LSG Hessen

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Zitieren als:
LSG Hessen, Urteil vom 15.09.2021 - L 6 AS 316/17 - asyl.net: M30207
https://www.asyl.net/rsdb/m30207
Leitsatz:

Kein Leistungsausschluss nach SGB II für österreichische Staatsangehörige:

"1. Österreichische Staatsangehörige können sich gegenüber dem Leistungsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 2 Abs. 1 DÖFA berufen.

2. Begehrt eine Klägerin die endgültige Festsetzung von Leistungen (nur) in der Höhe, in der sie vorläufig bereits Leistungen erhalten hat, ist eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft; in diesem Rahmen ist die Entscheidung durch Grundurteil zulässig."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Österreich, Leistungsausschluss, Deutsch-Österreichisches Fürsorgeabkommen, DÖFA, EFA,
Normen: SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, DÖFA Art. 2,
Auszüge:

[...]

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Im Grundsatz zutreffend hat das Sozialgericht den Klagen stattgegeben; namentlich ist es zu Recht davon ausgegangen, dass Ansprüche der Klägerin nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch für den streitigen Zeitraum nicht auf Grund von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen waren. [...]

4. Statthaft ist vor dem Hintergrund der dargestellten Bescheidsituation für die Zeit vom 1. Juli bis zum 21. Juli 2014 eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, Abs. 4, § 56 SGG), nachdem für diesen Zeitraum eine auch nur vorläufige Leistungsbewilligung nicht vorliegt und der Beklagten dementsprechend keine Zahlungen an die Klägerin erbracht hat. Für die Zeit vom 22. Juli 2014 bis zum 31. Dezember 2014 konnte die Klägerin ihr Klageziel dagegen (bereits) mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und Alt. 2 SGG, § 56 SGG) erreichen, da sie für diesen Zeitraum nicht die Erbringung weiterer Leistungen, sondern (nur) die Festsetzung endgültiger Leistungen begehrt, nachdem sie für diesen Zeitraum Zahlungen des Beklagten auf Grund der einstweiligen Anordnungen sowie der daran anknüpfenden Bescheide über die Bewilligung vorläufiger Leistungen bereits erhalten hat; das gilt jedenfalls auf Grund des Bescheides vom 30. April 2015 im Übrigen auch für den ganzen Dezember 2014, obwohl die einstweilige Anordnung aus dem Verfahren S 1 AS 254/14 ER eine Verpflichtung des Beklagten erst ab 2. Dezember 2014 vorsah.

Im Ergebnis richtete sich das Klageziel der Klägerin für die Zeit vom 22. Juli 2014 bis 31. Dezember 2014 – neben der Aufhebung des jeweils maßgeblichen Ablehnungsbescheides des Beklagten vom 28. August 2014 beziehungsweise vom 21. November 2014 und der Änderung des weiteren Bescheides vom 21. November 2014, mit dem er ganz eingeschränkt Leistungen für November 2014 zu ihren Gunsten bewilligt hat – (nur) darauf, den Beklagten zum Erlass eines Bescheids zu verpflichten, mit dem er Grundsicherungsleistungen in gesetzlicher Höhe festsetzt. Der Notwendigkeit und damit der Zulässigkeit einer Leistungsklage steht danach entgegen, dass die Klägerin für diesen Zeitraum weitere Geldleistungen gar nicht beansprucht; umgekehrt würde mit einer Beschränkung auf eine reine Anfechtungsklage ihrem verfahrensrechtlichen Anspruch auf eine zutreffende abschließende Entscheidung über ihr Leistungsbegehren durch feststellenden Verwaltungsakt nicht Rechnung getragen (vgl. in diesem Sinne auch BSG, Urteil vom 7. Mai 2019 – B 11 AL 10/18 R –, SozR 4-4300 § 155 Nr. 1, Rn. 12; BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 – B 14 AS 22/16 R –, juris, Rn. 10 f.). Vor diesem Hintergrund hat der Senat den Tenor des erstinstanzlichen Urteils klarstellend entsprechend gefasst; da die Klägerin ein weitergehendes Klagebegehren – auch im erstinstanzlichen Verfahren – erkennbar nicht verfolgt hat, ist damit eine (teilweise) Klageabweisung nicht verbunden.

