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VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 27.05.2021 - 1 K 3800/20.TR - asyl.net: M29726
https://www.asyl.net/rsdb/m29726-1
Leitsatz:

Keine Einstufung als Zweitantrag bei unionsrechtswidrigem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung in Ungarn:

1. Von einem Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG kann grundsätzlich nicht nur dann ausgegangen werden, wenn der Asylerstantrag unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren eingestellt wurde. Ein Zweitantrag liegt auch dann vor, wenn nach zunächst erfolgreichem Asylverfahren eine Rücknahme oder ein Widerruf der Anerkennung erfolgt ist.

2. Eine Anwendung auf die Fälle, in denen ungarische Behörden eine Widerrufsentscheidung erlassen haben, scheidet jedoch aus, da das ungarische Verfahren zum Widerruf der Flüchtlingseigenschaft nicht den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht.

(Leitsätze der Redaktion, anschließend an OVG Bremen, Urteil vom 03.11.2020 - 1 LB 28/20 - asyl.net: M29080)

Schlagwörter: Ungarn, internationaler Schutz in EU-Staat, Widerruf, Rücknahme, Zweitantrag, Zulässigkeit, Unzulässigkeit,
Normen: AsylG § 71a, RL 2011/95/EU Art. 12, RL 2011/95/EU Art. 17, RL 2011/95/EU Art. 14, RL 2011/95/EU Art. 19,
Auszüge:

[...]

2. Ausgehend von diesen Maßstäben liegt ein Zweitantrag im Sinne des § 71a Abs. 1 AsyIG hier vor. Zweifel an der Anwendbarkeit des § 71a AsyIG auf die vorliegende Konstellation der Aberkennung eines zuvor in einem Mitgliedsstaat gewährten Schutzes bestehen nicht (nachfolgend a.). Auch steht der unanfechtbare Abschluss des Aberkennungsverfahrens mit der erforderlichen Gewissheit fest (nachfolgend b.). Gleichwohl darf die Beklagte im vorliegenden Einzelfall dem Kläger die negative Entscheidung der ungarischen Behörden nicht vorhalten und seinen Asylantrag nicht unter den erschwerten Voraussetzungen der § 71a Abs. 1 AsyIG i.V.m. §§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG prüfen, da das ungarische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet und daher für das nationale Verfahren keine Bindungswirkung zu entfalten vermag (nachfolgend c.).

a [...] Für den Folgeantrag nach § 71 AsylG ist jedenfalls umstritten, ob der Widerruf oder die Rücknahme eines Schutzstatus der unanfechtbaren Ablehnung eines Asylantrags gleichsteht.
Gegen die Anwendung des § 71 AsylG in diesen Konstellationen wird - unter Außerachtlassung des Sinn und Zwecks dieser Regelung - angeführt, dass sich eine solche Auslegung mit dem Wortlaut der Norm nicht vereinbaren ließe (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 16. Juli 2008 — 7 K 325108.F.A juris Rn. 25; VG Gießen, Beschluss vom 15. Mai 2003 — 8 G 1706/03 —, juris Rn. 11). Auch aus der Richtlinie 2005/85/EG (seit 2013 durch die Richtlinie 2013/32/EU ersetzt) ergebe sich, dass die Ablehnung eines Asylantrages begrifflich nicht mit dem Widerruf oder dem Erlöschen eines bereits gewährten Schutzstatus gleichzusetzen sei. Vielmehr gehe aus dem Erfordernis der Prüfung von Wiederaufnahmegründen hervor, dass damit solche Gründe, etwa eine Änderung der Sach- oder Rechtslage oder neue Beweismittel, gemeint sind, die dem abgelehnten Asylantrag nunmehr zum Erfolg zu verhelfen vermögen (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 16. Juli 2008 — 7 K 325/08.F.A, juris Rn. 25). Dies vermag indes vor dem Hintergrund, dass sich auch, in Bezug auf diejenigen Gründe, die zum Widerruf oder der Rücknahme bzw. Aberkennung des Asylantrages geführt haben nachträglich die Sach- oder Rechtslage geändert haben kann oder neue Beweismittel vorliegen können, die nunmehr ein Wiederaufgreifen des Verfahrens rechtfertigen können, nicht zu überzeugen.

