VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Urteil vom 05.03.2021 - 7 A 8/18 MD - asyl.net: M29760
https://www.asyl.net/rsdb/m29760
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen drohender politischer Verfolgung in der Türkei aufgrund des Vorwurfs, die Gülen-Bewegung zu unterstützen:

1. Flüchtlingsanerkennung für einen ehemaligen Lehrer an einer Gülen-nahen Schule, der telefonischen Kontakt zu einem hohen Mitglied der Gülen-Bewegung hatte und dessen Bruder wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt und als Flüchtling anerkannt wurde. Lehrer*innen sind Multiplikator*innen und werden deshalb von den türkischen Behörden als "gefährlich" angesehen.

2. Schon vage Kriterien reichen aus, um in den Verdacht der Zugehörigkeit der Gülen-Bewegung zu geraten. Gülen-Anhänger werden auch im Ausland verfolgt, bis hin zu Entführungen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Türkei, Lehrer, Gülen-Bewegung, Flüchtlingsanerkennung, politische Verfolgung, Berufsgruppe,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Fethullah Gülen, muslimischer Prediger eines weltweit aktiven Netzwerks, das ehemals die wichtigste religiöse Bewegung der Türkei war, wird von seinen Gegnern als Bedrohung der staatlichen Ordnung betrachtet. Während Gülen von seinen Anhängern als spiritueller Führer betrachtet wird, der einem toleranten Islam fördert, der Altruismus, Bescheidenheit, harte Arbeit und Bildung hervorhebt und als leidenschaftlicher Befürworter des interreligiösen und interkulturellen Austausches dargestellt wird, beschreiben Kritiker Gülen als islamistischen Ideologen, der über ein strikt organisiertes Wirtschafts- und Medienimperium regiert und dessen Bewegung den Sturz der säkularen Ordnung der Türkei anstrebt.

Vor dem Putschversuch vom Juli 2016 schätzten internationale Beobachter die Zahl der Gülen-Mitglieder in der Türkei auf mehrere Millionen. Staatspräsident Erdogan stand Gülen jahrzehntelang nahe. Beide hatten bis vor einigen Jahren ähnliche Ziele: die politische Macht des Militärs zurückzudrängen und dem religiös orientierten Bevölkerungsteil in der Türkei zum gesellschaftlichen Aufstieg zu verhelfen. Die beiden Personen verband die Gegnerschaft zu den säkularen, kemalistischen Kräften in der Türkei. Sie hatten beide das Ziel, die Türkei in ein vom türkischen Nationalismus und einer starken, konservativen Religiosität geprägtes Land zu verwandeln. Selbst nicht in die Politik eintretend, unterstützte Gülen die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) bei deren Gründung und späteren Machtübernahme, auch indem er seine Anhänger in diesem Sinne mobilisierte. Gülen-Anhänger hatten viele Positionen im türkischen Staatsapparat inne. Erdogan nutzte wiederum die bürokratische Expertise der Anhänger der Gülen-Bewegung, um das Land zu führen und dann um das Militär aus der Politik zu drängen.

Nachdem das Militär entmachtet war, begann der Machtkampf zwischen Erdogan und Gülen. Das Bündnis zwischen Erdogan und Gülen begann sich aufzulösen, als die Anhänger der Gülen-Bewegung in Polizei und Justiz aus Sicht von Erdogan zu unabhängig wurden. Das Klima verschärfte sich, als Gülen selbst Erdogan für seinen Umgang mit den Protesten im Gezi-Park im Jahr 2013 kritisierte. Im Dezember 2013 kam es zum offenen politischen Zerwürfnis zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung, als Gülen-nahe Staatsanwälte und Richter Korruptionsermittlungen gegen die Familie des damaligen Ministerpräsidenten Erdogan sowie Minister seines Kabinetts aufnahmen. Erdogan beschuldigte daraufhin Gülen und seine Anhänger, die AKP-Regierung durch Korruptionsuntersuchungen zu Fall bringen zu wollen, da mehrere Beamte und Wirtschaftsführer mit Verbindungen zur AKP betroffen waren. und Untersuchungen zu Rücktritten von AKP-Ministern führten. Seitdem wirft die Regierung Gülen und seiner Bewegung vor, die staatlichen Strukturen an sich unterwandert zu haben. In der Folge versetzte die Regierung die an den Ermittlungen beteiligten Staatsanwälte, Polizisten und Richter und begann schon seit Ende 2013 darüber hinaus, in mehreren Wellen zehntausende mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung in diversen staatlichen Institutionen zu suspendieren, zu versetzen, zu entlassen oder anzuklagen. Die Regierung hat ferner, unter dem Vorwand der Unterstützung der Gülen-Bewegung, Journalisten strafrechtlich verfolgt und Medienkonzerne, Banken sowie andere Privatunternehmen durch die Einsetzung von Treuhändern zerschlagen und teils enteignet.

