Flüchtlingsschutz für homosexuellen Mann aus Nigeria; "diskretes Verhalten" darf weder unterstellt noch prognostiziert werden:
1. In Nigeria drohen homosexuellen Personen staatliche und nichtstaatliche Verfolgungshandlungen, die an den Verfolgungsgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfen. Von einer Gruppenverfolgung ist aufgrund der fehlenden Verfolgungsdichte nicht auszugehen, so dass es auf eine Gefährdungsprognose im Einzelfall ankommt.
2. Aus der niederländischen Originalfassung der EuGH Entscheidung X, Y, Z (Urteil vom 07.11.2013 - C-199/12; C-200/12; C-201/12 (Asylmagazin 12/2013) - asyl.net: M21260) geht hervor, dass bei Prüfung eines Asylantrags die "Diskretion" bei der sexuellen Orientierung weder unterstellt noch prognostisch vermutet werden darf und dass daraus auch keine Schlüsse gezogen werden dürfen.
3. Sexualität betrifft die Intimsphäre eines Menschen. Von einer nur zurückhaltend ausgelebten Sexualität darf nicht auf ein fehlendes oder geringes Bedürfnis danach geschlossen werden. Dies gilt umso mehr, wenn Betroffene in einem Umfeld sozialisiert wurden, in dem Sexualität tabuisiert wird und Homosexualität als krankhaft und kriminell geächtet wird. Prognosen über ein zukünftiges Ausleben der Sexualität bi- und homosexueller Personen sind problematisch und dürfen nicht entscheidender Maßstab für die Zumutbarkeit einer Rückkehr ins Herkunftsland sein. Wie viel Platz Sexualität und Partnerschaft im Leben eines Menschen einnehmen, ist individuell unterschiedlich und kann sich je nach Lebensphase verändern.
4. Die Entscheidung, wie eine Person ihre sexuelle Orientierung ausleben möchte und ob sie sich offen zu ihr bekennen möchte oder nicht, ist eine höchstpersönliche, deren Bewertung dem Gericht entzogen ist.
(Leitsätze der Redaktion; Anm.: die deutsche Übersetzung der in Bezug genommenen EuGH-Entscheidung wurde inzwischen korrigiert: Urteil vom 07.11.2013 - C-199/12; C-200/12; C-201/12 X,Y,Z gg. Niederlande (Asylmagazin 12/2013) - asyl.net: M21260; siehe auch VG Braunschweig, Urteil vom 09.08.2021 - 2 A 77/18 (Asylmagazin 12/2021, S. 428 ff.) - asyl.net: M30055)
Anmerkung:
Siehe auch:
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a) Homosexualität stellt einen anerkannten Verfolgungsgrund gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar. Homosexuelle bilden in Nigeria eine "soziale Gruppe", weil sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden. Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen wird unzweifelhaft deutlich, dass LGBTI Personen in Nigeria ihre sexuelle Orientierung nicht öffentlich ausleben können und massiven Diskriminierungen und Anfeindungen ausgesetzt sind. Das gesellschaftliche Klima ihnen gegenüber ist feindselig. Die Regierung beschreibt Homosexualität als "unnatürlich" und "unafrikanisch". Homosexuelle Handlungen stehen unter Strafe und können mit langen Haftstrafen geahndet werden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand September 2020 vom 5. Dezember 2020, S. 16). Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind - unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen - sowohl nach säkularem Recht als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar. § 214 des Strafgesetzbuchs sieht 14 Jahre Haft für gleichgeschlechtliche Beziehungen vor. Der 2014 verabschiedete Same Sex Marriage Prohibition Act - SSMPA - sieht zudem vor, dass homosexuelle Paare, die heiraten oder öffentlich ihre Zuneigung zeigen, mit Haft bestraft werden können. Das Gesetz sieht bis zu 14 Jahre Haft für Eheschließungen und zivilrechtliche Partnerschaften zwischen zwei Frauen oder zwei Männern vor. Wer seine Liebesbeziehung zu einem Menschen des gleichen Geschlechts direkt oder indirekt öffentlich zeigt, soll dem Gesetz zufolge mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können. Die gleiche Strafe ist für die Gründung und Unterstützung von Clubs, Organisationen oder anderen Einrichtungen für Schwule und Lesben vorgesehen. In den zwölf nördlichen Bundesstaaten, wo das islamische Recht in Kraft ist, können homosexuelle Handlungen mit Haft, Stockschlägen oder Tod durch Steinigung bestraft werden. Im Jahr 2020 wurden von Scharia-Gerichten keine solchen Urteile verhängt. In den vergangenen Jahren kam es zu Verurteilungen zu Stockschlägen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Nigeria, 3. September 2021, S. 45). Im August 2018 wurden 47 Personen bei einer Hotelparty in Lagos verhaftet, wo die Polizei "homosexuelle