Auch wenn das Sozialgerichtsgesetz den Erlass eines Grundurteils in § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG nur vorsieht, wenn der Aktivbeteiligte im Wege der Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 oder Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, ist die Vorschrift nach Auffassung des Senats in Fallkonstellationen wie der hiesigen auch auf die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage anzuwenden. Das Klagebegehren zielt auf (die endgültige Festsetzung von) Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht; die Klägerin müsste ihr Begehren also im "Normalfall" im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgen. Die Beschränkung auf eine Verpflichtungsklage (für den ganz überwiegenden Teil des streitigen Zeitraums) rührt nur daher, dass der Beklagte Leistungen vorläufig bereits erbracht hat und ein nochmaliger Leistungsausspruch daher nicht veranlasst ist. Der Zweck eines Grundurteils ist in diesem Fall in ganz gleicher Weise erfüllt wie bei dem "Normalfall" einer Leistungsklage: Auch vorliegend ist nur der Anspruchsgrund, nicht aber die Höhe der Leistung zwischen den Beteiligten streitig, so dass es sinnvoll ist, das gerichtliche Verfahren von den damit verbundenen Fragen zu entlasten (vgl. zum Zweck des Grundurteils nur Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 130 Rn. 1a). [...]

1. Die Klägerin erfüllte auch zur Überzeugung des Senats im gesamten Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 31. Dezember 2014 die Leistungsvoraussetzungen aus § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Sie ist 1991 geboren und hielt sich also in den Altersgrenzen aus § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 7a SGB II. Zweifel an ihrer Erwerbsfähigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II) bestanden weder unter gesundheitlichen noch unter ausländerrechtlichen Gesichtspunkten, nachdem die Klägerin als Bürgerin der Europäischen Union ohne Weiteres zur Aufnahme einer Beschäftigung berechtigt war. Ebenso wenig hat der Senat Anlass, für den streitigen Zeitraum an ihrer Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. §§ 9 ff. SGB II) zu zweifeln. [...]

2. Die Klägerin war in der Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2014 auch nicht von Leistungen ausgeschlossen. Namentlich greift der Ausschlusstatbestand aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, auf den der Beklagte die Berufung maßgeblich stützt, mit Rücksicht auf das Deutsch-Österreichische Fürsorgeabkommen nicht ein. Insoweit kann zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführlichen und zutreffenden Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug genommen werden (§ 153 Abs. 2 SGG), denen sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt. Die dagegen gerichteten Einwände des Beklagten greifen nicht durch, vielmehr müssten sie in gleicher Weise für das Europäische Fürsorgeabkommen gelten, für welches das Bundessozialgericht diesen Argumenten aber mit den Senat überzeugender Begründung nicht gefolgt ist (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R –, BSGE 107, 66, Rn. 21 ff.). Das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 DÖFA steht vielmehr einem Ausschluss österreichischer Staatsbürger von laufenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entgegen (vgl. ebs. und auch zum Folgenden LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. Juni 2020 – L 18 AS 1641/19 –, juris, Rn. 21 f. sowie LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7. März 2012 – L 8 B 489/10 ER –, juris, Rn. 29 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2020 – L 18 AS 1812/19 –, juris, Rn. 26 f., SG München, Urteil vom 10. Februar 2017 – S 46 AS 204/15 –, BeckRS 2017, 106780; Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB, § 7 SGB II – Stand: Juni 2021 – Rn. 336; Klopstock, ZESAR 2017, 426, Fn. 22; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Juni 2010 – L 1 AS 36/08, BeckRS 2010, 74626; Leopold, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB, § 7 SGB II – Stand: 5. Januar 2021 – Rn. 118).

a) Der (fortdauernden) Anwendbarkeit des Deutsch-Österreichischen Fürsorgeabkommens im streitigen Zeitraum stehen weder innerstaatliche Regelungen noch Vorschriften der Europäischen Union entgegen. [...]

b) Die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 2 Abs. 1 DÖFA liegen vor. Die Einwände des Beklagten greifen auch nach Auffassung des Senats im Ergebnis nicht durch; die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts macht sich der Senat auch in diesem Zusammenhang zu eigen.

