VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 07.05.2021 - 2 K 879/18 - asyl.net: M30258
https://www.asyl.net/rsdb/m30258
Leitsatz:

Keine drohenden Menschenrechtsverletzungen für gesunde erwerbsfähige "Anerkannte" in Bulgarien:

"1. In der nicht erzwungenen Ausreise aus dem Gebiet des Schutz gewährenden Mitgliedstaates ist der freiwillige Verzicht auf den gewährten Schutzstatus zu erblicken, der ebenso behandelt wird wie der Fortbestand des Schutzes. Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sind daher trotz eines möglichen – letztlich ausreisebedingten – Entzugs des Schutzstatus durch die bulgarische Asylbehörde SAR erfüllt.

2. Es bestehen keine konkrete Erkenntnisse, wonach es gesunden und arbeitsfähigen anerkannten Schutz­berechtigten gegenwärtig in Bulgarien nicht möglich wäre, ihren Lebensunterhalt perspektivisch selbst zu erwirtschaften.

3. Gesunden und arbeitsfähigen anerkannten Schutzberechtigten droht Falle der Rückführung nach Bulgarien auch mit Blick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh in Form von Obdachlosigkeit und Verelendung."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Bulgarien, internationaler Schutz in EU-Staat, Corona-Virus, Aufnahmebedingungen,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4,
Auszüge:

[...]

24 a) Es gibt zwar Anhaltspunkte dafür, dass die bulgarische Staatliche Agentur für Flüchtlinge beim Ministerrat (State Agency for Refugees with the Council of Ministers, im Folgenden: SAR) von einem Erlöschen des dem Kläger gewährten Schutzstatus ausgehen oder dem Kläger diesen Schutzstatus wieder entzogen haben könnte. Im Zusammenhang mit der Änderung des bulgarischen Asylgesetzes (Asylum and Refugees Act, aref.government.bg/sites/default/files/uploads/english/ASYLUM%20AND%20REFUGEES%20ACT_2 0.pdf) vom Oktober 2020 wird darüber berichtet, dass die SAR in mutmaßlich unionsrechtswidriger Weise anerkannten Schutzberechtigten den zuerkannten Schutzstatus wieder entzieht bzw. dessen Erlöschen feststellt, wenn die Betroffenen es verabsäumen, binnen einer Frist von 30 Tagen nach Gültigkeitsablauf der ihnen ausgestellten bulgarischen Identitätsdokumente einen Antrag auf deren Erneuerung zu stellen (aida, Country Report: Bulgaria, Stand: 2020, S. 82). Schon zuvor wurde von einer ähnlichen Praxis der SAR berichtet, wobei hier von einer Dauer von drei Jahren nach Gültigkeitsablauf der Identitätsdokumente die Rede war, bevor ein Verfahren zum Entzug bzw. zum Erlöschen des Schutzstatus eingeleitet wurde (aida, Country Report: Bulgaria, Stand: 2019, S. 79).

25 b) Vorliegend ist jedoch nicht entscheidungserheblich, ob der dem Kläger gewährte subsidiäre Schutzstatus aufgrund der vorgenannten Praxis der bulgarischen Asylbehörde nicht mehr besteht. Denn der Kläger hat Bulgarien unmittelbar nach der Schutzgewähr freiwillig und auf Dauer wieder verlassen. In der nicht erzwungenen Ausreise aus dem Gebiet des ihm Schutz gewährenden Mitgliedstaates ist der freiwillige Verzicht auf den gewährten Schutzstatus zu erblicken, der ebenso behandelt wird wie der Fortbestand des Schutzes. Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sind daher trotz eines möglichen – letztlich ausreisebedingten – Entzugs des Schutzstatus durch die SAR erfüllt.

26 Gemäß Art. 33 Abs. 2 lit. a) der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes) können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz dann als unzulässig betrachten, wenn ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat. Darin kommt das zentrale Anliegen des gemeinsamen Europäischen Asylsystems zum Ausdruck, Sekundärmigration nach erfolgter Schutzgewährung zu vermeiden (vgl. Erwägungsgründe Nr. 13 und 43 ff. zur Asylverfahrensrichtlinie). Die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz erfolgt nur durch einen einzigen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO). Der Unionsgesetzgeber hat in Art. 33 Abs. 2 lit.a) Asylverfahrensrichtlinie die zuvor bereits in Art. 25 Abs. 2 lit. a) Richtlinie 2005/85/EG geregelte Möglichkeit, einen Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, dahin erweitert, dass die Mitgliedstaaten einen Asylantrag nunmehr auch bei Gewährung subsidiären Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat als unzulässig behandeln dürfen (BVerwG, EuGH-Vorlage vom 01. Juni.2017 – 1 C 22/16 – juris Rn. 13). [...]

