VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 25.05.2021 - 4 K 2511/17.WI.A - asyl.net: M29803
https://www.asyl.net/rsdb/m29803
Leitsatz:

Reduzierung des Wiederaufgreifensermessen auf Null bei Vorliegen von Abschiebungsverboten:

1. Liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vor, ist das Wiederaufgreifensermessen des Bundesamts gem. § 51 Abs. 5 VwVfG auf Null reduziert (so bereits BVerfG v. 21.06.2000 - 2 BvR 1989/97).

2. Wenn das Bundesamt bereits mitgeteilt hat, dass es die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nicht als erfüllt ansieht, kann das Gericht ohne erneute Zurückverweisung an das Bundesamt, feststellen, dass ein Abschiebungsverbot vorliegt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Klagefrist, Asylverfahrensrecht, Abschiebungsverbot, Ermessensreduzierung auf Null, Wiederaufnahme des Verfahrens, Wiederaufnahmegründe, Wiederaufnahme, nationales Abschiebungsverbot,
Normen: AufenhG § 60 Abs. 5, AufenhG § 60 Abs. 7, VwVfG § 51,
Auszüge:

[...]

Eine Entscheidung über die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach bestandskräftiger Ablehnung unterliegt nach der vorherrschenden Auffassung, der das Gericht im vorliegenden Fall folgt, nicht den eingeschränkten strengen Wiederaufnahmevoraussetzungen des § 51 VwVfG in Verbindung mit § 71 Absatz 1 Satz 1 AsylG (vgl. hierzu z.B. BVerfG; Beschluss vom 21.06.2000 - 2 BvR 1989/97 - juris, Rn. 17; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.01.20000 - A 14 S 786/99 -, NVwZ-RR 20000, S. 261 f.; BVerwG, Urteil vom 07.09.1999 - 1 C 6.99 -, NVwZ 2000, 204). Denn § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG verweist nur für den weiteren Asylantrag im Sinne des § 13 AsylG auf die Voraussetzungen des § 51 VwVfG. Zudem bestimmt § 31 Abs. 3 AsylG ausdrücklich, dass auch in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge, das heißt auch in Fällen, in denen bei einem Folgeantrag nach § 71 AsylG ein erneutes Asylverfahren nicht durchzuführen ist, weil die Voraussetzungen des § 51 VwVfG nicht vorliegen (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG), festzustellen ist, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AsylG vorliegen. Diese Regelung liefe in Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG immer leer, wenn in Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 51 VwVfG nicht vorliegen, auch Anträge nach § 60 Abs. 5 oder 7 AsylG unzulässig wären. In Fällen wie dem vorliegenden, in dem die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG nach Auffassung des Gerichts gegeben sind (vgl. hierzu unten 2.) und dem Kläger daher eine Verletzung seines Menschenrechts aus Art. 3 EMRK (und damit zugleich auch eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 2 GG) droht, würde das Festhallen an der Rechtskraft zudem zu einem unerträglichen Ergebnis führen, so dass auch deswegen die Rechtskraft weichen müsste (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 07.09.1999 - 1 C 6.99 -, NVwZ 2000, 204 m.w.N.). Die gegenteilige Auffassung, wonach ein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nur besteht, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (so z.B. VG Gießen, Urteil vom 15.05.2019 - 2 K 3083/17.GI.A -, juris, Rn. 30; VG Sigmaringen, Urteil vom 10.03.2017 - A 3 K 3493/15 -, juris, Rn. 40) überzeugt vor diesem Hintergrund jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden nicht.

Da vorliegend zudem eine Rechtsposition aus Art. 3 EMRK und damit zugleich eine Rechtsposition aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 2 GG betroffen ist, ist der Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens auch auf Null reduziert (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.01.2000 - A 14 S 786/99 - NVwZ-RR 2000, S. 261 f. m.w.N.).

Vorliegend begehrt der Kläger allerdings nicht nur eine Verpflichtung der Beklagten zum Wiederaufgreifen seines Verfahrens, sondern unmittelbar die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes. Hierfür besteht vorliegend ausnahmsweise ein Rechtsschutzbedürfnis, da die Beklagte mitgeteilt hat, dass sie einen Anspruch nach § 60 Abs. 5 AufenthG inhaltlich nach wie vor nicht für gegeben hält und ein Wiederaufgreifensverfahren bei der Beklagten daher aller Voraussicht nach auch keinen Erfolg haben würde.

Angesichts der angekündigten Ablehnung eines erneuten Antrages durch die Beklagte wäre es eine unnötige Formalie, den Kläger zunächst auf ein zeitaufwendiges offensichtlich aussichtsloses Verfahren beim Bundesamt zu verweisen. Der Kläger hat angesichts dieser Umstände vorliegend ausnahmsweise ein Rechtsschutzbedürfnis, direkt einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes geltend zu machen. [...]