Ein türkisches Gericht hatte im Dezember 2014 einen Haftbefehl gegen Fethullah Gülen erlassen. Die Anklage beschuldigte die Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Zur gleichen Zeit ging die Polizei gegen mutmaßliche Anhänger Gülens in den Medien vor. Türkische Sicherheitskräfte waren landesweit mit einer Großrazzia gegen Journalisten und angebliche Regierungsgegner bei der Polizei vorgegangen. Am 27.05.2016 verkündete Staatspräsident Erdogan, dass die Gülen-Bewegung auf Basis einer Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrates vom 26.05.2016 als terroristische Organisation registriert wird. Im Juni 2017 definierte das Oberste Berufungsgericht (Appellationsgericht), hier das Kassationsgericht [...], die Gülen-Bewegung als terroristische Organisation. In dieser Entscheidung wurden auch die Kriterien für die Mitgliedschaft in dieser Organisation festgelegt.

Die türkische Regierung beschuldigt die Gülen-Bewegung, den Putschversuch vom 15.07.2016 initiiert zu haben, bei dem mehr als 250 Menschen getötet wurden. Für eine Beteiligung gibt es zwar Indizien, eindeutige Beweise aber ist die Regierung in Ankara bislang schuldig geblieben. Die Gülen-Bewegung wird von der Türkei als "Fetullahçı Terör örgütü - (FETÖ)", "Fetullahistische Terror Organisation", bezeichnet, meist in Kombination mit der Bezeichnung "Devlet Yapılanması (PDY)", die "Parallele Staatsstruktur" bedeutet. Die EU stuft die Gülen-Bewegung weiterhin nicht als Terrororganisation ein und steht auf dem Standpunkt, die Türkei müsse substantielle Beweise vorlegen, um die EU zu einer Änderung dieser Einschätzung zu bewegen. Auch für die USA ist die Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung keine Terrororganisation.

Im Zuge der massiven Verfolgung nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 wurden - die Zahlen variieren - über 20.300 Armeeangehörige, darunter 150 der 326 Generäle und Admirale, 4.145 Richter und Staatsanwälte, mehr als 33.000 Polizeibeamte und mehr als 5.000 Akademiker entlassen. Über 540.000 Personen wurden (zeitweise) festgenommen. Über 160 Medien, mehr als 1.000 Bildungseinrichtungen und fast 2.000 Nichtregierungsorganisationen wurden ohne ordentliches Verfahren geschlossen. 150.000 öffentlich Bedienstete wurden entlassen. Nach Angaben des türkischen Justizministeriums und des Innenministeriums wurden seit 2016 gegen ca. 500.000 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet. Über 30.000 mutmaßliche Gülen-Mitglieder verbüßen entweder eine rechtskräftige Haftstrafe oder befinden sich in Untersuchungshaft. Nach einer Mitteilung des Innenministeriums an den türkischsprachigen Dienst der BBC waren mit Stand Mitte Februar 2020 noch 26.862 Personen wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert.