30 Die verbindliche Auslegung des geltenden Unionsrechts durch den EuGH anlässlich einer Entscheidung im Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV erstreckt sich auf den gesamten Zeitraum seiner Geltung und wirkt somit auch ex tunc (vgl.; Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, 71. EL August 2020, AEUV, Art. 267 Rn. 111, Wegener, in: Calliess/Ruffert/Wegener, 5. Aufl. 2016, AEUV, Art. 267 Rn. 52 – jeweils m. w. N.). Die Auslegung des Art. 33 Abs. 2 lit. a) Asylverfahrensrichtlinie durch den EuGH in den Entscheidungen Ibrahim sowie Hamed und Omar und die damit einhergehende Aufstellung eines harten Maßstabs für eine Verletzung von Art. 4 GRCh aufgrund systemischer, allgemeiner oder aber bestimmte Personengruppen betreffender Schwachstellen im anerkennenden Mitgliedstaat galt daher auch schon im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers aus Bulgarien. Der Kläger gehörte schon seinerzeit zur Gruppe der jungen gesunden und arbeitsfähigen Personen. Eine Vulnerabilität ist in Bezug auf den Ausreisezeitpunkt weder vorgetragen noch ersichtlich. Die veröffentliche seinerzeitige obergerichtliche Rechtsprechung geht für diese Personengruppe in Bulgarien anerkannter Schutzberechtigter übereinstimmend davon aus, dass ihnen dort keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohe (vgl. OVG Saarlouis, Urteil vom 13. Dezember 2016 – 2 A 260/16 –, juris OVG Magdeburg, Beschluss vom 31. August 2016 – 3 L 94/16 –, juris; OVG Münster, Beschluss vom 13. Mai 2015 – 14 B 525/15.A –, juris; VGH Mannheim, Urteil vom 18. März 2015 – A 11 S 2042/14 –, juris Rn. 54 in Bezug auf Dublin-Rückkehrer jedoch mit Ausführungen zur Situation anerkannter Schutzberechtigter). Soweit ersichtlich, legt diese Rechtsprechung in keinem Fall einen noch strengeren Maßstab an, als durch den EuGH in den Entscheidungen Ibrahim sowie Hamed und Omar vorgegeben. Vielmehr wird der Maßstab vereinzelt unterschritten und gelangen die Gerichte gleichwohl zur Klageabweisung. Daher können die Entscheidungen ohne Weiteres herangezogen werden. Der Einzelrichter schließt sich dieser Rechtsprechung an.

31 Steht danach zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass der Kläger freiwillig aus Bulgarien ausgereist, ist in dieser nicht erzwungenen Ausreise aus dem Mitgliedstaat der Schutzgewähr zugleich der freiwillige Verzicht auf den gewährten Verfolgungsschutz zu erblicken, der ebenso behandelt wird, wie der Fortbestand des Schutzes (vgl. in Bezug auf die Vorgängerregelung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG: BVerwG, Urteil vom 04. September 2012 – 10 C 13/11 –, juris Rn. 13; Urteil vom 06. April 1992 – 9 C 143/90 –, juris Rn. 20; Urteil vom 02. Dezember 1986 – 9 C 105/85 –, juris Rn. 12). Daran würde auch der spätere – mutmaßlich unionsrechtswidrige – Entzug der Schutzgewähr durch die SAR wegen verabsäumter Erneuerung der Identitätsdokumente nichts ändern. Der Kläger hat bereits zuvor auf die Schutzgewähr verzichtet. Ohne seine Ausreise wäre es dem Kläger ohne Weiteres möglich gewesen, die ihm ausgestellten Identitätspapiere fristgerecht verlängern zu lassen. Es wäre daher rechtsmissbräuchlich und würde der Verhinderung von Sekundärmigration zuwiderlaufen, wenn der Kläger den Entzug der von Beginn an ungewünschten Schutzgewähr nun zu seinen Gunsten geltend machen könnte. [...]

