OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.05.2021 - 9 A 1489/20.A - asyl.net: M29963
https://www.asyl.net/rsdb/m29963
Leitsatz:

Kein internationaler Schutz für Yezidin aus dem Irak:

Angehörigen der yezidischen Glaubensgemeinschaft droht in der Region Sindjar weder durch den irakischen Staat noch durch den IS oder andere nichtstaatliche Akteure eine an ihre Religion anknüpfende flüchtlingsschutzrelevante Gruppenverfolgung.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Irak, Yeziden, Gruppenverfolgung, Abschiebungsverbot, medizinische Versorgung, psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Sindjar, Ninive, Kurdistan, Vorverfolgung, IS, ISIS,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 4, RL 2011/95/EU Art. 4 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

Nach diesen Maßstäben ist der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist nicht anzunehmen, dass ihr bei einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im dargestellten Sinne droht. Eine individuelle Verfolgung hat die Klägerin nicht geltend gemacht (dazu 1.). Auf der Grundlage der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegenden aktuellen Erkenntnisse ist auch eine Gruppenverfolgung von Yeziden im Distrikt Sindjar nicht beachtlich wahrscheinlich (dazu 2.). [...]

2. Wegen ihres yezidischen Glaubens ist die Klägerin bei einer Rückkehr in ihre insoweit maßgebliche Herkunftsregion im Irak, den Distrikt Sindjar der Provinz Ninive, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Gruppenverfolgung ausgesetzt. [...]

Nach diesen Maßstäben ist der Senat unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Informationen zur aktuellen Lage im Irak zu der Überzeugung gelangt, dass eine Gruppenverfolgung von Yeziden im Distrikt Sindjar der Provinz Ninive derzeit nicht beachtlich wahrscheinlich ist. Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Yeziden droht dort aktuell weder durch den irakischen Staat (dazu a)) noch durch den IS (dazu b)) oder durch sonstige nichtstaatliche Dritte (dazu c)) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ihre Religion anknüpfende Verfolgung als Gruppe.

a) Eine systematische Verfolgung von Yeziden durch den irakischen Staat wegen deren Religionszugehörigkeit findet im Irak nicht statt.

Die aktuelle Verfassung des Irak von 2005 erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Zwar ist gemäß Art. 2 Abs. 1 der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung. In Art. 2 Abs. 2 wird jedoch das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Art. 3 legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes. Art. 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie zum Beispiel den Abfall vom Islam. Auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, zum Beispiel die Beleidigung des Propheten, gibt es nicht. Die meisten religiösen Minderheiten sind im Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze. Auf die yezidische Minderheit entfällt danach ein Sitz (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021) vom 22. Januar 2021 - Lagebericht -, S. 11).

Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten - so auch Yeziden - im Zentralirak unter weitreichender faktischer Diskriminierung. Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet jedoch nicht statt (vgl. UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, Mai 2019, S. 87 f.; AA, Lagebericht vom 22. Januar 2021 (Stand: Januar 2021), S. 11 und 17).

Das gilt namentlich auch für die Region Sindjar, die zuletzt im Wesentlichen unter der administrativen Kontrolle der irakischen Sicherheitskräfte stand, aber seit 2005 sowohl von der irakischen Zentralregierung als auch von der Kurdischen Regionalregierung für sich beansprucht wird. De facto ist die Region von verschiedenen bewaffneten Gruppierungen besetzt - dazu zählen etwa die Iraqi Security Forces (ISF), die syrisch-kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG), die Popular Mobilization Forces (PMF), die Shingal Protection Units (YBS) sowie die lokale yezidische Miliz Ezidxan Protection Force (HPE) -, die die Stabilität der Region gefährden. Der Kampf dieser rivalisierenden Kräfte in der Region Sindjar, der Status als "umstrittenes Gebiet" und das Fehlen einer politischen Lösung beeinträchtigen die Sicherheit in der Region. Zudem ist das Sicherheitsempfinden der Yeziden durch die erlebte Gewalt und die Zerrüttung des Vertrauens in (ehemalige) Nachbarn und auch staatliche Sicherheitskräfte belastet (vgl. die auf dem Internetportal www.southfront.org veröffentlichten Kartendarstellungen zur militärischen Situation im Irak und in Syrien, insbesondere vom 5. Januar 2020, vom 31. März 2020, vom 31. August 2020 und vom 4. Januar 2021; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Irak, 17. März 2020, S. 87; CIVIC, Caught in the middle. The impact of security and political fragmentation on civilian protection in Sinjar, Oktober 2020, S. 7 und 18 ff.; SEM, Focus Irak. Lage der jesidischen Bevölkerung in Ninawa, 16. Januar 2020, S. 10 f. und 27 ff.). [...]

