. 1.4.2021, AufenthG § 95 Rn. 7 formuliert:

"Unzumutbarkeit i.S.v. § 48 Abs. 2 wird im Hinblick auf eine Passerteilung durch die Islamische Republik Iran bejaht. Nach der Rechtsprechung der OLGe ist es einem vollziehbar ausreisepflichtigen iranischen Staatsangehörigen, der nicht freiwillig in den Iran zurückkehren will, unzumutbar i.S.d. § 48 Abs. 2, sich einen Pass bei seiner Auslandsvertretung zu verschaffen, solange die Islamische Republik Iran als generelle Voraussetzung der Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung eines Reisepasses oder von Passersatzpapieren den Antragstellern abverlangt, eine Freiwilligkeitserklärung des Inhalts abzugeben, aus freien Stücken in die Islamische Republik Iran zurückkehren zu wollen."

Die im hiesigen Verfahren und in den beigezogenen Verfahren getroffenen Feststellungen führen zu der Überzeugung des Gerichts, dass dem Angeklagten vorliegend die Passbeschaffung nicht zumutbar ist.

Es muss weiterhin davon ausgegangen werden, dass die iranische Botschaft und die iranischen Konsulate von Staatsbürgern, die das Land illegal verlassen haben bzw. in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, bei der Beantragung eines Reisepasses die Unterzeichnung einer Reueerklärung bzw. einer Freiwilligkeitserklärung verlangen. Einem Asylbewerber, der die Stellung seines Asylantrags nicht bereut, sondern trotz Ablehnung seiner Anträge in Deutschland verbleiben will und auch nicht freiwillig, sondern unter dem Druck der deutschen Behörden in sein Heimatland zurückkehren muss, wird damit als Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses eine falsche Erklärung, tatsächlich eine Lüge, abverlangt, was rechtsstaatlichen Grundprinzipien zuwiderläuft und nach der oben zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung eine unzumutbare Hürde darstellt. [...]

Im Ergebnis ist das Gericht nicht überzeugt, dass das iranische Generalkonsulat seine Praxis tatsächlich geändert hat und nunmehr sowohl von Freiwilligkeits- als auch von Reueerklärungen bei der Passbeantragung absieht. Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass es dem Angeklagten derzeit weiterhin unzumutbar ist, einen Reisepass zu beantragen. [...]