37 b) Dem Kläger als anerkannten Schutzberechtigten droht bei Zugrundelegung der vom Europäischen Gerichtshof geforderten besonders hohen Schwelle der Erheblichkeit bei Rückkehr nach Bulgarien keine Verletzung des Art. 4 GRCh wegen systemischer, allgemeiner oder aber bestimmte Personengruppen betreffender Schwachstellen. [...]

50 Bis kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie wurde in der obergerichtlichen Rechtsprechung vermehrt darauf hingewiesen, dass sich die wirtschaftliche Situation in Bulgarien auch zu Gunsten anerkannter Schutzberechtigter zunehmend verbessert habe. Die Arbeitslosenquote sei gesunken, der Arbeitsmarkt entwickle sich dynamisch und die Nachfrage nach Arbeitskräften sei groß (OVG Koblenz, Beschluss vom 17. März 2020 – 7 A 10903/18 –, juris Rn. 62 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 22. Oktober 2019 – A 4 S 2476/19 –, juris Rn. 16). Diese Einschätzung muss nach Ausbruch der Pandemie mit ihren gravierenden wirtschaftlichen Folgen auch für Bulgarien – jedenfalls teilweise – revidiert werden. In Folge der Maßnahmen zur Eindämmung des COVID-19-Virus wird mit einem Anstieg der Arbeitslosenrate von 4,2 % auf 7 % gerechnet (Europäische Kommission, European Economic Forecast, Spring 2020, Mai 2020, S. 120). Besonders betroffen ist der Dienstleistungssektor, in dem zugleich mehr als 60 % aller Beschäftigten arbeiten (Europäische Kommission, a.a.O.). Eine Vielzahl von Drittstaatsangehörigen in Bulgarien haben ihre Arbeit verloren (Europäische Kommission, "Impact of government measures related to COVID-19 on third-country nationals in Bulgaria", ec.europa.eu/migrant-integration/news/impact-of-government-measures- related-to-covid-19-on-third-country-nationals-in-bulgaria). Schätzungen zufolge ist ein Drittel der arbeitenden Flüchtlinge vom Arbeitsplatzverlust betroffen (VG Karlsruhe, Urteil vom 23. Juni 2020 – A 13 K 6311/19 –, juris Rn. 31). Zahlreiche als schutzberechtigt anerkannte Familien können wegen des Arbeitsplatzverlust und des mangelnden Zugangs zu Sozialhilfe ihre Wohnungsmieten nicht mehr zahlen und sind akut von Obdachlosigkeit bedroht (Europäische Kommission, "Impact of government measures related to COVID-19 on third-country nationals in Bulgaria", ec.europa.eu/migrant-integration/news/impact-ofgovernment-measures- related-to-covid-19-on-third-country-nationals-in-bulgaria). Die SAR soll den Betroffenen zwar übergangsweise Unterkünfte und Verpflegung in den Aufnahmezentren angeboten haben. Dennoch berichten Nichtregierungsorganisationen, dass sich über 200 Familien hilfesuchend an sie gewandt haben. Das Bulgarische Rote Kreuz habe den Betroffenen angeboten, die Miete für einen Monat zu übernehmen und Essen zu kaufen (Europäische Kommission, a.a.O.).

51 Nach gegenwärtigem Stand ist im Jahr 2021 zwar mit einer partiellen Erholung der Wirtschaft zu rechnen. Die Arbeitslosenrate soll dann wieder auf 5,75 % fallen (Europäische Kommission, European Economic Forecast, Spring 2020, Mai 2020, S. 121). Bulgarien ist gegenwärtig jedoch noch immer stark von der Corona-Pandemie betroffen, so für das gesamte Land seitens des Auswärtigen Amtes eine Reisewarnung herausgegeben wurde (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bulgarien-node/bulgariensicherheit/211834, letzter Aufruf am 14. Mai 2021). Der epidemiologische Ausnahmezustand gilt zunächst bis zum 31. Mai 2021. Die Öffnungszeiten und Zutrittsbedingungen öffentlicher Gebäude werden in Abhängigkeit des aktuellen Infektionsgeschehens unter Einhaltung der üblichen Hygiene- und Abstandsregeln kurzfristig angepasst. Wegen der bestehenden hohen Unsicherheit rechnet die Europäische Kommission frühestens in der zweiten Hälfte dieses Jahres mit einem Anstieg der Investitionen und einem Anziehen des Konsums (Europäische Kommission, European Economic Forecast, Winter 2020, Februar 2021, S. 32). Auch wenn die Arbeitslosenquote in Bulgarien aktuell (wieder) leicht anzusteigen scheint (vgl. bnr - Radio Bulgaria, Covid-19 in Bulgarien: Tag 185, 08. September 2020, bnr.bg/de/post/101337712/covid-19-in-bulgarien-tag-185), bewegt sie sich nach den letzten Zahlen dennoch weiterhin auf einem niedrigen Niveau. Danach lag die Arbeitslosigkeit in Bulgarien saisonbereinigt im April 2020 bei 4,8 %, im Mai 2020 bei 4,6 %, im Juni 2020 bei 4,4 % und im Juli 2020 bei 4,4 %, während für die gesamte EU die Quote für Juli 2020 mit 7,2 % angegeben wird (vgl. Eurostat, Pressemitteilung vom 01. September 2020).

