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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 31.08.2021 - XIII ZB 158/20 - asyl.net: M30034
https://www.asyl.net/rsdb/m30034
Leitsatz:

Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens durch Anhörung in Abwesenheit des Bevollmächtigten:

Das Amtsgericht hat den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt, indem es dem Rechtsanwalt des Betroffenen nicht ermöglicht hat, an der Anhörung teilzunehmen. Insbesondere war schon bei der Ladung zu einem Termin am selben Tag ersichtlich, dass der Rechtsanwalt aufgrund der Entfernung nicht teilnehmen können würde.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Anhörung, Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwalt, faires Verfahren, Bundesgerichtshof,
Normen: FamFG § 420, FamFG § 427, GG Art. 20 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

2. Die Zurückweisung der Beschwerde hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Amtsgericht hat durch seine Verfahrensgestaltung bei Anordnung der Haft das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt. Auf seinen Antrag ist deshalb festzustellen, dass der Vollzug der Haftanordnung vom 13. Juli 2020 ihn in seinen Rechten verletzt hat.

a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8, vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7, und vom 22. Juni 2021 - XIII ZB 92/20, z. Veröff. best.). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5, und vom 7. April2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf dem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).

b) Danach hat das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens bei der Anordnung der Haft verletzt, weil es dem Rechtsanwalt des Betroffenen eine Teilnahme an der Anhörung nicht ermöglicht hat. Es hat die Anhörung durchgeführt, obwohl schon bei der Ladung ersichtlich war, dass der Bevollmächtigte aufgrund der Entfernung nicht werde teilnehmen können, der Bevollmächtigte einen Verlegungsantrag gestellt hatte und der Betroffene in der Anhörung angegeben hat, ohne seinen Rechtsanwalt nichts (weiter) sagen zu wollen.

c) Eine Heilung des Verfahrensfehlers durch eine Nachholung der Anhörung des Betroffenen ist zwar grundsätzlich mit Wirkung für die Zukunft möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - XIII ZB 123/19, juris Rn. 14 mwN). Hier hat die Anhörung aber zu einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls durch das Beschwerdegericht und zu der Entlassung des Betroffenen geführt. Damit hat die gesamte auf der Grundlage der amtsgerichtlichen Entscheidung vollzogene Haft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt. [...]