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AG Bernburg

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Zitieren als:
AG Bernburg, Beschluss vom 05.10.2021 - 7 XIV 74/21 - asyl.net: M30075
https://www.asyl.net/rsdb/m30075
Leitsatz:

Rechtswidrige vorläufige Ingewahrsamnahme im Anschluss an Untersuchungshaft:

Eine vorläufige Ingewahrsamnahme nach § 62 Abs. 5 AufenthG setzt voraus, dass eine richterliche Entscheidung über eine Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann. Im vorliegenden Fall ist die vorläufige Ingewahrsamnahme im Verhandlungssaal des Strafgerichts rechtswidrig, da die Behörde damit rechnen musste, dass die Untersuchungshaft des Betroffenen mit Urteilsverkündung aufgehoben werden würde.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Haftbeschluss, Untersuchungshaft, Abschiebungshaft, vorläufige Ingewahrsamnahme, Sicherungshaft,
Normen: AufenthG § 62 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

I. Der Betroffene befand sich wegen eines vor dem Amtsgericht geführten Strafverfahrens in Untersuchungshaft. Nach einem ersten Verhandlungstermin am 02.09.2017 blieb die Untersuchungshaft aufrechterhalten und wurde erst mit Urteilsverkündung in einem weiteren Termin am 18.10.2017 aufgehoben. Unmittelbar im Anschluss an die mündliche Verhandlung nahm die beteiligte Behörde den Betroffenen in Gewahrsam und beantragte den Erlass eines Abschiebehaftbefehls, den das Amtsgericht noch am gleichen Tag erließ. [...]

II. Der zulässige Antrag des Betroffenen ist begründet. Die Ingewahrsamnahme des Betroffenen war rechtswidrig. Deren Voraussetzungen nach§ 62 Abs. 5 AufenthG lagen nicht vor. Danach kann eine für den Haftantrag zuständige Behörde einen Ausländer nur dann ohne vorherige richterliche Anhörung festhalten und in Gewahrsam nehmen, wenn unter anderem die richterliche Entscheidung über die Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann. Dies war indes nicht der Fall. Denn ohne Weiteres wäre es der beteiligten Behörde möglich gewesen, zumindest eine einstweilige Anordnung beim Amtsgericht zu erwirken. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass die beteiligte Behörde ausweislich der beigezogenen Verwaltungsakte bereits vor dem ersten Hauptverhandlungstermin die Abschiebung nach Nigeria geplant und sogar bereits für den Termin am 27.09.2017 einen Haftantrag vorbereitet hatte (Bl. 118 Bd. I VA). Von einem "ungeplanten" Geschehen kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein. Mit einer Aufhebung der Untersuchungshaft musste die beteiligte Behörde indes jederzeit rechnen. Dass sie diesen Fall auch in Erwägung gezogen hat, bezeugen sowohl der Entwurf des Haftantrags vom 27.09.2017 wie auch das in der Akte befindliche, an die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord gerichtete Amtsvollzugshilfeersuchen vom 16.10.2017 (Bl. 142 Bd. I VA), in dem die Festnahme für den Fall, dass der Betroffene aus der Untersuchungshaft entlassen wird, bereits in Aussicht gestellt wird. Hinderungsgründe dafür, dass die beteiligte Behörde zumindest nicht zeitgleich eine einstweilige Anordnung beim Amtsgericht beantragt hat, sind nicht ersichtlich. [...]