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LG Essen

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Zitieren als:
LG Essen, Beschluss vom 16.08.2021 - 7 T 163/21 - asyl.net: M29981
https://www.asyl.net/rsdb/m29981
Leitsatz:

Rechtswidrigkeit der Anordnung von Abschiebungshaft wegen fehlender Beiziehung der Ausländerakte:

1. Die Anordnung von Abschiebungshaft setzt im Regelfall die vorherige Beiziehung der Ausländerakte voraus.

2. Als Nachweis der Beiziehung der Ausländerakte ist es nicht ausreichend, wenn die Ausländerbehörde lediglich erklärt, diese per E-Mail versandt zu haben und eine automatisierte Antwort des Amtsgerichts mit dem Titel "Ausländerakte" vorlegt, ohne dass nachgewiesen werden kann, dass der Versand tatsächlich erfolgt ist bzw. das Gericht die Ausländerakte zur Kenntnis genommen hat. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Ausländerakte, elektronische Aktenübersendung, Beiziehung, Antrag,
Normen: FamFG § 62 Abs. 1, FamFG § 17 Abs. 2 S. 3,
Auszüge:

[...]

2.

In der Sache hat die Beschwerde Erfolg und die Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 04.03.2021 ist festzustellen. Die Haft ist nämlich bereits deshalb rechtswidrig angeordnet worden, weil das Amtsgericht die Ausländerakte nicht beigezogen hat. Die vollständige Ausländerakte, die nach § 417 Abs. 3 S. 2 FamFG mit dem Antrag vorgelegt werden soll, ist regelmäßig die notwendige Grundlage der Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft (BT-Drucks. 16/9733, 299; BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 2020 - 2 BvR 2345/16 -, Rn. 47, juris; BVerfG, Beschluss vom 10. Dezember 2007 - 2 BvR 1033/06 -, Rn. 30, juris; BGH, Beschluss vom 03.04.2010 - V ZB 222/09 -, Rn. 19, juris m.w.N.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich der unter Beiziehung der Ausländerakte festzustellende Sachverhalt aus den vorgelegten Auszügen der Akte vollständig ergibt (BT-Drucks. a.a.O.; BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 2020 - 2 BvR 2345/16 -, Rn. 53, juris). In diesem Fall muss das Gericht jedoch zumindest ausdrücklich im Haftbeschluss feststellen und plausibel begründen, warum ausnahmsweise von der Beiziehung der Ausländerakte abgesehen werden konnte. Tut es das nicht, ist die Freiheitsentziehung rechtswidrig und der Mangel kann nachträglich nicht geheilt werden (BVerfG, a.a.O.).

Das Amtsgericht hat in seinem Beschluss vom 04.03.2021 nicht auf die Ausländerakte Bezug genommen. In der Gerichtsakte befinden sich auch keine Auszüge aus der Ausländerakte. Zwar hat der Beteiligte zu 2. im Beschwerdeverfahren vorgetragen, die Ausländerakte sei elektronisch übersandt worden. Aus der im Beschwerdeverfahren übersandten Ausländerakte ergibt sich insoweit, dass am 04.03.2021 per E-Mail eine automatische Antwort des Amtsgerichts Gelsenkirchen über den nicht rechtswirksamen Eingang einer elektronischen Nachricht der Stadt Krefeld mit dem Titel Ausländerakte an die Stadt Krefeld versandt wurde (Bl. 190 d. Ausländerakte). Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass die Ausländerakte tatsächlich übersandt worden ist bzw. dass der entscheidende Richter sie zur Kenntnis genommen hat. Der Angabe in dem Haftantrag des Beteiligten zu 2., die Akte liege vor, ist lediglich zu entnehmen, dass sie ihm bei Abfassung des Antrags vorgelegen hat und er bereit ist, sie dem Amtsgericht zur Verfügung zu stellen.

Im Vermerk über die Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht ebenfalls nicht niedergelegt, dass die Akte vorgelegen habe. Es versteht sich auch nicht von selbst, dass die bei der Anhörung anwesenden Mitarbeiter der Ausländerbehörde Gelsenkirchen die Akte des Beteiligten zu 2) mit sich geführt haben. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem übrigen Inhalt der amtsgerichtlichen Akte. Auf die Bitte nach Akteneinsicht des Verfahrensbevollmächtigten gegenüber dem Amtsgericht hat es vielmehr erklärt, dass die Akte nicht vorliege und das Ausländeramt über die Akteneinsicht informiert worden sei. Im Beschluss hat es nicht begründet, warum es die Akte nicht beigezogen habe. [...]