LG Paderborn

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Zitieren als:
LG Paderborn, Beschluss vom 25.10.2021 - 5 T 72/21 - asyl.net: M30131
https://www.asyl.net/rsdb/m30131
Leitsatz:

Rechtswidrige Haft bei fehlender Auseinandersetzung mit coronabedingten Einreisebedingungen im Haftantrag:

1. Der Haftantrag muss eine Auseinandersetzung mit den jeweiligen Einreisebedingungen hinsichtlich der Covid-19-Pandemie in das Land, in welches Betroffene abgeschoben werden sollen, erkennen lassen.

2. Eine konkret geplante Festnahme zur Sicherstellung einer Anhörung bedarf einer vorherigen richterlichen Anordnung; § 62 Abs. 5 AufenhG ist nicht anwendbar. Das Absehen von der Einholung einer richterlichen Anordnung kann nicht mit dem Infektionsschutz gerechtfertigt werden, wenn die Schnelltestung der betroffenen Person das formale Verfahren nicht beeinträchtigt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Corona-Virus, Abschiebung, Abschiebungshaft, Haftantrag, Ingewahrsamnahme,
Normen: AufenthG § 62 Abs. 5, FamFG § 417,
Auszüge:

[...]

a. Die Vollziehung der Haft aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts vom 22.01.2021 war im Zeitraum 26.01.2021 bis zur Entlassung am 27.01.2021 rechtswidrig.

Der Antrag vom 19.01 .2021 erfüllt nicht die Anforderungen des § 417 FamFG. Diese Voraussetzung hat das Gericht während des gesamten Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Erforderlich sind danach neben den Angaben zu Identität und gewöhnlichem Aufenthalt des Betroffenen auch Darlegungen zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Die Darlegungen hierzu dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen. Sie müssen auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht (st. Rspr.: BGH, Beschluss vom 10.05.2012, V ZB 246/11 , Rdnr. 9, m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird der Antrag der Beteiligten zu 2) vom 19.01 .2021 nicht gerecht. Denn die Beteiligte zu 2) hat unter Berücksichtigung der zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 9 Monate andauernden COVID 19 Pandemie und deren bekannt gewordenen Auswirkungen auf den nationalen und internationalen Flugverkehr nicht dazu vorgetragen, dass auch das für den entsprechenden Zielstaat Pakistan erforderliche Einreiseverfahren bis zu einer Abschiebung erfolgreich durchgeführt werden könnte. Zwar sind entsprechende Ausführungen in der Stellungnahme vom 08.02.2021, Bl. 59 d. Verfahrensakte, insbesondere zu dem "Pass Track" Verfahren erfolgt. Aufgrund der bereits beendeten Haft konnten diese ergänzenden Angaben den ursprünglichen Begründungsmangel jedoch nicht mehr heilen. Aus diesem Grund war - wie beantragt - die Rechtswidrigkeit des Gewahrsams ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Aufhebungsantrags am 26.01.2021 bis zur Entlassung des Betroffenen aus der Haft am 27.01.2021 festzustellen. [...]

b. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist auch die Ingewahrsamnahme des Betroffenen rechtswidrig erfolgt. Vorliegend ist aufgrund der amtsgerichtlichen Feststellungen von einer für den 22 .01.2021 geplanten Ingewahrsamnahme des Betroffenen zur Sicherstellung der Anhörung an dem Tag auszugehen. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte geht die Kammer zudem davon aus, dass die Maßnahme auch erst am 22.01.2021 erfolgt ist. Die von der Beteiligten zu 2) gegebene Begründung trägt eine Ingewahrsamnahme ohne vorherige richterliche Anordnung nicht. Eine konkret geplante Festnahme bedarf regelmäßig einer vorherigen richterlichen Anhörung; § 62 Abs. 5 AufenthG ist in den Fällen nicht anwendbar (vgl. Winkelmann in: Bergmann/Dienelt, Kommentar zum Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 62 Rn. 246). Aber auch darüber hinaus ist aufgrund der Antragstellung bereits am 19.01 .2021 nicht ersichtlich, warum nicht zugleich eine richterliche Anordnung zur Ingewahrsamnahme eingeholt werden konnte. Mit dem Infektionsschutz konnte die Beteiligte zu 2) ein Absehen von der Einholung einer vorherigen richterlichen Anordnung nicht begründen, da nicht ersichtlich ist, dass die Einhaltung des formalen Verfahrens in diesem Fall eine Schnelltestung des Betroffenen auf eine mögliche Infektion mit dem Corona-Virus in irgendeiner Weise beeinträchtigt hätte. [...]