Laut Staatspräsident Erdogan sind die staatlichen Institutionen noch nicht vollständig von Gülen-Anhängern "befreit". Die systematische Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung dauert an. Zwar wurde der größte Teil der Gülen-Anhänger bereits verhaftet und verurteilt, doch kommt es weiterhin zu Festnahmen, insbesondere unter Lehrkräften, Soldaten und Polizisten. Verhaftungen von vermeintlichen Gülen-Mitgliedern finden im Schnitt wöchentlich statt, wobei es mehrere größere Verhaftungswellen gab. [...]

Die Kriterien für die Feststellung der Anhänger- bzw. Mitgliedschaft sind hierbei recht vage. Türkische Behörden und Gerichte ordnen Personen nicht nur dann als "Terroristen" ein, wenn diese tatsächlich aktive Mitglieder der Gülen-Bewegung sind. sondern auch dann, wenn diese beispielsweise lediglich persönliche Beziehungen zu Mitgliedern der Bewegung unterhalten, eine von der Bewegung betriebene Schule besucht haben oder im Besitz von Schriften Gülens sind. Bereits am 03.09.2016 veröffentlichte die Tageszeitung Milliyet eine nicht abschließende "Liste von sechzehn Kriterien", die als Leitlinie für die Entlassung aus staatlichen Funktionen und für die Strafverfolgung dient. Personen, welche die angeführten Kriterien in unterschiedlichem Maße erfüllen, werden offiziellen Verfahren unterzogen und als "Terroristen" bezeichnet - gefolgt von ihrer Festnahme oder Inhaftierung. Nach Angaben der Regierung war das Ziel der Erstellung einer solchen Liste, "die Schuldigen von den Unschuldigen zu unterscheiden". In der Regel reicht das Vorliegen eines der folgenden Kriterien, um eine strafrechtliche Verfolgung als mutmaßlicher Gülen-Anhänger einzuleiten: [...]

Weitere Kriterien sind u.a. die Unterstützung der Gülen-Bewegung in Sozialen Medien, der mehrmalige Besuch von Internetseiten der Gülen-Bewegung und die Nennung durch glaubwürdige Zeugenaussagen, Geständnisse Dritter oder infolge von Denunziationen. Eine Verurteilung setzt in der Regel das Zusammentreffen mehrerer dieser Indizien voraus, wobei der Kassationsgerichtshof präzisiert hat, dass für die Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation ein gewisser Bindungsgrad der Person an die Organisation nachgewiesen werden muss. Der Kassationsgerichtshof entschied im Mai 2019, dass weder das Zeitungsabonnement eines Angeklagten noch seine Einschreibung eines Kindes in einer Gülen-Schule als Beweis dienen kann, dass die Person in terroristische Aktivitäten verwickelt oder Mitglied einer terroristischen Vereinigung war.

Hinsichtlich der Handy-Applikation Bylock hatte das Kassationsgericht im Oktober 2017 entschieden, dass das Sympathisieren mit der Gülen-Bewegung nicht gleichbedeutend mit einer Mitgliedschaft ist und somit keinen ausreichenden Nachweis für letztere darstellt. Mehrere Personen, die wegen angeblicher Nutzung von Bylock verhaftet worden waren, wurden freigelassen, nachdem im Dezember 2017 nachgewiesen wurde, dass Hunderte von Personen zu Unrecht der Nutzung der mobilen Anwendung beschuldigt wurden. Allerdings urteilte der türkische Verfassungsgerichtshof im Juni 2020 anlässlich eines Beschwerdeverfahrens, dass die Benutzung von Bylock als ausreichender Beweis für die Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung gilt. [...]