b) Es besteht derzeit auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine (erneute) Gruppenverfolgung von Yeziden in der Region Sindjar durch den IS. Zwar geht der Senat davon aus, dass die Klägerin im August 2014 vor einer drohenden (Gruppen-)Verfolgung durch den IS aus ihrem Heimatdorf im Sindjar geflohen ist und den Irak vorverfolgt verlassen hat (dazu aa)). Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats sprechen allerdings stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung durch den IS (dazu bb)).

aa) Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin als Yezidin aus dem Distrikt Sindjar im Sommer 2014 von einer Gruppenverfolgung durch den IS bedroht gewesen ist. [...]

bb) Allerdings ist die deshalb nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU bestehende Vermutung, dass die Furcht der Klägerin vor Verfolgung begründet ist, widerlegt. Es sprechen zur Überzeugung des Senats stichhaltige Gründe dagegen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in den Distrikt Sindjar im Irak erneut von einer Gruppenverfolgung durch den IS bedroht wird.

Die tatsächlichen Verhältnisse im Irak und auch im Distrikt Sindjar haben sich insoweit zwischenzeitlich entscheidend verändert (dazu (1)). Die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche  Verfolgungsdichte liegt nach Einschätzung des Senats im maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht (mehr) vor (dazu (2)). Dass der IS zu einer Gruppenverfolgung der Yeziden im Sindjar in absehbarer Zeit erneut in der Lage wäre, ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ebenfalls nicht zu erkennen (dazu (3)) (so schon Nds. OVG, Urteil vom 30. Juli 2019 - 9 LB 133/19 -, juris Rn. 68 ff. (bezogen auf den damaligen Entscheidungszeitpunkt)).

(1) Die Machtverhältnisse im Irak haben sich inzwischen maßgeblich verändert.

Der IS hat seine früheren Herrschaftsgebiete im Irak weitgehend verloren. Die von ihm kontrollierten Gebiete wurden nach und nach durch irakische Sicherheitskräfte und kurdische Peschmerga befreit. Die Stadt Sindjar wurde bereits im November 2015 zurückerobert. Im Juli 2017 wurde die seit Oktober 2016 andauernde Operation zur Befreiung Mosuls abgeschlossen. Danach folgte die vergleichsweise schnelle Befreiung von Tal Afar, Hawija und der Grenzregion zu Syrien um al-Qaim (vgl. AA, Lageberichte vom 18. Februar 2016 (Stand: Dezember 2015), S. 9, und vom 12. Februar 2018 (Stand: Dezember 2017), S. 4).

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den IS. Die Sicherheitslage im Irak hat sich seitdem verbessert (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der  Staatendokumentation - Irak, 17. März 2020, S. 14). [...]

(2) Die Aktivitäten des IS gegenüber Yeziden im Distrikt Sindjar erfüllen bei der gebotenen wertenden Betrachtung aktuell nicht das Erfordernis der Verfolgungsdichte, so dass eine Gruppenverfolgung mit der Regelvermutung individueller Betroffenheit aller Yeziden nicht (mehr) angenommen werden kann.

(a) Für die zahlenmäßige Grundlage der gebotenen Relationsbetrachtung ist zunächst die Gesamtzahl der im Distrikt Sindjar lebenden Yeziden zu ermitteln.

Der Senat geht im Wege einer Schätzung davon aus, dass im Distrikt Sindjar derzeit ungefähr 100.000 Yeziden leben. [...]

(b) Weiter sind Anzahl und Intensität der vom IS ausgehenden, gezielt gegen Yeziden gerichteten Verfolgungsmaßnahmen im Distrikt Sindjar möglichst detailliert festzustellen.

Dem Senat liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass der IS, der derzeit keine Gebietsherrschaft im Distrikt Sindjar ausübt, dort lebende Yeziden bei ihrer Religionsausübung behindert oder sonst deren Religionsausübung einschränkt. Ebenso findet aktuell keine Vertreibung von Yeziden aus dem Distrikt Sindjar durch den IS statt.