Für die Anwendbarkeit des § 71 AsylG auch auf die Fälle des Widerrufs, der Rücknahme oder der Aberkennung des Schutzstatus wird indes angeführt, dass ein Folgeantrag jedenfalls dann vorliege, wenn die Rücknahmeentscheidung nicht allein auf eine abweichende Bewertung der die ursprüngliche Anerkennungsentscheidung tragenden Gründe beschränkt ist, sondern auch eine Aussage zur Schutzgewährung aus anderen Gründen trifft (vgl. VG Regensburg, Beschluss vorn 21.09.2020 — RN 2 S 20.31401 —, juris Rn. 33). In diesen Fällen hat der Ausländer regelmäßig genügend Gelegenheit seine Fluchtgründe vorzubringen, sodass eine umfassende Prüfung des Asylantrages durch das Bundesamt erfolge, die es bei einem neuerlichen Asylantrag rechtfertige, die Prüfung auf das Maß des § 71 AsylG zu begrenzen. Dem stehe auch Unionsrecht nicht entgegen, da insoweit die geforderte umfassende Prüfung des Asylantrages, also auch im Hinblick auf die Gewährung subsidiären Schutzes, (vgl. Art. 40 Abs. 2, 33 Abs. 2 Buchst. d, 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32/EU sowie Erwägungsgrund Nr. 36), erfolge (vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 21.09.2020 — RN 2 S 20.31401 juris Rn. 33, so bereits: VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 06.06.2002 — 34 X 130.02 —, juris Rn. 14).

Diese Erwägungen lassen sich auch auf die hier vorliegende Zweitantragskonstellation übertragen. Dem § 71a AsyIG liegt die Vorstellung zugrunde, dass einem Ausländer in jedem Mitgliedsstaat unter vereinheitlichten Voraussetzungen Schutz gewährt oder ein solcher Schutz versagt wird, wobei nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten davon auszugehen ist, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten, und die Vermutung gilt, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta der Europäischen Union - GrCH -, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Konvention für Menschenrechte - EMRK - steht (EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-297117, C-319117 und C-438/17, juris Rn. 84 f.). Aus diesem Grund wird eine neuerliche Sachprüfung jedenfalls dann als unverhältnismäßig angesehen, wenn einem erneuten Asylantrag keinerlei neue Erkenntnisse oder Beweismittel zugrunde liegen (vgl. Erwägungsgrund 36 der Richtlinie 2013/32/EU). Damit soll außerdem auch einem Missbrauch des Asylverfahrens vorgebeugt und den Mitgliedsstaaten hierfür ein effektives Instrument an die Hand gegeben werden, wenn ein bereits abgelehnter Asylbewerber erneut Asylanträge in anderen Mitgliedsstaaten stellt (vgl. OVG Bremen, Urteil vom 03.11.2020 — 1 LB 28/20 —, juris Rn. 48).

Diesen Zielen liefe es aber erkennbar zuwider, wenn es dem Ausländer für den Fall, dass sein Asylantrag in einem Mitgliedsstaat widerrufen oder zurückgenommen worden ist oder der Schutzstatus sonst erloschen ist, die Möglichkeit hätte eine erneute Prüfung seines Asylbegehrens in einem anderen Mitgliedsstaat zu erreichen. Jedenfalls dann, wenn die Widerrufs-, Rücknahme- oder Aberkennungsentscheidung unionsrechtskonform erfolgt ist und insbesondere die Frage, ob dem Ausländer aus anderen Gründen Schutz zuzuerkennen ist, im Verfahren Berücksichtigung gefunden hat, steht der Anwendung des § 71a AsyIG nichts entgegen. Gleiches gilt auch dann, wenn der Wegfall des Schutzstatus auf Umstände zurückzuführen ist, die in der Sphäre des Ausländers liegen, was sich bereits aus der Anwendbarkeit des § 71a AsyIG auf die Fälle einer Rücknahmefiktion aufgrund Untertauchens des Ausländers ergibt. Warum dies für den Fall, dass der Ausländer beispielsweise aktiv auf einen bereits gewährten Schutzstatus verzichtet und dieser daraufhin aberkannt wird anders sein sollte, ist nicht ersichtlich (vgl. hierzu: VG Berlin, Beschluss vom 26.07.2018 - 23 L 389.18 A - juris, das sogar § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsyIG in diesen Fällen für anwendbar hält). [...]

c. Gleichwohl kann dem Kläger die negative Entscheidung der ungarischen Behörden im vorliegenden Einzelfall nicht entgegengehalten werden.

