Keine Zulassung der Berufung bei Wehrdienstentziehung in Syrien:
"Die Frage der Verfolgungsrelevanz von Wehrdienstentziehung bei syrischen Staatsangehörigen ist auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 19.11.2020 – C-238/19 – ) wegen der Einzelfallbezogenheit keiner verallgemeinerungsfähigen Aussage zugänglich und weist daher keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (juris: AsylVfG 1992) [auf] (Rn.11)."
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
9,10 Der Kläger formuliert in der Antragsschrift vom 30.6.2021 die aus seiner Sicht grundsätzliche Frage, "ob syrischen Männern, die den Wehrdienst verweigert haben oder sesertiert sind, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, weil ihnen politische Verfolgung wegen einer ihnen vom syrischen Regime zugeschriebenen oppositionellen Haltung droht ."
11 Diese von dem Kläger aufgeworfene Frage zeigt auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 19.11.2020 - C-238/19) und des OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 21.1.2021 - OVG 3 B 109.18) keine grundsätzliche Bedeutung im vorgenannten Sinne auf, denn die Frage der Verfolgungsrelevanz von Wehrdienstentziehung bei syrischen Staatsangehörigen ist wegen der Einzelfallbezogenheit keiner verallgemeinerungsfähigen Aussage zugänglich. Die Feststellungen des Gerichtshofs sind weder für jedes Asylbegehren eines syrischen Asylbewerbers von Bedeutung noch präjudizieren sie im Falle einer Bedeutung das Ergebnis (vgl. Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 6.8.2021 – 1 LA 294/21 –, Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 8.6.2021 – 13 A 239/21 –, Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.12.2020 – A 4 S 4001/20 –, juris).
12 Entgegen der Auffassung des Klägers führt die nach der Rechtsprechung des EuGH durch die "starke Vermutung" dass eine Militärdienstverweigerung mit einem der Gründe des Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU (= § 3b AsylG) in Zusammenhang stehe, begründete Beweiserleichterung nicht zu einer von der tatsächlichen Verfolgungslage und den hierzu heranzuziehenden Erkenntnismitteln unabhängigen, unwiderleglichen Verknüpfung von (unterstellter) Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund. Auf die Notwendigkeit dieser Verknüpfung nach § 3a Abs. 3 AsylG sowie Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU verzichtet der EuGH gerade nicht. Vielmehr führt der Gerichtshof aus, dass "Art. 9 Abs. 2 Buchst. e in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen [ist], dass das Bestehen einer Verknüpfung zwischen den in Art. 2 Buchst. d und Art. 10 dieser Richtlinie genannten Gründen und der Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dieser Richtlinie nicht allein deshalb als gegeben angesehen werden kann, weil Strafverfolgung oder Bestrafung an diese Verweigerung anknüpfen"; es spreche aber "eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art. 10 dieser Richtlinie aufgezählten Gründe in Zusammenhang steht", und es sei Sache der zuständigen nationalen Behörden beziehungsweise der nationalen Gerichte, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen" (EuGH, Urteil vom 19.11.2020 - C-238/19 - Rn. 61; zitiert nach juris). Die genannte "starke Vermutung" ist von einer Vielzahl von Voraussetzungen abhängig (Vorliegen einer Militärdienstverweigerung, Vorliegen eines Konflikts, in dem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3 Abs. 2 AsylG) fällt, drohende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Militärdienstverweigerung). Dies bedeutet keine unwiderlegliche Vermutung oder starre Beweisregel, die eine richterliche Überzeugungsbildung nach den zu § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entwickelten Grundsätzen ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 10.3.2021 - 1 B 2.21 -, Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.12.2020 – A 4 S 4001/20 –, juris). Angesichts dessen lässt sich die von dem Kläger aufgeworfene Frage nur unter Würdigung der Einzelfallumstände des konkreten Falles beantworten, ohne dass eine verallgemeinerungsfähige Aussage getroffen werden könnte. [...]