Art. 1 Nr. 4 DÖFA definiert den Begriff der "Fürsorge" dahin, dass er alle gesetzlich begründeten Geld-, Sach-, Beratungs-, Betreuungs- und sonstigen Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zur Deckung und Sicherung des Lebensbedarfs für Personen umfasst, die keine anderen Voraussetzungen als die der Hilfsbedürftigkeit zu erfüllen haben. So liegt es bei den bedürftigkeitsabhängigen und steuerfinanzierten laufenden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (vgl. allg. zum fürsorgerechtlichen Charakter der Lebensunterhaltsleistungen nach dem SGB II: BSG, Urteil vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 5/07 R –, BSGE 99, 170 = juris, Rn. 35; zur Zuordnung dieser Leistungen zum Fürsorgebetriff des EFA und im Übrigen auch zum Folgenden: BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R –, BSGE 107, 66): Es handelt sich um eine gesetzlich begründete Geldleistung aus öffentlichen Mitteln zur Deckung und Sicherung des existentiellen Lebensbedarfs von Hilfebedürftigen, die systematisch dem Bereich der Fürsorge beziehungsweise dem heute gebräuchlicheren Begriff der sozialen Hilfen unterfällt (vgl. zu diesem U. Becker, in: Ruland/Becker/Axar, Sozialrechtshandbuch, 6. Aufl. 2018, § 1 Rn. 21).

Die Leistungen haben im Sinne des Abkommens keine andere Voraussetzung als diejenige der "Hilfsbedürftigkeit": Die Aufteilung der sozialstaatlichen Fürsorge auf (im Wesentlichen) zwei Sicherungssysteme, also die Grundsicherung für Arbeitsuchende einerseits und die Sozialhilfe andererseits, die mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt einherging, führt dazu, dass die existenzsichernden und dem Lebensunterhalt dienenden Leistungen aus beiden Systemen als Fürsorge im Sinne von Art. 1 Nr. 4 DÖFA zu qualifizieren sind, da beide Systeme (nur gemeinsam) die Deckung und Sicherung des  Lebensbedarfs der Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland sichern. Die Anspruchsvoraussetzung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II und der Altersgrenzen aus § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 7a SGB II dienen bezogen auf den hiesigen Zusammenhang nur der Abgrenzung zur gleichermaßen bedürftigkeitsabhängigen und steuerfinanzierten Sozialhilfe (vgl. § 5 Abs. 2 SGB II, § 21 SGB XII). Die dort vorgesehenen Lebensunterhaltsleistungen sind ihrerseits zweifellos als "Fürsorge" im Sinne des Abkommens zu qualifizieren, müssten aber, folgte man der Argumentation des Beklagten, ebenfalls aus dem Anwendungsbereich des Deutsch-Österreichischen Fürsorgeabkommens herausfallen, da sie als Komplementärleistung zur Grundsicherung für Arbeitsuchende mittelbar gerade die fehlende Erwerbsfähigkeit als zusätzliche Leistungsvoraussetzung vorsehen; das Abkommen liefe somit völlig leer. Im Ergebnis ist mit Blick auf das Deutsch-Österreichische Fürsorgeabkommen daher davon auszugehen, dass die Fürsorgegesetzgebung beziehungsweise das Recht der sozialen Hilfen in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Außerkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes und der Neuordnung des Hilfesystems zum 1. Januar 2005 gerade nicht auf die Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch beschränkt ist, sondern darüber hinaus durch dessen Viertes Kapitel sowie das Sozialgesetzbuch Zweites Buch als – ebenfalls – bedarfsabhängigem Leistungssystem gewährleistet wird (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R –, BSGE 107, 66 Rn. 33). [...]

c) Auch im Übrigen steht der Berufung der Klägerin auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 2 Abs. 1 DÖFA vorliegend nichts entgegen.

