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VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 04.03.2021 - 27 I 11/21 - asyl.net: M29684
https://www.asyl.net/rsdb/m29684
Leitsatz:

Kein Betreten sondern Durchsuchen, wenn Wohnungstür auch zwangsweise geöffnet werden soll:

"1. Zur - in Rechtsprechung und Literatur umstrittenen - Abgrenzung der dem Richtervorbehalt des § 58 Abs. 8 AufenthG unterliegenden Durchsuchung gemäß § 58 Abs. 6 AufenthG von einem Betreten der Wohnung im Sinne von § 58 Abs. 5 S. 1 AufenthG (offengelassen).

2. Regelmäßig liegt jedenfalls dann, wenn die Mitarbeiter der Ausländerbehörde sich vorbehalten, für den Fall, dass die Wohnungstür nicht geöffnet wird, diese zwangsweise zu öffnen, nicht nur ein (zwangsweises) Betreten sondern - als einheitliche Maßnahme - eine Durchsuchung vor.

3. Es macht in Bezug auf das Gewicht des Eingriffs und den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG keinen Unterschied, ob sich der Betroffene durch Nichtöffnen der Wohnungstür verborgen hält oder ob er sich innerhalb der Wohnung versteckt.

4. Eine Durchsuchung ist im Sinne von § 58 Abs. 6 AufenthG erforderlich, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Voraussetzungen für die Durchführung der Abschiebung des Ausländers nicht vorliegen könnten, Gründe für die Annahme vorliegen, dass dieser sich in der in Rede stehenden Wohnung aufhält und die beabsichtigte Durchsuchung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Wohnungsdurchsuchung, Abschiebung, Betreten, Zwangsmittel,
Normen: AufenthG § 58 Abs. 6, GG Art. 13 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Die von der Antragstellerin beabsichtigte Maßnahme stellt eine Durchsuchung im Sinne der Vorschrift dar. [...]

Abzugrenzen ist die Durchsuchung von einem reinen Betreten der Wohnung im Sinne von § 58 Abs. 5 S. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Der Richtervorbehalt aus § 58 Abs. 8 AufenthG gilt angesichts seines eindeutigen Wortlauts für § 58 Abs. 5 AufenthG nicht.

Diese Abgrenzung ist zwar im Einzelnen umstritten. Ob es überhaupt Fälle des Eindringens in eine Wohnung gegen den Willen des Wohnungsinhabers zum Zweck des Auffindens und Ergreifens einer Person gibt, die nicht als Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG mit der Folge eines verfassungsrechtlich angeordneten Richtervorbehalts anzusehen sind oder zumindest so in Nähe einer Durchsuchung gelangen, dass Art.  3 Abs. 2 GG - im Wege der verfassungskonformen Auslegung - Anwendung finden muss (vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 15. März 2007 – 1 BvR 2138/05 –, juris, Rn. 36), wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. [...]

Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Betreten im Sinne von § 58 Abs. 5 AufenthG den verfassungsrechtlichen Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG im Einzelfall auslösen kann, muss die Kammer indes vorliegend nicht entscheiden, weil jedenfalls die hier konkret beabsichtigte Maßnahme sich bereits nicht auf ein reines Betreten der Wohnung der Antragsgegner beschränkt, sondern in ihrer konkret beabsichtigten Ausgestaltung eine Durchsuchung im Sinne des § 58 Abs. 6 AufenthG darstellt. Die Antragstellerin behält sich nämlich für den Fall, dass die Tür auf ihr Klingeln hin nicht geöffnet wird, die zwangsweise Öffnung der Wohnungstür vor. [...]

