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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 17.12.2021 - unbekannt - asyl.net: M30264
https://www.asyl.net/rsdb/m30264
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für Familie aus Afghanistan:

Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind vorliegend erfüllt, da es sich um eine besonders schutzbedürftige Familie mit drei Kindern handelt, die nicht auf ein Unterstützungsnetzwerk in Afghanistan zurückgreifen kann.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, besonders schutzbedürftig, Abschiebungsverbot, Existenzgrundlage, Familienangehörige, Existenzminimum, EGMR, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, familiäres Netzwerk,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

5. Die Voraussetzungen des§ 60 Abs. 5 AufenthG liegen hinsichtlich für Afghanistan vor.

6. Eine Abschiebung gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG ist unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt. [...]

Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Afghanistan führen zu der Annahme, dass bei Abschiebung der Antragstellerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt.

Der afghanische Arbeitsmarkt ist im Zuge der Wirtschaftskrise seit August 2021 stark eingebrochen. Am 12.09.2021 erklärte das United Nations Development Programme (UNDP), dass 97 % der Afghanen bis Mitte 2022 unter die Armutsgrenze sinken könnten, wenn die Regierung das Einbrechen der Wirtschaft nicht aufhalte. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Afghanistans beträgt nicht mehr als ca. 20 Milliarden USD, davon seien fast die Hälfte Hilfsgelder aus dem Ausland. Das selbst erwirtschaftete BIP liegt daher nur bei ca. 10 Milliarden USD. Diese wurden in der Regel benutzt, um Staatsbedienstete zu bezahlen. Diese Gelder werden nun seit der Machtübernahme am 15.08.2021 zurückgehalten. Die Folgen davon sind u. a. eine Liquiditätskrise der Banken, steigende Arbeitslosigkeit, steigende Preise für Grundnahrungsmittel und eine einbrechende Währung. Experten befürchten, dass das BIP in diesem Jahr um 9,7 % sinken wird und dass die steigenden Preise sowie der Verfall der Landeswährung die Wirtschaftskrise verstärken. Viele Menschen haben ihre Arbeit verloren. Banken in Kabul gewähren aufgrund der Liquiditätskrise nur eine wöchentliche Abhebung von ca. 230 USD pro Person, weshalb viele Menschen ihr Hab und Gut veräußerten, um davon Nahrung zu kaufen. [...]

Aufgrund der individuellen Umstände der Antragsteller ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedoch davon auszugehen, dass sich die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung außergewöhnlich erhöht und deswegen ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen ist.

8. Die Antragsteller sind als vulnerable Personen anzusehen, da es sich in diesem Fall um eine Familie mit drei Kindern handelt. Der Familie droht die Verelendung, da der Ehemann und Vater der Familie aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit geringe Chancen hat, für sich und seine Familie die notwendigen Dinge des täglichen Bedarfs zu decken. Erschwerend für den Arbeitsmarkt für die Familie kommt hinzu, dass die Familie lange Zeit in Deutschland und im Iran gelebt hat und somit zu Afghanistan wenig bis gar keinen Bezug hat.

Die Familie hat keinen Bezug nach Afghanistan und insbesondere keine Familie, welche für das Netzwerk dort essentiell ist, ohne dieses familiäre Netzwerk wäre die Familie obdachlos und dies ist mit Kindern nicht zumutbar.

Die Rückkehrförderung für Afghanistan wurde ausgesetzt, somit wäre die Familie weitgehend mittellos (https://www.returningfromgermany.de/de/countries/afghanistan). [...]