VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 27.05.2021 - 31 L 89/21 A - asyl.net: M29836
https://www.asyl.net/rsdb/m29836
Leitsatz:

Kenntnis anderer deutscher Behörden als des BAMF ausreichend für Beginn der Dublin-Frist für Wiederaufnahmeersuchen:

"Bei der Frage des Fristbeginns im Rahmen des Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO kommt es nicht auf die Kenntniserlangung des Bundesamts als zuständiger Behörde an, sondern auf den Erhalt des Eurodac-Treffers durch den zuständigen Mitgliedstaat.

Der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich die betreffende Person ohne Aufenthaltstitel aufhält, ist für die Prüfung des neuen Antrags auf internationalen Schutz, dessen Stellung dieser Person gestattet werden muss, zuständig, wenn das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO vorgesehenen Fristen unterbreitet wird."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Wiederaufnahmegesuch, Übernahmeersuchen, Dublinverfahren, Frist, Fristbeginn, Zuständigkeit, EURODAC, Eurodac-Treffer, Kenntnis,
Normen: VO 604/2013/EU Art. 24 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

7 Denn wegen verspäteter Stellung des Wiederaufnahmegesuchs an Italien ist nunmehr die Antragsgegnerin für die Durchführung des Verfahrens des Antragstellers zuständig (dazu 1.). [...]

8 1. a) Das Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin an Italien ist erst nach Ablauf der Frist des Art. 24 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO erfolgt. Danach ist, wenn ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person ohne Aufenthaltstitel aufhält, eine Abfrage des Eurodac-Systems beschließt, das Gesuch um Wiederaufnahme so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach dem Erhalt der Eurodac-Treffermeldung zu unterbreiten.

9 Dabei müssen die Wiederaufnahmeverfahren obligatorisch im Einklang mit den u.a. in Kapitel VI der Dublin-III-Verordnung aufgestellten Regeln und insbesondere unter Beachtung einer Reihe zwingender Fristen durchgeführt werden. [...]

10 Damit kommt es bei der Frage des Fristbeginns nicht auf die Kenntniserlangung des Bundesamts als zuständiger Behörde an, sondern auf den Erhalt des Eurodac-Treffers durch den zuständigen Mitgliedstaat. Für dieses Verständnis spricht, dass entsprechend der Beschleunigungsabsicht des Unionsgesetzgebers die Asylverfahren ohne größere Verzögerung im zuständigen Mitgliedstaat durchgeführt werden sollen (s. auch den fünften Erwägungsgrund der Verordnung). Zudem spricht hierfür, dass auch der Europäische Gerichtshof in diesem Kontext stets nur auf den "Mitgliedstaat" und nicht auf die "zuständige Behörde" abstellt (s. EuGH, Urteil vom 25. Januar 2018 – C-360/16 – juris).

11 Gemessen hieran ist das Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin an Italien erst nach Ablauf der Frist des Art. 24 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO erfolgt. Denn das Bundeskriminalamt – und damit die Antragsgegnerin als Mitgliedstaat – hatte eine Eurodac-Treffermeldung bereits spätestens im Oktober 2017 erhalten (s. Anlage 1 zur Antragsbegründung vom 2. Mai 2021). Das auf Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO gestützte Wiederaufnahmegesuch an Italien wurde indes erst am 11. Januar 2021 und damit nach Ablauf der Frist des Art. 24 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO gestellt.

12 b) Die Antragsgegnerin ist als Folge dieser Fristversäumung für den vom Antragsteller gestellten Asylantrag zuständig geworden. Wird das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der Frist des Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO unterbreitet, so gibt gemäß Art. 24 Abs. 3 Dublin III-VO der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich die betreffende Person ohne Aufenthaltstitel aufhält, dieser Person Gelegenheit, einen neuen Antrag zu stellen. Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich die betreffende Person ohne Aufenthaltstitel aufhält, für die Prüfung des neuen Antrags auf internationalen Schutz, dessen Stellung dieser Person gestattet werden muss, zuständig ist, wenn das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO vorgesehenen Fristen unterbreitet wird. [...]