So verlangt dieser als weitere Anwendungsvoraussetzung – anders als Art. 1 EFA – jedenfalls seinem Wortlaut nach gar nicht, dass sich der Betroffene "erlaubt" in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Der Senat kann offenlassen, ob – dennoch – auch für das Deutsch-Österreichische Fürsorgeabkommen von einem – dann ungeschriebenen – Tatbestandsmerkmal des rechtmäßigen Aufenthalts im Inland auszugehen ist. Jedenfalls wäre ein derartiges ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eng auszulegen und daher davon auszugehen, dass bei einer Unionsbürgerin die nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU bestehende Vermutung eines rechtmäßigen Aufenthalts ausreicht, um auch im Sinne des Abkommens von einem "erlaubten Aufenthalt" auszugehen; die sogenannte Freizügigkeitsvermutung vermittelt bis zur – im Falle der Klägerin nicht erfolgten – Feststellung ihres Nichtbestehens nach § 5 Abs. 4 FreizügigG/EU einen als rechtmäßig geltenden Aufenthalt (vgl. Dienelt, in: Bergmann/ders., Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 7 FreizügigG/EU Rn. 9). Eine weitergehende Einschränkung der durch das Abkommen eingeräumten Rechtsposition auf Personen, die sich mit einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung im Inland aufhalten, (nur) aufgrund eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals kommt nach Auffassung des Senats nicht in Betracht.

d) Die Klägerin ist schließlich nicht wegen einer sogenannten Um-Zu-Einreise von einer Berufung auf das Gleichbehandlungsgebot und einem Leistungsanspruch ausgeschlossen.

Diesbezüglich sieht das Schlussprotokoll des Deutsch-Österreichischen Fürsorgeabkommens zwar – worauf der Beklagte im Ausgangspunkt zu Recht hinweist – unter Bst. A Ziff. 1 Satz 1 vor, dass Vergünstigungen aus dem Abkommen Personen nicht zugute kommen sollen, die das Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufsuchen, um diese Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen. Der Senat vermag allerdings bereits nicht zu erkennen, dass unmittelbar hierauf ein Ausschluss der Klägerin von den begehrten Leistungen gestützt werden könnte. Vielmehr räumt diese Formulierung des Schlussprotokolls den Vertragsparteien nur die Möglichkeit ein, ohne Verstoß gegen ihre Verpflichtungen aus dem Abkommen innerstaatliche Regelungen zu erlassen, die eine entsprechende Begrenzung der Leistungsansprüche vorsehen. Eine derartige Regelung liegt (und lag) für das Sozialhilferecht in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII vor; im Sozialgesetzbuch Zweites Buch fehlt es dagegen an einer unmittelbar auf diese Einschränkung abgestimmten Regelung. Namentlich kommt nach Auffassung des Senats nicht in Betracht, die verschiedenen Ausschlusstatbestände aus § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II (oder auch nur eine der dort genannten Alternativen) als pauschalierende Ausgestaltung der durch Bst. A Ziff. 1 Satz 1 des Schlussprotokolls zum Deutsch-Österreichischen Fürsorgeabkommen ermöglichten Begrenzungen anzusehen. Mag die Regelung aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch auf diese Personengruppe zielen (vgl. in diesem Sinne LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Juni 2010 – L 1 AS 36/08 –, juris, Rn. 30), so unterscheidet sich die an rechtliche Gegebenheiten, namentlich den ausländerrechtlichen Status, anknüpfende Regelung aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II doch ihrer Struktur nach fundamental von dem auf eine sogenannte Um-Zu-Einreise und damit subjektive Motive zielenden Vorbehalt aus dem Schlussprotokoll. Die eine kann daher nicht als Ausgestaltung des anderen verstanden werden, was nur dadurch zusätzlich deutlich wird, dass das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch jedenfalls in seiner heutigen Fassung beide Ausschlussvarianten nebeneinander normiert (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII einerseits und Nr. 3 andererseits).

