VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 26.01.2021 - 19 B 3552/20 - asyl.net: M29646
https://www.asyl.net/rsdb/m29646
Leitsatz:

Änderung der Wohnsitzauflage für den Umzug zu pflegenden Angehörigen:

1. Es besteht ein Anspruch auf Änderung der Wohnsitzauflage zur Duldung, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass eine ältere pflegebedürftige Person mit ihren Angehörigen zusammenleben und von diesen gepflegt werden kann. Das Ermessen ist in diesem Fall auf Null reduziert. Eine Zustimmung der Zuzugsbehörde ist bei der Änderung der Wohnsitzauflage zur Duldung nicht notwendig.

2. Die Änderung der Wohnsitzauflage kann auch in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchgesetzt werden, dem es insbesondere nicht an der Eilbedürftigkeit fehlt, wenn sonst die Pflege der antragstellenden Person nicht mehr sichergestellt ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Wohnsitzauflage, Pflegebedürftigkeit, familiäre Lebensgemeinschaft, familiäre Beistandsgemeinschaft, Anordnungsgrund, Duldung, Zustimmung, Zustimmung der Zuzugsbehörde,
Normen: AufenthG § 61 Abs. 1d, GG Art. 6,
Auszüge:

[...]

Dem Anspruch auf Änderung der Wohnsitzauflage steht dabei nicht die fehlende Zustimmung der Beigeladenen entgegen. Eine Zustimmung der Zuzugsbehörde bei Änderung der Wohnsitzverpflichtung ist gesetzlich nicht gefordert. Derartiges gilt nach § 72 Abs. 3a AufenthG allein für den Fall der Aufhebung einer Zuweisung gemäß § 12a Abs. 5 AufenthG und damit für Ausländer, die als Asylberechtigte, Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte anerkannt worden sind oder denen aus humanitären Gründen erstmalig eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist (§ 12a Abs. 1 AufenthG). [...]

Eine Abwägung dieser widerstreitenden Interessen ergibt vorliegend, dass das private Interesse der Antragstellerin an einer Änderung der Wohnsitzauflage gegenüber dem öffentlichen Interesse an deren Aufrechterhaltung überwiegt. Die Entscheidung der Antragsgegnerin verdichtet sich bei Abwägung der in Streit stehenden Interessen aller Voraussicht nach zu einer gebundenen Entscheidung (hierzu unter a. und b.).

a. Die Antragstellerin kann sich aufgrund der aus ihrem Gesundheitszustand resultierenden Notwendigkeit familiären Beistandes durch die Familie ihres Sohnes, mit denen sie bereits in Hannover in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat, auf die Schutzwirkungen des Art. 6 GG berufen. [...]

b. Das Begehren der Antragstellerin auf Änderung der Wohnsitzauflage dürfte im Hinblick auf die Schutzwirkungen des Art. 6 GG unter den gegebenen Umständen nicht ermessensfehlerfrei abgelehnt werden können, so dass sich die gemäß § 61 Abs. 1d AufenthG ins Ermessen der Behörde gestellte Entscheidung zu einer gebundenen Entscheidung verdichtet und nur eine Änderung der Wohnsitzauflage in Betracht kommt. [...]

II. Die Antragstellerin hat auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes hinreichend glaubhaft gemacht. Der der Antragstellerin zustehende besondere Schutz der Familie und die damit einhergehende Pflicht des Staates, diese zu schützen und zu fördern (Art. 6 Abs. 1 GG) gebieten eine vorläufige Regelung bis zur Hauptsacheentscheidung. Die besondere Dringlichkeit der Anordnung ergibt sich aus der Notwendigkeit der Gewährleistung familiärer pflegerischer Betreuung der Antragstellerin. Für die Antragstellerin gibt es keine andere rechtlich zulässige Möglichkeit, zur Sicherstellung ihres pflegerischen Hilfebedarfs die häusliche Lebensgemeinschaft bei ihrer Familie in Lehrte zu begründen. Ein Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist ihr daher nicht zumutbar. [...]