Allerdings ist der IS - wie unter (1) dargestellt - in der Region gleichwohl aus dem Untergrund heraus aktiv, er verübt insbesondere Anschläge und führt Angriffe durch, die zu Toten und Verletzten führen. Von diesen Gewalttaten sind auch Yeziden betroffen. Inwieweit es sich bei sicherheitsrelevanten Vorfällen jedoch um - hier zu ermittelnde - vom IS ausgehende Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 3a AsylG gegen im Distrikt Sindjar lebende Yeziden handelt, ist den vorhandenen Informationen zu Vorfällen und Opferzahlen häufig nicht zweifelsfrei zu entnehmen. Bei einigen sicherheitsrelevanten Vorfällen ist bereits der Akteur nicht bekannt, so dass der konkrete Vorfall nicht dem IS zugerechnet werden kann, selbst wenn er von diesem verübt wurde; andererseits dürfte es Anschläge geben, zu denen sich der IS bekennt, obwohl er hierfür nicht verantwortlich ist. Zum Teil beschränken sich Zahlenangaben zu Opfern sicherheitsrelevanter Vorfälle auf die Anzahl an Toten, die für die vorliegende Fragestellung nach Opfern gezielter Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG jedoch nur bedingt aussagekräftig ist. Häufig lässt sich Berichten über zivile Opfer zudem nicht entnehmen, ob die Opfer Yeziden waren. Selbst wenn diese Tatsache bekannt ist, ist weiter oftmals nicht sicher festzustellen, ob die Opfer zielgerichteten Übergriffen in Anknüpfung an ihre Religion ausgesetzt waren oder aber (Zufalls-)Opfer allgemeiner, nicht zielgerichteter Gewalt gewesen sind. Schließlich lassen sich Berichte über sicherheitsrelevante Vorfälle und Opfer zum Teil örtlich nicht exakt zuordnen, namentlich nicht konkret zur Region Sindjar. So werden Zahlen in einigen Quellen etwa nur für die gesamte Provinz Ninive erfasst, ohne dass daraus erkennbar ist, in welchem Umfang der Distrikt Sindjar betroffen gewesen ist. [...]

(c) Ausgehend von diesen Zahlen zur Größe der Gruppe der Yeziden im Sindjar und zu Verfolgungshandlungen gegen diese Gruppe durch den IS ergibt sich in quantitativer Hinsicht keine  Verfolgungswahrscheinlichkeit, die die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt.

Nach den (zum Teil hochgerechneten) Zahlen aus den genannten ACCORD-Berichten gab es in den Jahren 2019 und 2020 durchschnittlich 299 Tote pro Jahr in der gesamten Provinz Ninive. Unterstellt man, dass sich die Todesfälle gleichmäßig auf die neun Distrikte der Provinz (vgl. hierzu EASO, Iraq - Security Situation, Country of Origin Information Report, Oktober 2020, S. 118) verteilt haben, ergäbe sich für den Distrikt Sindjar ein Zahl von ca. 34 Toten. Von dieser Zahl ist ein Abschlag vorzunehmen, weil darin sämtliche Todesfälle enthalten sind, namentlich auch Opfer sonstiger, nicht vom IS ausgehender Gewalt, yezidische Opfer nicht-zielgerichteter Gewalt und nicht-yezidische Opfer. Geht man davon aus, dass die Hälfte der Opfer Yeziden waren, die durch zielgerichtete Verfolgung durch den IS getötet wurden (17 Fälle), dass auf einen Todesfall ein Verletzter kommt (34 Fälle), sowie dass es eine Dunkelziffer von 1:2 gibt, liegt die Fallzahl bei 68 pro Jahr. Bei einer angenommenen Bevölkerungszahl von 100.000 errechnet sich daraus eine Wahrscheinlichkeit dafür, als Yezide im Sindjar vom IS verfolgt zu werden, von ca. 1:1.471 (0,068 %).

Legt man die unmittelbar aus ACLED ermittelten, in Bezug auf die vorliegende Fragestellung gefilterten Zahlen zugrunde, gab es in den Jahren 2019 und 2020 durchschnittlich 24 Tote pro Jahr im Distrikt Sindjar durch Vorfälle unter IS-Beteiligung. Unterstellt man dabei zugunsten der Klägerin, dass alle Todesopfer Yeziden und Opfer zielgerichteter Gewalt seitens des IS gewesen sind, und geht wiederum davon aus, dass auf einen Todesfall ein Verletzter käme, und berücksichtigt weiter eine Dunkelziffer von 1:2, errechnet sich eine Fallzahl von 96. Die Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann bei ca. 1:1.041 (0,096 %). [...]

Bei einer wertenden Betrachtung dieser zahlenmäßigen Feststellungen zur Verfolgungswahrscheinlichkeit gelangt der Senat nicht zu einem anderen Ergebnis.

