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Zitieren als:
Landesbehörden, Erlass/Behördliche Mitteilung vom 27.10.2021 - 6432-12230/1-8 (60c) - asyl.net: M30133
https://www.asyl.net/rsdb/m30133
Leitsatz:

Hinweise des Niedersächsischen Innenministeriums zum "Spurwechsel" nach § 19d Abs. 1a AufenthG, analoge Anwendung der Norm bei Abschluss der Ausbildung während des Asylverfahrens:

1. Abgelehnten Asylsuchenden, die während des Asylverfahrens eine Ausbildung im Sinne von § 60c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG erfolgreich abgeschlossen haben, ist für die Suche nach einer der erworbenen Qualifikation entsprechenden Weiterbeschäftigung in Anwendung des § 60c Abs. 6 S. 2 AufenthG einmalig eine Duldung aus dringenden persönlichen Gründen nach § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG zu erteilen, wenn keine sonstigen Duldungsgründe vorliegen.

2. Der gleichen Personengruppe ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 19d Abs. 1a AufenthG analog eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

3. Im Rahmen des gemäß § 19d Abs. 1 AufenthG eingeräumten Ermessens kann die Aufenthaltserlaubnis abweichend vom Visumserfordernis nach § 5 Abs. 2 AufenthG und abweichend von einer Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 AufenthG erteilt werden. Das Ermessen ist zugunsten der Betroffenen auszuüben. Im Anspruchsfall des § 19d Abs. 1a AufenthG ist abweichend von §§ 5 Abs. 2, 10 Abs. 3 AufenthG der Aufenthaltstitel zu erteilen.

(Zusammenfassung der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Aufenthaltserlaubnis, Titelerteilungssperre, Integration, Visumsverfahren, Niedersachsen, Ermessensduldung, Asylverfahren, Ausbildung, Berufsausbildung,
Normen: AufenthG § 19d Abs. 1, AufenthG § 19d Abs. 1a, AufenthG § 5 Abs. 2, AufenthG § 10 Abs. 3, AufenthG § 60c, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3, AufenthG § 60c Abs. 6 S. 2,
Auszüge:

[...]

Zu 1) - Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG und Aufenthaltserlaubnis für qualifizierte Geduldete zum Zwecke der Beschäftigung nach § 19d AufenthG:

Mit der Neuregelung des Gesetzes über Ausbildung und Beschäftigung zum 01.01.2020 hat der Gesetzgeber die bis dahin geltende Regelung der Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 S. 4 ff. Aufenthaltsgesetz (AufenthG) als Unterfall der Duldung aus dringenden persönlichen Gründen in die eigenständige Norm des § 60c AufenthG überführt und inhaltlich konkretisiert. Ziel war es, für die Dauer der Berufsausbildung Rechtssicherheit sowohl für die Geduldeten als auch für die Ausbildungsbetriebe zu schaffen.

Der persönliche Anwendungsbereich der Norm beschränkt sich dabei auf Personen, die vor Abschluss ihrer Berufsausbildung vollziehbar ausreisepflichtig sind und entweder im Zeitpunkt der Antragstellung einen Rechtsanspruch auf Duldung oder bereits tatsächlich eine Duldung besitzen.

Nach erfolgreichem Abschluss der Berufsausbildung wird die Duldung gemäß § 60c Abs. 6 S. 2 AufenthG für sechs Monate zum Zweck der Suche nach einer der erworbenen Qualifikation entsprechenden Beschäftigung verlängert, falls die Ausländerin oder der Ausländer im Ausbildungsbetrieb nicht weiterbeschäftigt wird.

Hat die Ausländerin oder der Ausländer eine ihrer oder seiner im Rahmen der Ausbildungsduldung erworbenen Qualifikation entsprechende Beschäftigung gefunden, besitzt sie oder er bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre nach § 19d Abs. 1 a AufenthG zur Ausübung einer Beschäftigung.

Daneben haben auch nach § 60a AufenthG geduldete Ausländerinnen und Ausländer die Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer der im Bundesgebiet erworbenen beruflichen Qualifikation entsprechenden Beschäftigung zu erlangen (§ 19d Abs. 1 AufenthG). Die Ausländerbehörde entscheidet hierüber bei Vorliegen der Voraussetzungen im Rahmen ihres Ermessens. Ausgeschlossen von diesen gesetzlichen Regelungen sind jedoch Ausländerinnen und Ausländer, die bereits während ihres oft Jahre dauernden Asylverfahrens eine in § 60c AufenthG genannte Ausbildung nicht nur aufnehmen, sondern auch erfolgreich abschließen.