Die Regelung des § 71a AsylG findet - trotz Vorliegens einer unanfechtbaren negativen Entscheidung eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union - ausnahmsweise dann keine Anwendung, wenn - im Hinblick auf die Definition des sicheren Drittstaates in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG - zum Zeitpunkt der Durchführung des Asyl- bzw. Widerrufsverfahrens in dem damals zuständigen Mitgliedsstaat systemische Mängel vorgelegen haben, die dazu führen, dass das Verfahren nicht im Einklang mit den Vorgaben der Grundrechtecharta der Europäischen Union, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Konvention für Menschenrechte durchgeführt worden ist. Grundsätzlich gilt auch aufgrund des Prinzips gegenseitigen Vertrauens die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat im Einklang mit den Erfordernissen der bei der Durchführung von Unionsrecht stets anzuwendenden Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Konvention für Menschenrechte steht (EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-163/17, juris Rn. 82 f. und v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10, juris Rn. 78 ff.). Da jedoch

"nicht auszuschließen [ist], dass das gemeinsame europäische System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen bei einer Überstellung in den bereits schutzgewährenden Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist (vgl. EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-163/17, juris Rn. 82 f.) und der Drittstaat dadurch selber zum Verfolgerstaat wird (vgl. hierzu BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, juris Rn. 189). Das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung befasste Gericht ist daher in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die die betreffende Person zum Nachweis des Vorliegens eines ernsthaften Risikos einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung vorgelegt hat, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-163/17, juris Rn. 90; sowie Beschl. v. 13.11.2019 - C-540/17, juris Rn. 38).

Dieser Maßstab ist entsprechend im Rahmen des § 71a AsylG bei der Prüfung anzulegen, ob das Verfahren als solches in Anwendung der GRCh, der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK durchgeführt worden ist. Der Berücksichtigung eines Erstverfahrens im Rahmen des § 71a AsylG kann der Asylbewerber zwar begegnen, aber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens (vgl. OVG Rh.-Pf., Beschl. v. 01.07.2020 - 13 A 10424/19, juris Rn. 35 m.w.N.; Funke-Kaiser, GK-AsylG, Stand Mai 2020, § 71a Rn. 20). Es kommt daher nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Asylbewerber dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war; derartige individuelle Erfahrungen sind vielmehr lediglich in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel vorliegen (BVerwG, Beschl. v. 06.06.2014 - 10 B 35.14, juris [zur Überstellung nach der Dublin I Systemische Schwachstellen müssen nicht nur strukturell bedingt sein, sondern außerdem aus der Sicht des nun befassten Staates offensichtlich sein (vgl. zu letzterem EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493110, juris Rn. 94). Es müssen Defizite vorliegen, die vorhersehbar sind, weil sie im Rechtssystem des jeweiligen Mitgliedsstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Die Bedingungen im zuständigen Mitgliedstaat müssen auf Grund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sein, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG. Beschl. v. 19.03.2014 10 B 6.14, juris Rn. 9).

(OVG Bremen, Urteil vom 03.11.2020 - 1 LB 28/20 -, juris Rn. 40 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.07.2020 - 13 A 10424/19 juris Rn. 30ff.; VG Sigmaringen, Urteil vom 15.02.2021 - A 13 K 1353/18 juris Rn. 42) [...]

Ausweislich der vorliegenden Erkenntnismittel und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist die Anwendbarkeit des § 71a AsylG im vorliegenden Einzelfall gesperrt, da das ungarische Verfahren zum Widerruf der Flüchtlingseigenschaft nicht den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht.