Aktivitäten" feststellte. Ein Richter hat am 27.Oktober 2020 den Fall abgewiesen, in dem 47 Männer wegen der Erfüllung eines Straftatbestands der nigerianischen Anti-Homosexuellen-Gesetzgebung vor Gericht standen - Zurschaustellung gleichgeschlechtlicher Liebesbeziehungen. Konkreter Grund für die Abweisung war "Mangel an korrekter Prozessführung", die Unfähigkeit der Anklage, Zeugen zu benennen und Beweise zu bringen. Der Fall wurde jedoch lediglich ausgesetzt ("struck out") und nicht abgewiesen ("dismissed"). D.h., die Angeklagten können sich frei bewegen, könnten aber von der Polizei aufgrund derselben Anklage nochmals inhaftiert werden. Gerade im Rahmen der Verabschiedung des SSMPA 2014 kam es zu einer Zunahme an Fällen von Belästigung und Drohung. Es wurde von zahlreichen Verhaftungen berichtetet. Denn der SSMPA hat zu einer weiteren Stigmatisierung von Lesben und Schwulen geführt. Diese werden oftmals von der Polizei schikaniert und misshandelt, sowie von der Bevölkerung gemobbt oder mittels Selbstjustiz verfolgt. Das Gesetz dient dabei zur Rechtfertigung von Menschenrechtsverletzungen wie Folter, sexueller Gewalt, willkürlicher Haft, Erpressung von Geld sowie Verletzung von Prozessrechten. Seit der Verabschiedung des SSMPA ist die Zahl an Gewaltvorfällen gegen Homosexuelle leicht zurückgegangen. Zugleich nahmen Fälle von Erpressungen, Eindringen in die Privatsphäre und willkürlichen Verhaftungen zu. Im Jahr 2020 gab es einen Anstieg an Menschenrechtsverletzungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten, verstärkt durch die COVID-19 Pandemie. Die überwiegende Mehrheit von Menschenrechtsverletzungen gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten geht von nichtstaatlichen Akteuren aus. Staatlicher Schutz ist diesbezüglich nicht zu erwarten. Mitunter kommt es sogar zur Nötigung oder Verhaftung des Opfers (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a. a. O., S. 46).
b) Über das Kriterium der Gruppenverfolgung auf die Gefährdung des Einzelnen kann hier jedoch nicht geschlossen werden, da es an einer bestimmten Verfolgungsdichte mangelt, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigen würde. Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Schutzsuchenden, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung; vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18. Juli 2006 - 1 C 15/05 -, juris Rn. 20 ff.; Urt. v. 1. Februar 2007 - 1 C 24/06 -, juris Rn. 7). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. BVerwG, Urt. v. 5. Juli 1994 - 9 C 158/94 -, juris) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 18. Juli 2006, a.a.O.; vgl. zur Gruppenverfolgung VGH BW, Urt. v. 7. März 2013 - A 9 S 1872/12 -, juris Rn. 30). Insgesamt gibt es in Nigeria keine systematische staatliche Verfolgung oder aktive Überwachung von Angehörigen sexueller Minderheiten. Die Rechtsänderung durch den SSMPA hat bisher nicht zu einer flächendeckenden verschärften Strafverfolgung geführt. Es gibt nach keinem der betroffenen Gesetze Haftbefehle wegen Homosexualität. Über- oder Zugriffe durch die Polizei erfolgen zufällig oder nach Hinweisen. Es gibt nahezu keine Anklagen unter den spezifisch gegen Angehörige sexueller Minderheiten anwendbaren Gesetzen und noch weniger Verurteilungen. Die Anwendung von Strafgesetz und Scharia gestaltet sich schwierig, denn es gilt der Nachweis gleichgeschlechtlichen Sexualverkehrs. Auch unter dem SSMPA gab es kaum Anklagen. Üblicherweise verlaufen Gerichtsfälle unter diesen Gesetzen im Sand. Allerdings werden manchmal andere Vergehen vorgeschoben, um eine Verurteilung zu vereinfachen. Zudem schafft die Existenz der spezifisch auf sexuelle Minderheiten anwendbaren Gesetze die Basis dafür, dass Personen von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren drangsaliert, bedroht oder erpresst werden können. Verhaftungen wiederum ziehen kaum jemals Anklagen nach sich, sondern dienen in erster Linie der Erpressung (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O. S. 45f.). Bei Übergriffen auf sexuelle Minderheiten sind zudem überwiegend nichtstaatliche Akteure als Täter involviert (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O. S. 46). Da unter Zugrundelegung des Vorbenannten davon auszugehen ist, dass in Nigeria eine Gruppenverfolgung nicht stattfindet - es fehlt sowohl an einem (staatlichen) Verfolgungsprogramm als auch an einer entsprechenden Verfolgungsdichte -, bedarf es der Prüfung einer individuellen Gefahrenprognose im Einzelfall.