52 Vor diesem Hintergrund ist die Annahme als überholt anzusehen, wonach anerkannte Schutzberechtigte gerade in der stark gebeutelten Gastronomiebranche aussichtsreiche Chancen haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Es bestehen gleichwohl keine konkreten Erkenntnisse, wonach es nicht vulnerablen, gesunden und arbeitsfähigen anerkannten Schutzberechtigten unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Bulgarien nicht (mehr) möglich wäre, ihren Lebensunterhalt perspektivisch selbst zu erwirtschaften (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2020 – OVG 3 B 33.19 –, juris Rn. 37). Die zuvor genannten Zahlen deuten auch nicht auf einen so gravierenden Einbruch des Arbeitsmarktes und Wirtschaftslebens hin, dass die für die Zeit vor der Pandemie angenommenen Arbeitsmarktchancen anerkannter Schutzberechtigter als vollständig überholt angesehen werden müssten. Vielmehr stellt sich der bulgarische Arbeitsmarkt unbeschadet der pandemiebedingten Erschütterungen der Wirtschaft jedenfalls bislang offenbar als verhältnismäßig stabil dar.

53 Zwar ist davon auszugehen, dass sich durch die Pandemie insbesondere im gastronomischen Bereich die Arbeitsmarktchancen für anerkannte Schutzbedürftige – zumindest temporär – verringert haben. Teilweise wird auch ausdrücklich berichtet, dass in diesen Wirtschaftsbereichen ohne Arbeitsvertrag beschäftigte ("grey economy") anerkannte Schutzberechtigte ihre Arbeit verloren hätten und sie deshalb in eine vulnerable Lage gelangt seien (Europäische Kommission, "Impact of government measures related to COVID-19 on third-country nationals in Bulgaria", ec.europa.eu/migrant-integration/news/impact-ofgovernment-measures-relatedto-covid-19-on-third-country-nationals-in-bulgaria). Es liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor, wonach sich die Situation für anerkannte Schutzberechtigte hierdurch über Einzelfälle hinaus derart verändert hätte, dass ihnen wegen des gänzlichen Fehlens von Erwerbsmöglichkeiten nunmehr systematisch und flächendeckend eine extreme materielle Not droht (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2020 – OVG 3 B 33.19 –, juris Rn. 37 ff.; OVG Bautzen, Urteil vom 15. Juni 2020 – 5 A 382/18 –, juris Rn. 43 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 23. April 2020 – A 4 S 721/20 –, juris Rn. 3 ff.; OVG Koblenz, Beschluss vom 17. März 2020 – 7 A 10903/18 –, juris Rn. 35 ff.). Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass schon vor der Pandemie Beschäftigungsmöglichkeiten auch außerhalb der Landwirtschaft und Gastronomie vorhanden waren, so etwa auf Märkten, in größeren Unternehmen und bei Nichtregierungsorganisationen sowie in Callcentern für die arabische Sprache und in der herstellenden Industrie (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2020 – OVG 3 B 33.19 –, juris Rn. 38 m. w. N.).

