Abschiebungsverbot für alleinstehenden schwerbehinderten Mann aus Kamerun wegen schlechter Versorgungslage:
1. Zwar ist die Grundversorgung der Bevölkerung in Kamerun grundsätzlich gesichert. Allerdings besteht ein Verteilungsproblem, das vor allem in den drei nördlichen Provinzen zu Lebensmittelengpässen führt. Wer in Not gerät, kann keine staatliche Unterstützung erhalten.
2. Ein schwerbehinderter Mann, der auf therapeutische Behandlung und persönliche Betreuung und Pflege angewiesen ist, kann in Kamerun kein menschenwürdiges Leben führen. Seine Familie könnte die notwendige Behandlung nicht finanzieren und wegen des hohen Zeitaufwands auch die Pflege nicht selbst übernehmen.
(Leitsätze der Redaktion)
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In Anwendung dieser Grundsätze würde eine Abschiebung des Klägers nach Kamerun für diesen eine erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bedeuten. Zwar ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in Kamerun grundsätzlich durch eigene landwirtschaftliche Produktion und Lebensmittelimporte gesichert. Allerdings besteht ein Verteilungsproblem, das insbesondere in den drei nördlichen Provinzen zu Lebensmittelengpässen führt. Nach dem im März 2021 von UNICEF herausgegebenen „Humanitarian Situation Report" waren über 4,4 Millionen Menschen in Kamerun, davon 2,288 Millionen Kinder, auf humanitäre Hilfe angewiesen. Wer in soziale Not gerät, kann in Kamerun nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen; vielmehr werden Notlagen in der Regel von funktionierenden sozialen Netzen (Großfamilie) aufgefangen, wobei eine längere Abwesenheit diese sozialen Netze gefährdet. In ganz Kamerun gibt es karitative Einrichtungen, insbesondere Missionsstationen, die in besonderen Notlagen helfen. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Kamerun liegt bei 56 Jahren (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Kamerun, Stand: Juli 2020, S. 23). Bei dem Kläger handelt es sich aber um einen zu 100 % schwerbehinderten, halbseitig gelähmten Mann. Der Kläger kann nach einer Pflegebegutachtung nicht laufen oder stehen, noch nicht einmal alleine sitzen. Er braucht Hilfe bei der Nahrungsaufnahme und sogar beim Wechseln der Positionen im liegen. Er ist zur Verbesserung und zur Stabilisierung seines Zustandes auf eine therapeutische Behandlung angewiesen und ist in einer stationären Pflegeeinrichtung untergebracht. Um die mühsam erreichten Fortschritte des Klägers seit seinem Hirnschlag am 1. September 2020 nicht zu gefährden ist neben der weiteren Versorgung mit orthopädischen Hilfsmitteln und einer Betreuung in der Pflegeeinrichtung auch eine Fortsetzung dieser Maßnahmen zwingend erforderlich. Dass solche aufwendigen therapeutischen Maßnahmen in Kamerun zumindest nicht in dem für ein menschenwürdiges Leben erforderlichen Umfang erfolgen können, ist nicht weiter klärungsbedürftig. Selbst wenn man unterstellt, dass ein Teil der indizierten Maßnahmen auch in Kamerun erfolgen könnten, wären diese für den Kläger zumindest nicht finanzierbar. Eine gesetzliche Krankenversicherung oder eine kostenlose Gesundheitsversorgung gibt es in Kamerun nicht (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. August 2020, S. 23). Davon, dass die Familie des Klägers in Kamerun dies finanzieren könnte, geht das Gericht nicht aus, zumal die Arbeitskraft der Familie, sollte sie dem Kläger die erforderliche pflegerische Betreuung in Ansätzen zukommen lassen, gebunden wäre und sie diese nicht mehr für die Erwerbstätigkeit einsetzen könnte. [...]