c) Aufgrund der unter a) dargestellten Auskunftslage drohen dem Kläger gerade wegen seiner Homosexualität Verfolgungshandlungen in Form von Anwendung physischer und psychischer Gewalt einschließlich sexueller Gewalt (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG), gesetzlichen, administrativen, polizeilichen oder justiziellen Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (§ 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG), sowie unverhältnismäßiger oder diskriminierender Strafverfolgung oder Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG).
Hierfür ist es unerheblich, inwiefern der Kläger seine Homosexualität in Deutschland auslebt. Im Gegensatz zur politischen oder religiösen Überzeugung, die sozial geprägte Bereiche darstellen und sich typischerweise in der Kundgabe und Verbreitung bestimmter politischer Positionen bzw. der Vornahme von und Beteiligung an religiösen Riten äußern, betrifft die sexuelle Betätigung die Intimsphäre eines Menschen. Somit darf von einer nur zurückhaltend ausgelebten Sexualität nicht ohne weiteres auf ein fehlendes oder geringes Bedürfnis dazu geschlossen werden, wie es etwa naheläge, wenn ein vorgeblich religiöser Mensch keinerlei Kontakt zu anderen Gläubigen sucht oder ein mutmaßlicher politischer Aktivist kein erkennbares Interesse an regimekritischen Tätigkeiten zeigt. Dies gilt umso mehr, wenn der Betreffende in einem gesellschaftlichen Umfeld wie in Nigeria aufgewachsen ist und geprägt wurde, in dem jedwede Sexualität ein tabuisiertes Thema ist und in dem abweichende sexuelle Orientierungen als krankhaft und kriminell geächtet werden. Auch wenn sich die Betroffenen diesen Einflüssen durch ihre Flucht entzogen haben, ist zu erwarten, dass ihre sexuelle Orientierung für sie aufgrund der erlebten Stigmatisierung noch lange ein scham- oder gar schuldbesetztes Thema bleibt (vgl. VG Freiburg (Breisgau), Urt. v. 3.12.2020 - A 6 K 2552/18 -, juris Rn. 19). Angesichts dessen davon sind Prognosen hinsichtlich des zukünftigen Auslebens der sexuellen Neigungen durch eine nach Überzeugung des Gerichts homo- oder bisexuelle Person grundsätzlich problematisch. Sie dürfen jedenfalls nicht entscheidender Maßstab für die Frage der Zumutbarkeit einer Rückkehr ins Herkunftsland sein. Auf Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist anerkannt, dass "bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten [können], dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden" (EuGH, Urt. v. 07.11.2013 - C-199/12 bis C-201/12 -, juris Rn. 76 a.F.). Dies wird von der deutschen Rechtsprechung bisher weitgehend dahingehend ausgelegt, dass diskretes Verhalten bei der Prüfung eines Asylantrages nicht vom Antragsteller "verlangt" werden (so VG Potsdam, Urt. v. 27.05.2021 - 2 K 3028/18.A -, juris Rn. 35; VG Berlin, Urt. v. 17.08.2020 - 6 K 686.17 A -, juris Rn. 42), er nicht "darauf verwiesen" werden (so BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 22.01.2020 - 2 BvR 1807/19 -, juris Rn. 19; VG Würzburg, Urt. v. 15.06.2020 - W 8 K 20.30255 -, juris Rn. 26) oder es ihm nicht "zugemutet" werden (so VG Chemnitz, Urt. v. 18.05.2021 - 4 K 2610/17.A -, juris Rn. 39) dürfe. Dennoch wird in der Regel eine Prognose dahingehend angestellt, in welchem Umfang der Betroffene voraussichtlich seine Neigungen im Herkunftsland ausleben wird, ob im Verborgenen oder äußerlich erkennbar, oftmals orientiert an der bisherigen Risikobereitschaft oder der Lebensweise in Deutschland (so etwa VG München, Urt. v. 08.03.2019 - M 9 K 17.39188 -, juris Rn. 21; VG Freiburg (Breisgau), Urt. v. 8.10.2020 - 4 K 945/18 -, juris Rn. 52; VG Berlin, Urt. v. 17.08.2020 - 6 K 686.17 A -, juris Rn. 46). Es wird von den Klägern mithin erwartet, dass sie in irgendeiner Form unter Beweis stellen, dass ihnen das Verfolgen ihrer Neigungen wichtig und damit relevanter Bestandteil ihrer Identität ist. Die sexuelle Orientierung ist aber zwingend bedeutsamer Bestandteil der Identität eines Menschen. Dies würde man auch einer heterosexuellen Person nicht absprechen, selbst wenn diese seit Jahren ohne Partner oder sexuelle Kontakte lebt. Wie viel Platz Sexualität und Partnerschaft im Leben eines Menschen einnehmen, ist individuell unterschiedlich und kann sich jederzeit massiv verändern, wenn der Betreffende eine Person kennen lernt, zu der er sich hingezogen fühlt (ähnlich VG Chemnitz, Urt. v. 18.05.2021 - 4 K 2610/17.A -, juris Rn. 30). Selbst wenn das bisherige ungebundene Dasein für denjenigen bis zu dem Zeitpunkt akzeptabel oder sogar erfüllt gewesen sein mag, kann sich sodann von einem Tag auf den anderen das Bedürfnis einstellen, mit dieser Person sein Leben zu verbringen oder etwa eine Familie zu gründen. Unter dieser Prämisse darf ein Geflüchteter nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem ihm das offene Zusammenleben mit einem frei gewählten Partner der Gefahr staatlicher Verfolgung aussetzen würde. Auch der Europäische Gerichtshof hat in der Originalfassung des Urteils vom 7. November 2013 (C-199/12 bis C-201/12) bei wörtlicher Übersetzung tatsächlich ausgeführt, "bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden vernünftigerweise nicht erwarten, dass der Asylbewerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden." (EuGH, Urt. v. 7. November 2013 - C-199/12 bis C-201/12 -, juris, Rn. 76; vgl. auch Anmerkung bei juris unter "i" a E.). Der Einschub "von dem Asylbewerber" (vgl. juris a.a.O. a.F.) anstatt "vernünftigerweise" ist eine Veränderung des Urteilstextes in der deutschen Übersetzung, die den Sinn der Aussage verändert. Es muss angenommen werden, dass der Gerichtshof nicht nur ausschließen wollte, dass die Behörden ein solches Verhalten vom Betroffenen verlangen oder fordern (i.S.v. etwas "von jemandem" erwarten), sondern klarstellen, dass sie eine solche Diskretion auch nicht – etwa aufgrund einer bisher sexuell zurückhaltenden Lebensweise – unterstellen oder prognostisch vermuten und daraus Schlüsse ziehen dürfen. Diese Annahme wird bestätigt durch die Begründung des Urteils, in der der Gerichtshof ausführt, "dass [der Betroffene] die Gefahr dadurch vermeiden könnte, dass er beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung größere Zurückhaltung übt als eine heterosexuelle Person, ist insoweit unbeachtlich" (EuGH, a.a.O., Rn. 75). Schon weil die Einzelrichterin also davon überzeugt ist, dass der Kläger tatsächlich homosexuell ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine dauerhafte und erzwungene Unterdrückung seiner Neigungen in Nigeria für ihn zumutbar wäre. Die Entscheidung, wie jemand seine sexuelle Orientierung auslebt und insbesondere, ob er sich offen zu seiner sexuellen Orientierung bekennen möchte oder nicht, ist eine höchstpersönliche, deren Bewertung dem Gericht entzogen ist. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der Bewahrung dieser Freiheit (VG Braunschweig, Urt. v. 9. August 2021 - 2 A 77/18 -, juris Rn. 43-49). [...]