VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 28.06.2021 - 4 K 4905/20 - asyl.net: M29931
https://www.asyl.net/rsdb/m29931
Leitsatz:

Keine Fiktionswirkung nach bei Antrag auf Aufenthaltserlaubnis mit abgelaufenem, nach Schengen-COVID-19-V 2 fingiert verlängertem Schengen-Visum:

"(...) § 2 Abs. 1 der 2. Schengen-COVID-19-Pandemie-Verordnung vom 17. Juni 2020 (2. Schengen-COVID-19-V) fingiert nicht den fortdauernden Besitz eines Schengen-Visums, sondern führt lediglich zu einem erlaubnisfreien rechtmäßigen Aufenthalt drittstaatsangehöriger Inhaber abgelaufener oder ablaufender Schengen-Visa im Bundesgebiet. Ein nachfolgender Titelantrag des Drittstaatsangehörigen löst nicht die Fiktionswirkungen des § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG aus."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Schengen-Visum, Corona-Virus, Verlängerung, Aufenthaltserlaubnis, Fiktionswirkung,
Normen: 2. Schengen-COVID-19-Pandemie-Verordnung § 2 Abs. 1; AufenthG § 81 Abs. 3, AufenthG § 81 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

40 Aus der 2. Schengen-COVID-19-Pandemie-VO des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI), nach deren § 2 Abs. 1 die Antragstellerin zwischen dem 01.07.2020 und dem 30.09.2020 vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit war, folgt entgegen der Rechtsauffassung deren Prozessbevollmächtigter nicht, dass sie noch zum Zeitpunkt der Eheschließung ein gültiges Schengen-Visum besessen hat. Denn nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Regelungsgehalt von § 2 Abs. 1 der 2. Schengen-COVID-19-Pandemie-VO fingiert diese Vorschrift nicht den fortdauernden Besitz eines Schengen-Visums, sondern allein die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Inhaber abgelaufener oder ablaufender Schengen-Visa im Bundesgebiet. Das folgt erstens aus dem Wortlaut der Vorschrift. Die Formulierung "vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit" bezieht sich auf den Grundsatz, dass Ausländer eines Aufenthaltstitels bedürfen, um sich im Bundesgebiet aufzuhalten (§ 4 Abs. 1 S. 1 AufenthG), und bedingt diesen durch den Erlass einer Rechtsverordnung nach § 4 Abs. 1 S. 1, § 99 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. der Schengen-COVID-19-Pandemie-VO punktuell ab. Hätte der Verordnungsgeber Erleichterungen mittels einer Fortgeltung von Aufenthaltstiteln einführen wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass er anders formuliert hätte, etwa indem die Gültigkeit von Schengen-Visa "als fortbestehend" oder deren Gültigkeitsdauer "als verlängert" gilt. Von einem Fortbestand oder einer Verlängerung der Visa hat er nach der Verordnungsbegründung jedoch wegen des gesetzlichen Ausschlusses der Fiktionswirkung in § 81 Abs. 4 S. 2 AufenthG und der erforderlichen Einzelfallprüfung von Verlängerungsanträgen abgesehen und stattdessen einen (legalen) "Aufenthalt ohne Aufenthaltstitel" geschaffen (BT-Drs. 283/20 v. 26.05.2020, S. 8 und 10). Zweitens spricht die ausdrückliche Erlaubnis der Ausübung einer Erwerbstätigkeit in § 2 Abs. 2 S. 1 AufenthG systematisch für eine bloße Aufenthaltslegalisierung. Denn wenn die begünstigenden Rechtswirkungen von Schengen-Visa insgesamt fortgelten sollten, hätte es dieser Regelung nicht bedurft. Drittens erfüllt die Regelung auch ohne Fortgeltungsfiktion der Visa ihren Sinn und Zweck. Mit der Rechtsverordnung sollten Einschränkungen im internationalen Personenreiseverkehr, die eine Rückkehr in die  Heimatstaaten erschwerten oder verunmöglichten, abgefedert und Behördenkontakte reduziert werden (ebd. S. 7). Viertens knüpft die Schengen-COVID-19-Pandemie-VO entstehungsgeschichtlich an die Schengen-Visa-COVID-19-Pandemie-Verordnung des BMI an und verlängert diese in zeitlicher Hinsicht. Die Schengen-Visa-COVID-19-Pandemie-Verordnung diente dem gleichen Ziel, gewährte inhaltsgleiche Erleichterungen für Inhaber ablaufender Schengen-Visa, indem sie unter anderem von dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels dispensierte, und enthielt weder im Wortlaut noch in der Verordnungsbegründung Anhaltspunkte für eine beabsichtigte Fortgeltung der Visa (vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, Verordnung zur vorübergehenden Befreiung von Inhabern ablaufender Schengen-Visa vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels auf Grund der COVID-19-Pandemie, www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/corona/verordnungschengen-visa-covid19V.pdf [28.06.2021]). Entsprechend wird in der Begründung der Vorgängerrechtsverordnung ausgeführt, Begünstigte der Regelungen seien nicht zum Reisen im Schengen-Raum berechtigt (ebd. S. 6). Davon wäre der Verordnungsgeber wiederum nicht ausgegangen, hätte er die ablaufenden Schengen-Visa fortgelten lassen wollen. [...]