Die allgemeine Sicherheitslage im gesamten Irak und auch in der Provinz Ninive hat sich - wie unter (1) ausgeführt - seit der Beendigung der territorialen Gebietsherrschaft des IS im Irak kontinuierlich verbessert. Zwar gibt es immer wieder Phasen, in denen die Anzahl der IS-Angriffe (zum Teil erheblich) ansteigt, etwa im Rahmen der jährlichen Frühjahrsoffensiven des IS. Gleichwohl ist die Zahl der Vorfälle tendenziell sinkend (vgl. hierzu bereits Urteil des Senats vom 28. August 2019 - 9 A 4590/18.A -, juris Rn. 58 ff.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Irak, 17. März 2020, S. 14; Joel Wing, Violence continues to decline in Iraq in winter 2020-21, 4. Februar 2021).

Hinzu kommt, dass sich der Kampf des IS derzeit schwerpunktmäßig gegen Sicherheitskräfte richtet und weniger gegen Zivilpersonen, und dass die Provinz Ninive aktuell kein Hauptziel von Anschlägen ist, sondern vom IS vielmehr als "Nachschubroute" genutzt wird.

Jedenfalls als Indiz für eine fehlende drohende Gruppenverfolgungsgefahr kann schließlich auch der Umstand angesehen werden, dass seit Juni 2020 mehrere Tausend Yeziden in den Distrikt Sindjar zurückgekehrt sind (so auch Nds. OVG, Urteil vom 30. Juli 2019 - 9 LB 133/19 -, juris Rn. 113).

Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Rückkehr teilweise gewissermaßen erzwungen war, etwa bedingt durch Campschließungen oder Bewegungseinschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie. Gleichwohl war neben dem Wunsch, wieder in der Heimatregion zu leben, gerade auch die verbesserte Sicherheitslage ein Grund für Yeziden, in den Sindjar zurückzukehren (vgl. UNOCHA, Humanitarian Bulletins, Juni 2020, S. 1, und März 2021, S. 4).

Über die Gründe, warum zurückgekehrte Binnenvertriebene nach einiger Zeit doch wieder in Camps Aufnahme suchen, lässt sich den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen kein abschließendes Bild entnehmen. Hauptgründe scheinen Einzelberichten zufolge aber eher die prekären Lebensbedingungen vor Ort sowie eine gewisse Besorgnis über die noch immer angespannte Sicherheitslage in der Region zu sein als drohende Verfolgungsmaßnahmen durch den IS (vgl. UNOCHA, Humanitarian Bulletin, März 2021, S. 4).

(3) Im Zeitpunkt der Entscheidung des Senat ist auch nicht zu erkennen, dass der IS in absehbarer Zeit (zu der zeitlich begrenzten Reichweite der bei der Prüfung eines asylrechtlichen Schutzgesuchs  vorzunehmenden prognostischen Beurteilung einer Gefährdungslage vgl. bereits das Urteil des Senats vom 28. August 2019 - 9 A 4590/18.A -, juris Rn. 126 ff. (dort zur Sicherheitslage in Bagdad), sowie Beschluss des Senats vom 20. Dezember 2019 - 9 A 2045/19.A -, n. v.) (erneut) zu einer Gruppenverfolgung in der Lage wäre.

Nach Auswertung der dem Senat vorliegenden Erkenntnisse gibt es zwar Anhaltspunkte für das teilweise  iedererstarken des IS. Allerdings fehlen belastbare Hinweise dafür, dass er in naher Zukunft im Distrikt Sindjar einen Herrschaftsbereich aufbauen könnte, der es ihm ermöglicht, Yeziden erneut flächendeckend das heißt als Gruppe, zu verfolgen (so auch Nds. OVG, Urteil vom 30. Juli 2019 - 9 LB 133/19 -, juris Rn. 72 ff. (bezogen auf den damaligen Entscheidungszeitpunkt)). [...]

c) Yeziden droht in der Region Sindjar derzeit auch keine Gruppenverfolgung durch andere nichtstaatliche Akteure, insbesondere nicht durch in der Region agierende Milizen oder durch die dort lebende muslimische Bevölkerung.

Dem Senat liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass es aktuell zu Behinderungen oder Einschränkungen der Religionsausübungsfreiheit der Yeziden im Sindjar durch nichtstaatliche Akteure kommt. Die tatsächliche Ausübung der Religion scheint gewährleistet zu sein. So wurde beispielsweise erst kürzlich auf dem Berg Shingal ein yezidischer Schrein, der durch den IS zerstört worden war, nach seiner Wiedererrichtung geweiht (vgl. BAMF, Briefing Notes KW 15/2021 vom 12. April 2021, S. 6). [...]

II. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. [...]

b) Ein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG folgt auch nicht aus der gegenwärtigen schlechten humanitären Lage im Distrikt Sindjar. [...]