54 Auch sonst sind keine neueren Erkenntnismittel bekannt, aus denen sich ergibt, dass gesunde und arbeitsfähige anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu verelenden drohen. Seit dem 01. Januar 2020 beträgt der monatliche Mindestlohn in Bulgarien 610 Bulgarische Lew (BGN), umgerechnet rund 305 EUR. Als monatlicher Durchschnittslohn werden für 2019 rund 500 EUR genannt. Zugleich sind die Lebenshaltungskosten niedriger als in allen anderen EU-Mitgliedstaaten (vgl. zum Ganzen: EURES, Lebens- und Arbeitsbedingungen Bulgarien, Stand: April 2020, ec.europa.eu/eures/main.jsp ountryId*=BG&living=; OVG Koblenz, Beschluss vom 17. März 2020 – 7 A 10903/18 –, juris Rn. 62). Nach Angaben bulgarischer Gewerkschaften betragen die monatlichen Lebenshaltungskosten – offenbar unter Einschluss von Unterkunftskosten – im Landesschnitt 305 EUR, in Sofia 397 EUR (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 – OVG 3 B 8.17 –, juris Rn. 65 m.w.N.). Es bestehen nach wie vor keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Lohn für geringfügig qualifizierte Tätigkeiten nicht zur Deckung des eigenen Existenzminimums eines erwerbsfähigen Schutzberechtigten einschließlich der Finanzierung einer Unterkunft ausreicht. Entsprechend gibt es weiterhin auch keine konkreten Erkenntnisse über eine verbreitete Obdachlosigkeit. Das gilt auch für die Zeit einer etwaigen Quarantäne und für die Übergangszeit bis zur Erlangung eines Arbeitsplatzes (Europäische Kommission, "Impact of government measures related to COVID-19 on third-country nationals in Bulgaria", ec.europa.eu/migrantintegration/news/impact-of-government-measures-related-to- covid-19-on-third-country-nationals-in-bulgaria).

55 bb) Ausgehend von diesen Feststellungen zur allgemeinen Situation anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Abschiebung dorthin in der Lage sein wird, sich Zugang zu den elementarsten Bedürfnissen zu verschaffen. Der Einzelrichter ist davon überzeugt, dass der Kläger in Bulgarien nicht unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen einer Art. 4 GRCh verletzenden Gefahr extremer materieller Not ausgesetzt sein wird.

56 In Abwesenheit gesicherter Unterbringungsmöglichkeiten nach dem 6-Monatszeitraum ab Anerkennung als Schutzberechtigte und ohne den effektiven Zugang zu anderen staatlichen Unterstützungsleistungen wie Wohngeld oder Sozialhilfe erachtet es der Einzelrichter für maßgebend, dass anerkannte Schutzberechtigte spätestens nach dieser Zeit ihren Lebensunterhalt selbstständig bestreiten können (so auch: OVG Münster, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A –, juris Rn. 68; VGH Mannheim, Beschluss vom 27. Mai 2019 – A 4 S 1329/19 –, juris Rn. 22; VG Karlsruhe, Urteil vom 23. Juni 2020 – A 13 K 6311/19 –, juris Rn. 29). Wie dargestellt, geht die obergerichtlichen Rechtsprechung auch für die Zeit seit Ausbruch der Corona-Pandemie jedenfalls in Bezug auf die Gruppe der gesunden und arbeitsfähigen anerkannten Schutzberechtigten übereinstimmend davon aus, dass diese in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt auf dem vom Europäischen Gerichtshof benannten Niveau selbstständig zu bestreiten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2020 – OVG 3 B 33.19 –, juris; OVG Bautzen, Urteil vom 15. Juni 2020 – 5 A 382/18 –, juris; VGH Mannheim, Beschluss vom 23. April 2020 – A 4 S 721/20 –, juris; OVG Koblenz, Beschluss vom 17. März 2020 – 7 A 10903/18 –, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 – OVG 3 B 8.17 –, juris; OVG Schleswig, Urteil vom 25. Juli 2019 – 4 LB 12/17 –, juris; OVG Bautzen, Urteil vom 13. November 2019 – 4 A 947/17.A –, juris; OVG Münster, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A –, juris; OVG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 – 1 Bf 132/17.A – juris).

57 Der Einzelrichter schließt sich dieser Rechtsprechung an. Der Kläger ist ein gesunder und arbeitsfähiger junger Mann. Er gehört nicht zur Gruppe der vulnerablen Personen im Sinne des Art. 21 der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen) sowie des Art. 20 Abs. 3 Qualifikationsrichtlinie. Diesbezügliche Anhaltspunkte sich weder vorgetragen noch ersichtlich. Unter Zugrundelegung der aktuellen Erkenntnisse zur allgemeinen Situation anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien wird es dem Kläger gelingen, in Bulgarien seinen Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten, hiervon Wohnraum zu bezahlen und sich zu versorgen. Eine Verletzung des Art. 4 GRCh wegen systemischer, allgemeiner oder aber bestimmte Personengruppen betreffender Schwachstellen ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu besorgen. [...]