Auswertung von Datenträgern durch BAMF zur Identitätsfeststellung rechtswidrig:
Die Auswertung eines Mobiltelefons durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit einer asylsuchenden Person im Sinne des § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme dar. Zwar ist die Maßnahme geeignet, um Indizien zur Identität und Staatsangehörigkeit zu erhalten, stellt sich aufgrund des Grundrechtseingriffs jedoch als unverhältnismäßig dar. Maßnahmen wie die Auswertung eingereichter Unterlagen, die Durchführung von Registerabgleichen, Abfragen anderer Behörden oder Nachfragen bei der sprachmittelnden Person nach Sprachauffälligkeiten stellen mildere Mittel dar.
(Leitsätze der Redaktion)
• Lea Beckmann und Matthias Lehnert: Handydatenauswertungen des BAMF verstoßen gegen Grundrechte, Anmerkung zum Urteil des VG Berlin, Asylmagazin 9/2021, S. 340–342
• Siehe dazu auch Pressemitteilung der Gesellschaft für Freiheitsrechte vom 2.6.2021
[...]
II. Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1. auch begründet. Die Anordnung des Bundesamtes vom 15. Mai 2019, die Zugangsdaten der Klägerin für eine Auswertung des von ihr übergebenen Mobiltelefons zur Verfügung zu stellen, war rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
Rechtsgrundlage der Anordnung war§ 15a Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. § 48 Abs. 3a Satz 3 AufenthG. Nach § 48 Abs. 3a Satz 3 AufenthG hat der Ausländer die notwendigen Zugangsdaten rur eine zulässige Auswertung von Datenträgern zur Verfügung zu stellen. Eine Auswertung von Datenträgern ist nach § 15a Abs. 1 Satz 1 AsylG nur zulässig, soweit dies für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Ausländers nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG erforderlich ist und der Zweck der Maßnahme nicht durch mildere Mittel erreicht werden kann. Diese Voraussetzungen lagen im maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung am 15. Mai 2019 nicht vor.
Zwar war die Auswertung des Mobiltelefons der Klägerin für die Feststellung ihrer Identität und Staatsangehörigkeit nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG erforderlich. Die Klägerin war im Nichtbesitz eines gültigen Passes oder Passersatzes und das in ihrem Besitz befindliche Mobiltelefon konnte für die Feststellung ihrer Identität und Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein. Denn letzteres verlangt lediglich, dass der jeweilige Datenträger zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit nicht schlechthin ungeeignet ist. Es genügt mithin, dass der Datenträger Hinweise zur Identität und Staatsangehörigkeit erbringen kann. Dies ist bei einem Mobiltelefon regelmäßig - und so auch im Falle der Klägerin, die ihr Mobiltelefon nach eigenen Angaben im April 2017 in Griechenland erworben hatte - gegeben, da sich auf dem Mobiltelefon eine Vielzahl relevanter Daten befinden kann, wie etwa Telefonnummern, Adressen, Login-Daten, gespeicherte Verbindungsdaten von eingehenden und ausgehenden Anrufen bzw. Nachrichten sowie Geolokationsdaten gespeicherter Bilder. Auch die von der Bundesregierung vorgelegten Zahlen, wonach im zweiten Quartal 2019 in etwa 44% der Fälle, in denen Datenträger ausgelesen wurden, die angegebene Identität bestätigt bzw. widerlegt wurde (vgl. BT-Drs. 19/13945, S. 14), belegen die Geeignetheit der Datenträgerauswertung.
Der Zweck der Maßnahme, nämlich Hinweise und wichtige Erkenntnisse zur Identität und Staatsangehörigkeit des Asylbewerbers zu erhalten (vgl. BT-Drs. 18/11546, S. 23), konnte hier aber, bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung (15. Mai 2019), durch mildere Mittel erreicht werden. Dabei ist auf eine ex ante Sicht abzustellen und nicht ex post zu fragen, ob letztlich tatsächlich mildere Mittel zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit erreichbar waren (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, 115. Ergänzungslieferung März 2018, § 15a Rn. 11 ). Mildere Mittel sind solche, durch die - wie bei der Auswertung von Datenträgern - Indizien zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit gewonnen werden können, jedoch im Verg.leich zur Datenträgerauswertung, die einen Eingriff in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme darstellt, eine geringere Eingriffsintensität aufweisen. ln Betracht kommen verschiedene Maßnahmen, wie etwa die Auswertung eingereichter Unterlagen, die Durchführung von Registerabgleichen, Abfragen anderer Behörden oder Nachfragen beim Sprachmittler nach Sprachauffälligkeiten. Dabei ist allen Maßnahmen gemein, dass sie lediglich Hinweise zur Identität und Staatsangehörigkeit liefern können.
Gemessen daran lagen im Falle der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung mildere Mittel zur Gewinnung weiterer Indizien zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit vor, nämlich die Übersetzung und Überprüfung der eingereichten Unterlagen (Tazkira, Heiratsurkunde und Bescheinigung der afghanischen Botschaft in Athen), die Registerabgleiche und die Nachfrage beim Sprachmittler nach sprachlichen Auffälligkeiten. Dass dies auch das Bundesamt als mildere Mittel zur Gewinnung von Indizien zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit ansieht, zeigt sich auch an dessen Verwaltungspraxis. Denn während es zunächst bei der Registrierung die Herausgabe des Mobiltelefons nebst Zugangsdaten verlangt, das Mobiltelefon ausliest sowie einen Ergebnisrapport generieren lässt, prüft es erst nach Würdigung der Ergebnisse .der weiter durchgeführten (milderen) Maßnahmen zur Gewinnung von Erkenntnissen zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Ausländers, ob es den "auf Vorrat" generierten Ergebnisrapport noch zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Ausländers benötigt. Es prüft mithin erst zu diesem Zeitpunkt - hier am 28. Mai 2019 - die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der - hier am 15. Mai 2019 - durchgeführten Datenträgerauswertung. [...]
II. Die Klage ist hinsichtlich der Klageanträge zu 2. auch begründet. Das Bundesamt war nicht berechtigt, die Daten der Klägerin von ihrem Mobiltelefon auszulesen und mittels einer Software auszuwerten, den aus der Auswertung des Mobiltelefons der Klägerin generierten Ergebnisrapport zu speichern sowie den Ergebnisrapport für das Asylverfahren der Klägerin freizugeben und der Entscheidung über ihren Asylantrag zugrunde zu legen.
Rechtsgrundlage für diese Maßnahmen war § 15a Abs. 1 Satz 1 AsylG.
Die Voraussetzungen für das Auslesen der Daten und die Auswertung mittels einer Software sowie die Speicherung des Ergebnisrapports lagen nicht vor. Denn zu diesem Zeitpunkt (15. Mai 2019) konnte der .Zweck der Maßnahme durch mildere Mittel erreicht werden. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Anordnung zur Zurverfügungstellung der Zugangsdaten verwiesen. Das Bundesamt war schließlich nicht berechtigt, in der Folgezeit die rechtswidrig erhobenen und gespeicherten Daten zu verwerten, mithin den Ergebnisrapport am 28. Mai 2019 für das Asylverfahren der Klägerin freizugeben und der Entscheidung über ihren Asylantrag zugrunde zu legen, da keine gewichtigen Gründe vorlagen, die den Grundrechtseingriff durch die Nutzung der rechtswidrig gewonnenen Daten rechtfertigten. [...]