Kein Widerruf der Flüchtlingseigenschaft wegen achtwöchiger Rückkehr ins Heimatland Afghanistan:
Dem Kläger war aufgrund seiner Tätigkeit für die US-Armee die Flüchtlingsanerkennung zuerkannt worden. Der vorliegend streitige Widerruf der Anerkennung ist rechtswidrig, da allein aufgrund einer achtwöchigen Rückkehr nach Afghanistan zum Zwecke der Heirat nicht davon ausgegangen werden kann, dass keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungsgefahr mehr besteht.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
13 Nach § 73 Abs. 1 AsylG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Satz 2 gilt nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. [...]
16 Das Gericht ist nicht der Überzeugung, dass im nunmehr entscheidungserheblichen Zeitpunkt eine Wiederholung der früheren Verfolgungsmaßnahmen wegen der früheren Dolmetschertätigkeit für die US-Streitkräfte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. zum Prognosemaßstab: Hailbronner, Ausländerrecht Bd. 2, § 73 Rn. 66 ff. m.w.N.). Denn auch angesichts der zeitlich begrenzten Rückreise des Klägers nach Afghanistan sind unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnismittellage keine stichhaltigen Gründe gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) erkennbar, die dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von einer solchen Verfolgung, wie er sie im Heimatland bereits erlitten hat, bedroht wäre. [...]
25 Dies zugrunde gelegt ist davon auszugehen, dass die Gefahr der flüchtlingsrelevanten Verfolgung für den Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht dauerhaft weggefallen ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rückreise des Klägers nach Afghanistan im Jahre 2019, wobei eine vorübergehende Rückkehr noch kein zwingendes Indiz für den Wegfall der Verfolgungsgefahr darstellt, wenngleich der Aufenthalt im Heimatstaat nach den Umständen des Einzelfalls ein konkreter Anhaltspunkt dafür sein kann, dass die vom Ausländer für die Anerkennung zugrunde gelegte Verfolgungsfurcht nicht mehr besteht. Maßgeblich sind jedoch stets die Umstände des Einzelfalls (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht Bd. 4, § 73 AsylG Rn. 51 f.). Das Gericht ist vorliegend der Überzeugung, dass im Rahmen der Würdigung der konkreten Umstände maßgeblich zu berücksichtigen ist, dass der Kläger sich zum einen nur für einen begrenzten, nicht lange währenden Zeitraum von acht Wochen im Heimatland aufgehalten hat und sich zum anderen während dieses Zeitraums nicht in relevanter Weise in der Öffentlichkeit bewegt hat. Vielmehr hat er - wie oben geschildert - glaubhaft dargelegt, dass er sich sowohl während des kurzen Aufenthalts in Kabul wie auch in Herat in einer Pension bzw. bei Freunden im häuslichen Bereich aufgehalten hat und auch die Hochzeitsvorbereitungen nicht durch ihn selbst bewerkstelligt werden mussten. Die Feierlichkeit selbst war ebenfalls von Örtlichkeit und Teilnehmerkreis her auf den bekannten familiären Kreis beschränkt und dauerte naturgemäß nur für einen kurzen Zeitraum an. Zudem hat der Kläger seinen Aufenthalt in Afghanistan auf die Städte Kabul und Herat beschränkt und hat nicht etwa weitere Verwandte in der Herkunftsprovinz Nangarhar besucht. Auch hat er die erforderlichen Reisen zwischen Kabul und Herat nicht auf dem gefährlichen Landweg zurückgelegt, sondern mittels Inlandsflügen. Auch wenn es sich bei der Rückreise nach Afghanistan ersichtlich um ein unvernünftiges Unterfangen gehandelt hat, so war der Kläger doch bei der konkreten Ausgestaltung seines Aufenthalts - wie geschildert - stets auf Zurückhaltung und damit auf seine Sicherheit bedacht und hat sich insbesondere aus der Öffentlichkeit ferngehalten. Vor diesem Hintergrund kann aus der Tatsache, dass er während der Zeit seines Aufenthalts in Afghanistan nicht von den Taliban bedroht bzw. verfolgt wurde, nicht geschlossen werden, dass dies auch im Falle einer dauerhaften Rückkehr der Fall wäre. Denn es drängt sich - zumal angesichts der hier gegebenen Gestaltung des Aufenthalts im Herkunftsland - auf, dass ein erheblicher Unterschied besteht zwischen einer nur vorübergehenden Rückreise, die den Taliban regelmäßig nicht sehr kurzfristig bekannt werden dürfte und während der der Kläger nicht in die Öffentlichkeit zu treten brauchte, und einer dauerhaften Rückkehr, bei der der Kläger zwingend darauf angewiesen wäre, regelmäßig am öffentlichen Leben teilzunehmen, allein um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Angesichts der entsprechend der Erkenntnismittellage bestehenden erheblichen Gefahren auch für ehemalige Dolmetscher der US-Streitkräfte wie den Kläger ist hier nicht davon auszugehen, dass die Gefahr der flüchtlingsrelevanten Verfolgung dauerhaft weggefallen ist. Dies gilt in besonderer Weise auch deshalb, weil der Kläger vorliegend bereits vorverfolgt ausgereift ist, sodass ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie zugutekommt, und überdies die Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Gefährdung umso niedriger anzulegen ist, je größer und schwerwiegender die drohende Rechtsgutsverletzung - hier die konkrete Gefahr der Ermordung - sein würde (vgl. GK AsylG, Funke-Kaiser, § 73 Rn. 28 ff.). Nach alledem besteht weiterhin die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Klägers wegen seiner früheren Tätigkeit als Dolmetscher für die US-Streitkräfte. Es kann ihm bei verständiger objektiver Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls daher nicht zugemutet werden, nach Afghanistan zurückzukehren. [...]