Wird schließlich ihr Asylantrag abgelehnt, erhalten sie weder eine für sechs Monate gültige Duldung zur Arbeitsplatzsuche, noch haben sie - eben mangels Besitzes einer Ausbildungsduldung - Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19d Abs. 1 a AufenthG.

Liegen darüber hinaus keine weiteren Duldungsgründe vor, besteht für diese Personen auch nicht die Möglichkeit, im Rahmen der Ermessensvorschrift des § 19d Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen.

Um eine solche Schlechterstellung gegenüber dem von den Regelungen erfassten Personenkreis zu vermeiden, bitte ich Sie im konkreten Einzelfall. wie folgt zu verfahren:

Einer abgelehnten Asylbewerberin oder einem abgelehnten Asylbewerber, die oder der bereits während des Asylverfahrens eine Berufsausbildung i.S.d. § 60c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG erfolgreich abgeschlossen hat, ist für die Suche nach einer der erworbenen Qualifikation entsprechenden Weiterbeschäftigung in Anwendung des § 60c Abs. 6 S. 2 AufenthG einmalig eine Duldung aus dringenden persönlichen Gründen nach § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG zu erteilen, soweit keine anderweitigen Duldungsgründe vorliegen.

Die Ausschlussgründe des § 60c Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 AufenthG sind gleichwohl auch in diesen Fällen zu prüfen und führen ggfs. zu einer Versagung der Duldung.

Einer abgelehnten Asylbewerberin oder einem abgelehnten Asylbewerber, die oder der während des Asylverfahrens eine Berufsausbildung nach § 60c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG erfolgreich abgeschlossen hat, ist bei Vorliegen der Voraussetzungen. des § 19d Abs. 1 a AufenthG analog eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von zwei Jahren zu erteilen.

Zu 2) - Titelerteilungsanspruch i.S.d. § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG:

Abgelehnten Asylbewerberinnen oder Asylbewerbern oder Ausländerinnen und Ausländern, die ihren Asylantrag zurückgenommen haben, darf nach § 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG nur ein Aufenthaltstitel nach dem Abschnitt 5 des AufenthG (humanitärer Titel) erteilt werden. Asylbewerberinnen oder Asylbewerbern, deren Antrag nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, darf nach § 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG hingegen kein Aufenthaltstitel erteilt werden.

Als gemeinsame Ausnahme der jeweiligen Sperre darf beiden Gruppen nach § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG allerdings dann ein Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn hierauf ein Anspruch besteht.

In der Vergangenheit wurde teilweise gefolgert, dass ein solch strikter Rechtsanspruch voraussetze, dass auch die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG - Einreise mit dem für den Aufenthaltszweck erforderlichen Visum - erfüllt sein müsse.

Der betroffene Personenkreis der abgelehnten Asylbewerberinnen oder Asylbewerber erfüllt jedoch diese Voraussetzung in der Regel nicht.

Verneint man demnach abgelehnten Asylbewerberinnen oder Asylbewerbern den Erteilungsanspruch wegen eines nicht durchlaufenen Visumverfahrens, ist es ihnen zwar möglich, im Rahmen der (privilegierten) Ausbildungsduldung ihre Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Sie erhielten jedoch im Falle einer solchen Rechtsauslegung im Anschluss daran keine Aufenthaltserlaubnis nach § 19d Abs. 1 a AufenthG.

Dies widerspräche dem Sinn und Zweck der Norm.

Bei Vorliegen einer solchen Konstellation bitte ich daher, folgendermaßen zu verfahren:

Im Rahmen des gemäß § 19d Abs. 1 AufenthG eingeräumten Ermessens kann die Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 Abs. 2 und § 10 Abs. 3 AufenthG erteilt werden. Das eingeräumte Ermessen ist dabei in der Regel zugunsten des Betroffenen auszuüben.

In Fällen des § 19d Abs. 1a AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 Abs. 2 und § 10 Abs. 3 AufenthG zu erteilen. [...]