LG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 05.11.2021 - 2-21 T 56/20 - asyl.net: M30161
https://www.asyl.net/rsdb/m30161
Leitsatz:

Abschiebungen iranischer Staatsangehöriger grundsätzlich nur bei Vorliegen einer Freiwilligkeitserklärung:

1. Die Anordnung der Unterbringung im Transitbereich im Rahmen eines Flughafenverfahrens ist nach § 15 Abs. 6 S. 4 AufenthG nur zulässig, wenn die Abreise innerhalb der Anordnungsdauer zu erwarten ist.

2. Die Abschiebung iranischer Staatsangehöriger ist im Regelfall nur dann möglich, wenn die betroffenen Personen eine sogenannte Freiwilligkeitserklärung hinsichtlich ihrer Rückkehr abgeben. Die Anordnung im vorliegenden Verfahren war rechtswidrig, da die betroffene Person die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung zuvor verweigert hatte und eine Abreise innerhalb der Anordnungsdauer somit nicht zu erwarten war.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Flughafenverfahren, Sicherungshaft, Abschiebungshaft, Iran, Passlosigkeit, Freiwilligkeitserklärung, Transitbereich, Anordnungsdauer,
Normen: AufenthG § 15 Abs. 6 S. 4,
Auszüge:

[...]

Gemäß § 15 Abs. 6 Satz 4 AufenthG ist die Anordnung einer Freiheitsentziehung zur Sicherung der Abreise nur zulässig, wenn die Abreise innerhalb der Anordnungsdauer zu erwarten ist. Die Anordnung darf also nur der Sicherung der Abreise dienen und setzt voraus, dass die Abreise innerhalb der Anordnungsdauer zu erwarten ist. Ist eine Abreise auf unabsehbare Zeit nicht realisierbar, ist der Verbleib im Transitbereich oder der Unterkunft von vornherein nicht gerechtfertigt (vgl. NK-AuslR/Roman Fränkel, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 15 Rn. 27).

So liegt der Fall hier, da eine Abreise der Beschwerdeführerin innerhalb der Anordnungsdauer nicht zu erwarten war, nachdem die Beschwerdeführerin bereits am 06.03.2020 gegenüber der Beteiligten, jedenfalls aber am 26. März 2020 gegenüber der Beteiligten erklärt hatte, nicht freiwillig in den Iran zurückkehren zu wollen.

Eine Einreise in den Iran ist grds. lediglich mit einem gültigen iranischen Reisepass möglich. Die iranischen Auslandsvertretungen sind angewiesen, diesen jedem/jeder iranischen Staatsangehörigen auf Antrag auszustellen. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Jedoch akzeptiert die iranische Regierung unter Verweis auf die Verfassung grundsätzlich ausschließlich freiwillige Rückkehrende (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran des AA vom 05.02.2021, Seite 25).

Nachdem die Beschwerdeführerin die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung verweigert hatte und ohne Freiwilligkeitserklärung der Beschwerdeführerin eine Abreise in den Iran innerhalb der Anordnungsdauer nicht zu erwarten war, war der Zweck der angeordneten Freiheitsentziehung, die Abreise der Beschwerdeführerin zu sichern, nicht mehr erreichbar. Soweit die Beteiligte anführt, dass in den Jahren 2019/2020 insgesamt in 11 Fällen eine Zurückweisung in dem Iran auch ohne gültige Reisedokumente erfolgen konnte, mag es sich hierbei um Einzelfälle handeln, die - ausweislich des Berichts des AA - der üblichen Praxis des Irans entgegenstehen, und die daher auch nicht die hinreichend zuverlässige Annahme rechtfertigten, die erfolgreiche Rückweisung der Beschwerdeführerin sei auch ohne Freiwilligkeitserklärung zu erwarten.

Dabei ist es im Rahmen des § 15 Abs. 6 AufenthG ohne Belang, dass die Nicht-Abgabe der Freiwilligkeitserklärung im Willen der Beschwerdeführerin stand, denn die Freiheitsentziehung entfällt nicht deswegen, weil die Betroffene ihre Lage durch ihr Handeln selbst herbeigeführt und somit zu vertreten hatte (vgl. Bergmann/Dienelt/Winkelmann/Kolber, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 15 Rn. 58). [...]