Selbst wenn man aber insofern eine andere Auffassung vertreten wollte, so läge im konkreten Einzelfall eine "Um-Zu-Einreise" nicht vor. Diese verlangt einen finalen Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme der entsprechenden Leistung. Das folgt unmittelbar aus dem Wortlaut, denn die Konjunktion "um - zu" bezeichnet ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme der Fürsorgeleistungen den mit ihr verfolgten Zweck bildet (vgl. zu den entspr. Regelungen im BSHG beziehungsweise SGB XII: BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1992 – 5 C 22/87 –, BVerwGE 90, 212, 214; außerdem: BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R –, BSGE 120, 149, Rn. 45; BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 14 AS 18/17 R –, juris, Rn. 31; Schlette in: Hauck/Noftz, SGB, § 23 SGB XII – Stand: Juli 2021 – Rn. 77). Eine "Um-zu-Einreise" in diesem Sinne liegt zwar nicht nur dann vor, wenn der Leistungsbezug einziger Zweck der Einreise nach Deutschland war; der erforderliche finale Zusammenhang ist vielmehr bereits dann gegeben, wenn die Einreise auf verschiedenen Motiven beruhte, sofern der Zweck der Inanspruchnahme entsprechender Leistungen für den Einreiseentschluss von prägender Bedeutung war; er darf also nicht nur neben vorrangigen anderen Zwecken billigend oder notgedrungen in Kauf genommen worden sein (vgl. nochmals BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1992 – 5 C 22/87 –, BVerwGE 90, 212, 214; BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 14 AS 18/17 R –, juris, Rn. 31; Schlette in: Hauck/Noftz, SGB, § 23 SGB XII – Stand: Juli 2021 – Rn. 77). Eine entsprechende Begrenzung folgt aus dem Zweck der Regelung, die missbräuchliche Inanspruchnahme entsprechender Leistungen zu verhindern, der sich schon aus der Gesetzesbegründung der entsprechenden Regelung im Bundessozialhilfegesetz ergibt (vgl. BT-Drucks. 3/1799, S. 60 und dazu BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1992 – 5 C 22/87 –, BVerwGE 90, 212, 214).

Davon ist hier nicht auszugehen. Vielmehr ist der Senat auf Grund der gesamten Umstände der Überzeugung, dass jedenfalls im Vordergrund der Einreisemotive der Klägerin der Wunsch stand, mit ihrem damaligen Partner zusammenzuziehen und mit diesem ein gemeinsames Leben zu führen sowie – damit einhergehend – sich auf diese Weise ein neues Leben aufzubauen. Die Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen hatte daneben jedenfalls keine prägende Kraft. Das ist nur umso plausibler, als die Klägerin in Österreich nach ihren glaubhaften Angaben Zugang zu Sozialleistungen hatte, die den in Deutschland erreichbaren qualitativ nicht nachstanden (vgl. hierzu Pratscher, Bedarfsorientierte Mindestsicherung der Bundesländer im Jahr 2014, Statische Fragen 11/2015 – Soziale Fragen, https://gemeindebund.at/Soziales-BMS_11_15.pdf); dies gilt nur umso mehr, als es plausibel erscheint, dass der Zugang zur österreichischen Mindestsicherung sich sehr viel einfacher gestaltet hätte, als die Inanspruchnahme der streitigen Leistungen, hinsichtlich derer sie bei ihrer erneuten Einreise im Juni 2014 absehen konnte, dass der Beklagte ihre Gewährung wieder ablehnen würde.

Der Senat hat dabei keinerlei Anhaltspunkte, dass die Klägerin gerade im hier streitigen Zeitraum Leistungen der sozialen Mindestsicherung nach österreichischem Recht bezogen hat – die dann im Übrigen ihrerseits zu Unrecht bezogen wären –, so dass er keinen Anlass gesehen hat, der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Anregung des Beklagten zu folgen und hierzu Ermittlungen bei den zuständigen österreichischen Behörden anzustellen. [...]