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VG Cottbus

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Zitieren als:
VG Cottbus, Urteil vom 24.09.2021 - 9 I 9/21 - asyl.net: M30170
https://www.asyl.net/rsdb/m30170
Leitsatz:

Ablehnung eines Antrags auf Durchsuchungsanordnung nach dem Aufenthaltsgesetz:

"[1.] Für Durchsuchungsanordnungen nach dem AufenthG ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (entgegen OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. März 2021 - 13 OB 102/21 - juris).

[2.] Eine Durchsuchungsanordnung kann nur in Bezug auf einen abzuschiebenden Ausländer erlassen werden. Das ist nicht der Fall, wenn ein rechtlich zwingender Duldungsgrund gegeben ist. Ergeben sich insoweit gewichtige Anhaltspunkte aus der Akte der Ausländerbehörde, obliegt es der antragstellenden Behörde, substantiiert darzulegen und gegebenenfalls Nachweise zu erbringen, dass gleichwohl eine Abschiebung des Ausländers rechtlich möglich ist.

[3.] Auf den derzeitigen Aufenthaltsstatus des Ausländers kommt es hierbei nicht an. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass die Ausländerbehörde dem Ausländer wegen des sich aus den Akten ergebenden Duldungsgrundes eine Duldungsbescheinigung ausgestellt hat.

[4.] Eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität ist offensichtlich rechtswidrig, wenn neben dem Duldungsgrund der Passlosigkeit ein weiterer rechtlich zwingender Duldungsgrund tritt (hier: eine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Wohnungsdurchsuchung, rechtliche Unmöglichkeit, Abschiebung, Duldung, Duldung für Personen mit ungeklärter Identität, Duldungsgrund, Abschiebungshindernis, Schutz von Ehe und Familie, Eltern-Kind-Verhältnis, Durchsuchungsanordnung, Anordnung,
Normen: AufenthG § 58 Abs. 6, VwGO § 40 Abs. 1, GG Art. 6, EMRK Art. 8, AufenthG § 60a Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Über den Antrag entscheidet die Kammer; eine alleinige Zuständigkeit des Vorsitzenden nach § 169 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist nicht gegeben, da diese Vorschrift lediglich die Vollstreckung aus Titeln nach § 168 VwGO betrifft (vgl. VG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Dezember 2019 – 3 K 7772/19 – juris Rn. 10). Auch ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Insbesondere kann entgegen der u.a. vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg vertretenen Ansicht in § 58 Abs. 10 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) keine neben der Regelung des § 40 Abs. 1 VwGO gleichrangige eigenständige Zuständigkeitsregelung gesehen werden, die eine Anwendung von Rechtswegzuweisungen in landesrechtlichen Gesetzen ermöglichen würde (so aber: OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. März 2021 – 13 OB 102/21 – juris Rn. 9 ff.). Dieser Rechtsansicht steht schon die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO, der eine ausdrückliche anderweitige Zuweisung der Streitigkeit an ein anderes Gericht verlangt, entgegen. Sinn und Zweck der Regelung des § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO ist es, Zweifel darüber, welches Gericht anzurufen ist, im Interesse der Rechtsuchenden auszuschließen. Nur eine als solche bezeichnete und erkennbare Sonderregelung soll die Zuständigkeit der Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten ausschließen (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 1972 BVerwG – I C 33.70 – juris Rn. 18). Insoweit kann es offenbleiben, ob es überhaupt zulässig wäre, durch Bundesgesetz landesrechtliche Regelungen über den Rechtsweg  zuzulassen, denn § 58 Abs. 10 AufenthG ist schon eine solche ausdrückliche Regelung, wie sie § 40 Abs. 1 Satz 1 2. HS VwGO verlangt, nicht zu entnehmen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. April 2020 – OVG 2 L 5.20 – n.v.).

Der hiernach zutreffend beim Verwaltungsgericht erhobene Antrag ist aber unbegründet. Rechtsgrundlage für die beantragte richterliche Durchsuchungsanordnung ist § 58 Abs. 6 und Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). § 58 Abs. 6 AufenthG bestimmt, dass die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen kann, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert (Satz 1). Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet (Satz 2). Gemäß § 58 Abs. 8 Satz 1 AufenthG dürfen Durchsuchungen nach § 58 Abs. 6 AufenthG nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden.

