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VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 03.09.2021 - 2 K 1400/21 - asyl.net: M30126
https://www.asyl.net/rsdb/m30126
Leitsatz:

„Duldung light“ nur wenn Mitwirkungspflichtverletzung kausal für Abschiebungshindernis:

1. Die Erteilung einer Duldung für Personen mit ungeklärter Identität nach § 60b AufenthG kommt nur dann in Betracht, wenn die Verletzung der Mitwirkungspflicht durch die betroffene Person kausal für die Unmöglichkeit der Abschiebung ist. Sie scheidet hingegen dann aus, wenn eine Abschiebung auch aus anderen Gründen unmöglich ist.

2. Von einer fehlenden Kausalität ist demnach dann auszugehen, wenn die Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Dies vorliegend der Fall, da für die betroffene Person keine vollziehbare Abschiebungsandrohung vorliegt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Duldung für Personen mit ungeklärter Identität, Sierra Leone, Guinea, Mitwirkungspflicht, Kausalität, Arbeitsverbot, Beschäftigungsverbot, Abschiebungsandrohung, Vollziehbarkeit,
Normen: AufenthG § 60b Abs. 1 S. 1, AufenthG § 60b Abs. 5 S. 2,
Auszüge:

[...]

2 Der Kläger ist nach eigenen Angaben sierra-leonischer Staatsangehöriger. Er wurde mit Verfügung vom ….2019 aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Seine Klage gegen die Ausweisung wurde mit Urteil vom 3.9.2021 abgewiesen. Eine ursprünglich mit der Ausweisung verfügte Androhung seiner Abschiebung nach Sierra Leone wurde am 3.9.2021 aufgehoben; die Beklagte hat gleichzeitig die Abschiebung des Klägers nach Guinea angedroht und ihm eine Ausreisefrist von 30 Tagen eingeräumt. Der Kläger hat hiergegen Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen 2 K 1749/21 fortgeführt wird. [...]

14 2. Die Klage ist auch begründet. Die Voraussetzungen des § 60b Abs. 1 AufenthG für eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität liegen nicht vor, die entsprechende Nebenbestimmung zur Duldung vom 9.6.2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. [...]

16 Eine Duldung gemäß § 60b AufenthG kommt nur dann als Nebenbestimmung zu einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG in Betracht, wenn als einziges Rückführungshindernis ein tatsächlicher Grund, mithin fehlende Passdokumente, vorliegt. Eine solche Duldung darf daher nicht erteilt werden, sofern im Fall des Betroffenen weitere Abschiebungshindernisse bestehen, insbesondere wenn eine Abschiebung auch aus rechtlichen Gründen unmöglich wäre. Denn in diesem Fall wäre die unterlassene Passbeschaffung – als tatsächlicher Grund – bereits nicht mehr kausal für die Unmöglichkeit der Abschiebung. Das insofern hinzutretende Abschiebungshindernis der rechtlichen Unmöglichkeit unterbricht die Kausalität, welche für die Anwendung des § 60b AufenthG erforderlich ist (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22. November 2016 – OVG 12 S 61.16 –, Rn. 8, juris, VG Cottbus Beschl. v. 28.5.2020 – 9 L 134/20, BeckRS 2020, 11169 Rn. 6, BeckOK MigR/Wittmann, 7. Ed. 1.1.2021, AufenthG § 60b Rn. 28.1, beckonline). Anderenfalls würde die Mitwirkungsverweigerung isoliert sanktionieren, was ausweislich des Wortlauts der Norm aber gerade nicht beabsichtigt ist (BeckOK AuslR/Kluth, 30. Ed. 1.7.20 21, AufenthG § 60b Rn. 16). Sofern die unterbliebene Passbeschaffung der Rückführung daher nicht als einziger Grund entgegensteht, kann § 60b AufenthG nicht zur Anwendung gelangen (VG Bremen, B. v. 16.3.21, 2 V 371/21).

17 Der Umstand, dass der Kläger über Jahre keine Bemühungen um Personaldokumente nachgewiesen hat, war weder zum Zeitpunkt der Erteilung der Duldung am 9.6.2021, noch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung allein kausal dafür, dass eine Abschiebung des Klägers nicht vollzogen werden konnte.

18 Ursprünglich konnte eine Abschiebung schon deshalb nicht erfolgen, da dem Kläger lediglich eine Abschiebung nach Sierra Leone androht worden war. Bezüglich dieses Zielstaates wurde jedoch für den Kläger ein Abschiebungsverbot festgestellt, mangelnde Mitwirkungshandlungen konnten daher nicht kausal für die nicht erfolgte Abschiebung sein (BeckOK MigR/Wittmann, 8. Ed. 1.5.2021, AufenthG § 60b Rn. 30). Hinsichtlich weiterer Staaten lag eine konkrete Zielstaatsbestimmung, ohne die eine Abschiebung dorthin nicht hätte erfolgen können (vgl. OVG Münster, B. v. 13.1.2020, 19 A 2730/19.A, juris), nicht vor. 19 Die in der mündlichen Verhandlung erfolgte Abschiebungsandrohung nach Guinea ist – noch – nicht vollziehbar. Denn der Kläger hat gegen die veränderte Abschiebungsandrohung Klage erhoben, der aufschiebende Wirkung zukommt. Zudem ist die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen noch nicht abgelaufen.

20 3. Aus dem gesagten resultiert, dass dem Kläger nicht gemäß § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG die Ausübung einer Erwerbstätigkeit untersagt werden kann. [...]