Die von Gülen-Anhängern betriebene und getragene Bank "Asya" kam nach dem gescheiterten Putschversuch zunehmend unter Druck und wurde ab 22.07.2016 gänzlich unter staatliche Verwaltung gestellt. Mit dem Bankengesetz Nr. 5411 wurde der Bank die Betriebserlaubnis vollständig entzogen. Eine Kontoeröffnung ist seither nicht mehr möglich. Bis zum 22.07.2016 hatten neben Gülen nahestehenden Beamten vor allem Geschäftsleute und einige Privatpersonen Konten bei der Asya-Bank. In vielen Fällen reichte es, über ein Konto bei dieser Bank zu verfügen, um wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung angeklagt zu werden. Viele Angeklagte wurden jedoch nicht verurteilt, wenn keine weiteren Indizien vorlagen. Das Kassationsgericht entschied 2018, dass diejenigen, die nach dem Aufruf von Fetullah Gülen Anfang 2014 Geld bei der Bank Asya eingezahlt hatten, als Unterstützer der Gülen-Bewegung angesehen werden sollten. Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara hat Ende Mai 2018 Haftbefehle gegen 59 Personen erlassen, die Kunden der Bank Asya waren. Im September 2019 ordneten Staatsanwälte die Festnahme von 35 Personen an, die beschuldigt wurden. Bylock verwendet und gleichzeitig Geld in der Asya Katılım Bank deponiert zu haben.

Die Gülen-Bewegung betrieb einst Schulen nicht nur in der Türkei, sondern weltweit und dabei insbesondere zahlreiche Schulen auf dem afrikanischen Kontinent. Die Schließung der Schulen stellte die Gülen-Bewegung vor große Herausforderungen, da sie eine wichtige Rolle bei der Finanzierung und der Anwerbung neuer Anhänger spielten. Um den Zugang des türkischen Staates zu verhindern, erklärten sich viele Schulen nicht mehr als türkische, sondern als lokale Institutionen. Durch eine Mischung aus politischem Druck und wirtschaftlichen Anreizen hat die Türkei versucht, die Gastländer davon zu überzeugen, die Gülen-Schulen, Schülerwohnheime und Universitäten an die türkische Maarif-Stiftung zu übergeben oder auf der Basis von bilateralen Abkommen mit den jeweiligen Ländern zu schließen bzw. anderen Eigentümern zu übertragen. Wann immer die Interventionen der türkischen Regierung sich nicht als erfolgreich erweisen, die Gülen-Schulen zu schließen, strebte sie über die Maarif-Stiftung die Eröffnung eigener Schulen an. Bislang hat die Maarif-Stiftung fast 220 ehemalige Gülen-Einrichtungen übernommen und etwa einhundert Schulen selbst gegründet.

Über 100 mutmaßliche Mitglieder der Gülen-Bewegung wurden laut türkischem Außenminister vom Geheimdienst (MIT) im Ausland entführt und im Rahmen der globalen Fahndung der Regierung in die Türkei zurückgebracht. Demnach seien Menschen aus Malaysia, Pakistan, Kasachstan, dem Kosovo, Moldawien, Aserbaidschan, Ukraine, Gabun und Myanmar von der türkischen Regierung entführt worden. Ein weiterer Versuch in der Mongolei sei von der mongolischen Polizei im Juli 2018 verhindert worden. Der türkische Nachrichtendienst MIT als Hauptakteur organisierte verdeckte Operationen, um hauptsächlich Personen mit angeblichen Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu entführen und in die Türkei zu bringen. manchmal in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden des Landes und in einigen anderen Fällen ohne diese zu informieren. Etliche Regierungen unterstützten die türkische Seite, indem sie selbst die Verfolgung bzw. Auslieferung von vermeintlichen Gülen-Mitgliedern in ihren jeweiligen Ländern durchführten. So lieferte die Ukraine Anfang Januar 2021 zwei hochrangige Mitglieder der Gülenbewegung, die zuvor im Irak tätig waren, in die Türkei aus. Menschenrechtsaktivisten verurteilten den Schritt als illegale Überstellung ohne ordentliches Verfahren.