Bei Eintreffen vor der Wohnungstür des Ausländers hat die Behörde regelmäßig, so auch hier, - über eine "Auffindungsvermutung" hinaus, ohne die weder ein Betreten noch eine Durchsuchung verhältnismäßig wären, - keine Gewissheit über die Anwesenheit des Ausländers in der Wohnung. Wird die Tür auf das Klingeln nicht geöffnet, gilt dieses umso mehr. Die Behörde kann sich in dieser Situation nicht sicher sein, ob sich der Ausländer in der Wohnung tatsächlich aufhält. Wird dann aber die Tür zwangsweise, d.h. ohne oder gegen den  (mutmaßlichen) Willen der Bewohner – und sei es mit einem Zweitschlüssel –, geöffnet und die Wohnung betreten, scheidet eine Differenzierung zwischen einem bloßen, nicht dem Richtervorbehalt unterliegenden Betreten und Durchsuchen erst jenseits der Türschwelle aus; (jedenfalls) in dieser Konstellation ist das mit Zwang durchgesetzte Betreten der Wohnung bereits Teil der Durchsuchungsmaßnahme. Ziel der zwangsweisen Öffnung der Tür ist die Erforschung des Aufenthalts des Ausländers in dieser Wohnung. Maßgeblich für die Einordnung ist die ex ante Beurteilung der Behörde; hier also die Situation bei Eintreffen vor der Wohnungstür. Der Umstand, dass der Ausländer dann gegebenenfalls in der Wohnung "im offenen Raum stehend liegend oder sitzend angetroffen" wird, vermag diese Einschätzung nicht (mehr) zu ändern. Zudem ist auch davon auszugehen, dass der Ausländer, der auf das Klingeln der Behördenmitarbeiter nicht öffnet, seinen Aufenthalt in der Wohnung geheim halten möchte.

Die Einordnung der Maßnahme als Durchsuchung wird auch der Intensität des Eingriffs gerecht. Denn das erstmalige Betreten der Wohnung gegen den Willen der Antragsgegner stellt sich in Bezug auf den Schutzzweck des Art. 13 GG als – mindestens – ebenso gewichtig dar wie eine Suche nach den Betroffenen innerhalb der Räumlichkeiten. Es macht in Bezug auf das Gewicht des Eingriffs keinen Unterschied, ob sich der Betroffene durch Nichtöffnen der Wohnungstür verborgen hält oder ob er sich innerhalb der Wohnung – zum Beispiel in einem hinter der Wohnungstür befindlichen Schrank, hinter einem geschlossenen (Dusch-)Vorhang oder in seinem Bett unter der Bettdecke – versteckt. Alle diese Sachverhalte sind dadurch gekennzeichnet, dass die Betroffenen keinen freiwilligen Zugriff auf ihre Person innerhalb der eigenen Wohnung gewähren wollen und rechtfertigen im Hinblick auf den Richtervorbehalt des § 58 Abs. 8 AufenthG keine unterschiedliche Handhabung (vgl. Franke/Kerkemeyer, Zum verfassungsrechtlichen Durchsuchungsbegriff und der "Betretenserlaubnis" in § 58 V AufenthG, NVwZ 2020, 760, 762 ff.). [...]

c) Die Durchsuchungsanordnung stellt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch als verhältnismäßig dar. [...]

Die Erforderlichkeit einer Durchsuchung zur Ergreifung einer Person zwecks Abschiebung kann etwa gegeben sein, wenn die Vollstreckungsmaßnahme bereits einmal daran gescheitert ist, dass sich der abzuschiebende Ausländer so in der Wohnung verborgen gehalten hat, dass er nur durch eine Durchsuchung hätte gefunden werden können, oder aufgrund anderer Umstände konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die geplante Ingewahrsamnahme hieran scheitern könnte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Mai 2004 – 15 W 307/03 –, juris, Rn. 4 m.w.N.; siehe auch Beschluss vom 10.12.2019 – 3 K 7771/19 –, juris, Rn. 29).

Auch Verstöße gegen Mitwirkungspflichten können möglicherweise die Erforderlichkeit der Wohnungsdurchsuchung begründen (vgl. Zeitler, HTK-AuslR / § 58 AufenthG / Abs. 5 bis 10, Stand: 28.01.2020, Rn. 35).

Allein der Umstand, dass ein Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist, vermag die Erforderlichkeit einer Wohnungsdurchsuchung dagegen grundsätzlich nicht zu begründen. [...]