aa. Die bis Ende 2018 geltende Regelung, wonach Personen unter Anderem von der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus - ähnlich wie im Falle des Flüchtlingsschutzes - ausgeschlossen waren, wenn sie ein Verbrechen begangen hatten, das mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren bestraft wird, hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 13.09.2018 - C-369/17 - für unvereinbar mit Unionsrecht erklärt, da Art. 17 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2011/95/EU - genauso wie im Falle des Ausschlusses von der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 12 Abs. 2 Lit. b) und lit. c) der Richtlinie 2011/95/EU (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010, -C-57109 und C-101/09-, juris) - eine vollständige Prüfung der besonderen Umstände des Einzelfalls vorausgehen muss, was dem automatischen Ausschluss von der Gewährung internationalen Schutzes allein auf Grundlage des Strafmaßes, das der begangenen Straftat zugeordnet ist, ausschließt (EuGH, Urteil vom 13.09.2017 - C-369/17 -, abrufbar unter: curia.europa.eu/en/content/juris/c2 juris.htm). Dem folgend hat der ungarische Staat zum 01.01.2019 das ungarische Asylgesetz ergänzt (vgl. Asylum Information Database, "Country Report: Hungary", 2020 Update, S. 121). [...]

Diese Kriterien finden ebenfalls Anwendung auf den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes (UNHCR, "UNHCR observations an legislative amendments related to exclusion from and revocation of refugee status and subsidiary protection status", Dezember 2020, S. 7). Diese fehlende Differenzierung zwischen Ausschlussgründen - vgl. Art. 12 und 17 der Richtlinie 2011/95/EU - und Widerrufsgründen vgl. Art. 14 und Art. 19 der Richtlinie 2011/95/EU - sowie zwischen den Voraussetzungen für den Widerruf des Flüchtlingsschutzes und des subsidiären Schutzstatus, verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Qualifikationsrichtlinie RL 2011/95/EU (vgl. Asylum Information Database, "Country Report: Hungary", 2020 Update, S. 121; UNHCR, "UNHCR observations on legislative amendments related to exclusion from and revocation of refugee status and subsidiary protection status", Dezember 2020). Die fehlende Differenzierung zwischen den Schutzstatus führt insbesondere dazu, dass im Rahmen des Widerrufs des Flüchtlingsstatus - in Abweichung unionsrechtlicher Vorgaben - eine Prüfung, ob der Ausländer weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt (vgl. Art. 14 Abs. 3 lit. b) der Richtlinie 2011195/EU), nicht stattfindet. Darüber hinaus handelt es sich auch bei der nunmehr geltenden Regelung um eine gebundene Entscheidung, die der nationalen Behörde nicht die seitens des Europäischen Gerichtshofes geforderte individuelle Prüfung aller relevanten Umstände des Einzelfalls ermöglicht. Zudem sieht auch die geänderte Fassung des ungarischen Asylgesetzes im Falle des Widerrufs des Flüchtlingsstatus keine adäquate Differenzierung zwischen dem Ausschluss von der Flüchtlingseigenschaft und dem Ausschluss von den Garantien des Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (non-refoulement-Gebot) vor, was dem Non-Refoulement-Gebot zuwiderläuft (vgl. UNHCR, "UNHCR observations on legislative amendments related to exclusion from and revocation of refugee status and subsidiary protection status", Dezember 2020, S. 6) und damit erheblich die Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK birgt, wenn dies zur Ausweisung bzw. Abschiebung eines Ausländers führt, dem im Heimatland tatsächlich Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention droht. Ob die ungarischen Behörden entgegen der sich aus den Erkenntnismitteln ergebenden Umstände im Falle des Klägers Abschiebungsverbote bei der Widerrufsentscheidung geprüft haben, lässt sich mangels Vorliegens der ungarischen Entscheidung nicht belegen und geht - da die Beweislast insoweit bei der Beklagten liegt - zu deren Lasten.

Angesichts dieser mangelhaften Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben, die jedenfalls potenziell geeignet sind, eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK zu begründen und die bereits systematisch in der Gesetzgebung angelegt sind - wofür auch die seit 2017 faktisch ausgesetzte Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen der Dublin-l1I-Verordnung und die durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 17.12.2020 (C-808118, juris) festgestellte Verletzung von Unionsrecht durch das ungarische Asylsystem, das die Einrichtung von Transitzonen und die Inhaftierung von Asylsuchenden in diesen außerhalb des ungarischen Staatsgebietes errichteten Zonen vorsieht, spricht - ist die Anwendung des § 71a AsylG im vorliegenden Einzelfall ausgeschlossen (vgl. auch: VG Sigmaringen, Urteil vom 15.02.2021 — A 13 K 1353/18 —, juris Rn. 43 ff.). [...]