Das Amt für Auslands-Türken (YTB) sowie die Türkische Agentur für Kooperation und Koordination (TlKA) sind ebenfalls aktiv an den verdeckten Geheimdienstoperationen in aller Welt beteiligt gewesen. Auch die Direktion für religiöse Angelegenheiten (Diyanet) spielt eine Rolle, unter den im Ausland lebenden Türken Regierungskritiker ausfindig zu machen. Nicht zuletzt sammeln staatlich finanzierte private Organisationen wie die Union der Europäischen Türkischen Demokraten (UETD) und die Stiftung für politische, wirtschaftliche und soziale Forschung (SETA) Informationen über Regierungskritiker. Die Türkei hat nach dem Putschversuch von 2016 die Auslieferung von insgesamt 807 Putschverdächtigen aus 105 Ländern beantragt, doch keine dieser Nationen ist den Forderungen der Türkei nachgekommen. Das Ministerium hat auch bei Interpol die Ausstellung einer sog. Red Notice für 555 Verdächtige beantragt, wobei 2019 keinem der damaligen die Gülen-Bewegung betreffenden 462 Red Notice-Anträge seitens Interpol nachgekommen wurde (zum Vorstehenden: österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Türkei, Stand: 27.01.2021, Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.08.2020) .. [...]

Unter Berücksichtigung dieser Sachlage ist in Bezug auf den Kläger festzustellen, dass er eine Lehrtätigkeit an einer Schule der Gülen-Bewegung erbracht und zudem die Zeitschrift Zaman abonniert hat und somit jedenfalls zwei der vorstehenden Kriterien erfüllt hat. Schwerwiegend ist dabei die Tätigkeit als Lehrer an einer Bildungseinrichtung, deren Träger (SISIAD bzw. TUSKON) der Gülen-Bewegung zugerechnet wird (https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/erdogan-verschaerft-kampf-gegen- guelen-durch-beschlagnahmungen-14396750.html) und bei denen die dort (ehemals) tätigen Lehrkräfte als "Multiplikatoren" in besonderem Maße im Fokus der türkischen Justiz stehen. Von besonderem Gewicht sind aber die Ausführungen in dem gegen den Bruder des Klägers, …, verhängten Urteil vom … 2019 des Schwurgerichtes Ankara. Ein zentrales Element der Urteilsbegründung ist der (angebliche) telefonische Kontakt des Klägers zu …, welcher eine der zentralen Personen der Gülen-Bewegung darstellt und der nach türkischen Presseberichten mittlerweile von der Bundesrepublik Deutschland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt erhalten hat. Die türkische Justiz hat mittlerweile ein Auslieferungsersuchen für … an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ([…]). Der türkische Staat hat ferner hohe Belohnungen auf die Ergreifung von ... und weiterer Angehöriger des engeren Führungszirkels, welche sich derzeit nicht in der Türkei aufhalten, ausgesetzt ([...]). Unter anderem aus diesem (angeblichen) Kontakt des Klägers zu einer Person des Führungskreises um Fethullah Gülen und der Nähe der weiteren Bruders des Klägers, …, zur Gülen-Bewegung haben die türkischen Justizbehörden auf eine enge Zugehörigkeit des Bruders des Klägers zur Gülen-Bewegung geschlossen und eine Freiheitsstrafe von im Ergebnis 6 Jahren und 10 Monaten verhängt. Damit droht (auch) dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine landesweite Strafverfolgung in der Türkei.

Dass der Kläger vor der Ausreise aus der Türkei persönlich nicht unmittelbar bedroht wurde und dass er keine exponierte Stellung innerhalb der Gülen-Bewegung gehabt hat, führt zu keiner anderen Bewertung. Der Kläger muss vor dem Hintergrund der dargestellten Situation nicht erst abwarten, bis er persönlich bedroht wird. Auch ohne konkrete Bedrohungshandlungen besteht insbesondere aufgrund des gegen seinen Bruder bereits geführten Strafverfahrens eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger Opfer von Verfolgungsmaßnahmen seitens des türkischen Staates wird. Schließlich droht entgegen der Auffassung des Bundesamtes nicht nur Personen mit exponierter Stellung innerhalb der Gülen-Bewegung Verfolgung, sondern die Maßnahmen richten sich auch gegen jene, denen eine nicht näher definierte angebliche Nähe zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wird (vgl. Lagebericht des Auswärtigem Amtes vom 24.08.2020, Seite 5). [...]