Die Voraussetzungen des § 58 Abs. 6 AufenthG für eine Durchsuchung zur Durchführung einer Abschiebung liegen hier nicht vor. [...] Eine Abschiebung hat zu dem von der Ausländerbehörde bzw. in Brandenburg wegen § 3 Nr. 6 i.V.m. § 4 Ausländerrechtszuständigkeitsverordnung von der ZABH vorgesehenen Datum auch nicht nur dann zu unterbleiben, wenn der Ausländer am Abschiebungstag noch Inhaber einer gültigen Duldung ist (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 4. Dezember 2020 – VG 9 I 2/20 – für den Fall einer über den Tag der geplanten Abschiebung hinaus gültigen Duldung). Denn insoweit beseitigt eine Duldung zwar weder die Ausreisepflicht (§ 60a Abs. 3 AufenthG) noch deren Vollziehbarkeit, sie führt auch nicht zur Erledigung der Abschiebungsandrohung; sie setzt aber den Vollzug der Abschiebung zeitweilig aus (Bergmann/Dienelt/Dollinger, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 60a Rn. 19).

Ein Ausländer, der nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer am Tag der geplanten Abschiebung noch gültigen Duldungsbescheinigung ist, ist vielmehr auch dann nicht im Sinne von § 58 Abs. 6 AufenthG abzuschieben, wenn seiner Abschiebung zwingende Duldungsgründe entgegenstehen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 4. März 2021 – 27 I 11/21 – juris Rn. 55). Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Abschiebung aus zwingenden rechtlichen Gründen unmöglich und deshalb die Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG auszusetzen ist. [...]

Hiervon ausgehend dürfte nach Lage der Dinge im Fall des Ausländers, dessen Abschiebung die antragstellende Behörde mittels der begehrten Durchsuchung ermöglichen bzw. fördern möchte, die Abschiebung aus einem zwingenden rechtlichen Grund aller Voraussicht nach unmöglich sein. Herr ... ist ausweislich des Inhalts der Ausländerakte der örtlichen Ausländerbehörde (Landkreis ...) und der dort enthaltenen Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft beim Standesamt … (Blatt 186 der Ausländerakte) Vater des am ... 2017 geborenen Kindes .... [...]

Dies zugrunde gelegt spricht vieles, wenn nicht alles für eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus dem angeführten rechtlichen Grund mit der Folge, dass Herr ... jetzt und auf absehbare Zeit gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG zu dulden ist. Herr ... hat nicht nur – wie bereits dargelegt – die Vaterschaft anerkannt und insoweit zur Wahrung der familiären Einheit einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (Anträge vom 5. August 2019 und 23. August 2021) gestellt. Er hat in seinem Schreiben vom 23. August 2021 zudem dargelegt, dass er regelmäßig Zeit mit seiner Tochter verbringe und die Beziehung zu dem Kind für das Kindeswohl sehr wichtig sei. Dem Schreiben war zudem eine Stellungnahme der Kindsmutter (Frau ...) beigefügt, in welcher die Kindsmutter diese tatsächlichen, die Beziehung zwischen Vater und Kind betreffenden Umstände bestätigt. Ferner verweist die Kindsmutter in dem Schreiben darauf, dass sie die Unterstützung des Herrn O...bei der Erziehung der Tochter benötige. Des Weiteren ergibt sich aus der Ausländerakte des Landkreises E..., dass der Antragsgegner zu 1. unter dem 20. August 2019 einen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gestellt hat, den er u.a. damit begründete, dass er mit seiner Arbeit seine Tochter auch materiell unterstützen wolle. Auch dies deutet darauf, dass Herr … seine Vaterrolle aus Verbundenheit und in Verantwortung für seine Tochter wahrnehmen möchte. Schließlich geht auch die Antragstellerin davon aus, dass sich Herr … regelmäßig bei Frau … aufhält und es sich bei Frau … um seine Lebensgefährtin handele; auch dies spricht dafür, dass Herr … nicht nur mit Frau … sondern auch mit seiner im Haushalt von Frau … lebenden Tochter regelmäßig Kontakt pflegt. Jedenfalls ist nichts dafür ersichtlich, dass entgegen der Angaben des Herrn .. und der Frau … im Schreiben vom 23. August 2021 eine von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geschützte Vater-Kind-Beziehung nicht vorliegt. Hierzu trägt die Antragstellerin auch nichts vor, insbesondere was das Vorliegen einer geschützten familiären Lebensgemeinschaft entgegen der aufgeführten Umstände in Frage stellen könnte. Es fällt aber bereits mit Blick auf den fehlenden kontradiktatorischen Charakter des vorliegenden Verfahrens auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung in die Obliegenheit der Antragstellerin, dass diese lückenlos alle Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 58 Abs. 6 AufenthG darlegt und hierfür gegebenenfalls Nachweise vorlegt. Hierzu gehört dann auch die substantiierte und gegebenenfalls belegbare Darlegung, dass es sich bei dem Ausländer um einen "abzuschiebenden Ausländer" handelt und einer Abschiebung des Ausländers auch keine zwingenden rechtlichen oder tatsächlichen Gründe entgegenstehen.

Ist mithin nach dem derzeitigen Erkenntnisstand von einer geschützten Vater-Kind-Beziehung auszugehen, so spricht auch alles dafür, dass diese derzeit und auf absehbare Zeit auch nur in der Bundesrepublik Deutschland geführt werden kann. Sowohl die Kindsmutter als auch die Tochter haben einen Asylantrag gestellt, gegen dessen Ablehnung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Klage beim Verwaltungsgericht Cottbus (Az.: 5 K 2542/17.A) erhoben worden ist; über diese ist noch nicht entschieden. Kindsmutter und Tochter sind daher (noch) im Besitz einer Aufenthaltsgestattung (vgl. § 55 AsylG), so dass ihnen jedenfalls bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asyl(klage)verfahrens eine Ausreise aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland insbesondere nach Kenia nicht zumutbar ist. Hinzuweisen ist noch darauf, dass Frau ... ausweislich des im Verfahren … .enthaltenen AZR-Auszugs auch noch Mutter der am ... 2019 geborenen ... ist. Diese besitzt wohl die deutsche Staatsangehörigkeit; insoweit heißt es in der "Meldung einer vollziehbar ausreisepflichtigen Personen gemäß § 3 Nr. 6 und § 4 AusLRZV zur Durchführung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durch die ZABH" vom 6. September 2021, dass bekannt sei, dass "o.G. ein in Deutschland lebendes Kind eines deutschen Geschwisterkind" habe. Sollte dem so sein, wäre eine Ausreise der Frau ... auch nach Abschluss des Asylverfahrens wohl unzumutbar, da die Lebensgemeinschaft zwischen ihr und dem Kind ... wohl nur in der Bundesrepublik Deutschland möglich wäre; hiervon abgeleitet würde für das Kind … und schließlich über dieses Kind auch für dessen Vater Herr ... im Ergebnis nichts anderes gelten.

Ferner ist derzeit nicht erkennbar, dass im Falle einer Abschiebung des Herrn F...nach Kenia die Trennung zwischen ihm und seinem Kind im Rahmen der Zumutbarkeit kurzfristig wäre. Hiergegen spricht bereits das im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlings vom 9. September 2016 verfügte und auf 30 Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 AufenthG). Diese Frist ist nach Aktenlage auch noch nicht geändert oder aufgehoben worden. Abgesehen davon spricht selbst für den Fall, dass Herrn O...aus dem Ausland eine Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gelingen sollte – deren Beantragung wird durch die Ausländerbehörde ausweislich des in der Ausländerakte enthaltenen Gesprächsvermerk vom 16. September 2021 wohl für geboten erachtet –, wenig für einen kurzfristigen Auslandsaufenthalt und  damit für eine kurzfristige Trennung von Vater und dem am 12.04.2017 geborenen und damit gerade einmal vierjährigen Kind. Denn es fehlt an Anhaltspunkten, dass eine erneute Einreise des Herrn O...dann zeitnah über ein Visumverfahren wahrscheinlich wäre. Ausweislich des Gesprächsvermerks vom 16. September 2021 beabsichtigt die Ausländerbehörde des Landkreises ... den Antrag des Herrn … auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG abzulehnen. Es spricht auch nichts für eine zeitnahe Erteilung eines Visums zum Zwecke des Familiennachzugs insbesondere nach § 29 AufenthG vor dem Hintergrund, dass die Tochter des Herrn … derzeit lediglich Inhaberin einer Aufenthaltsgestattung ist und damit nicht über einen zum Familiennachzug berechtigenden Aufenthaltstitel i.S.d. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verfügt. [...]