VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 29.10.2020 - 14 B 20.30408 - asyl.net: M29623
https://www.asyl.net/rsdb/m29623
Leitsatz:

Verletzung der in der EMRK verbürgten Menschenrechtsgarantien "in ihrem Kern" als Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots:

"1. Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK - aufgrund weitgehend identischer sachlicher Regelungsbereiche auf die Rechtsprechung des EGMR zurückzugreifen (im Anschluss an BVerwG, U.v. 20.5.2020 - 1 C 11.19 - juris Rn. 10) (Rn. 28).

2. Die den subsidiären Schutz begründende Gefahr eines ernsthaften Schadens in Form von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung muss nach § 4 Abs. 3 AsylG stets von einem Akteur i.S.d. § 3c AsylG ausgehen (im Anschluss an BVerwG, U.v. 20.5.2020 - 1 C 11.19 - juris Rn. 10 f.) (Rn. 28).

3. Eine im Regelfall gemeinsame Rückkehr im Familienverband ist der Gefährdungsprognose bei der Prüfung nationaler Abschiebungsverbote auch dann zugrunde zu legen, wenn einzelnen Mitgliedern der bereits im Bundesgebiet tatsächlich zusammenlebenden Kernfamilie bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für diese ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (im Anschluss an BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 - BVerwGE 166, 113 Rn. 19 ff.) (Rn. 59).

4. § 60 Abs. 5 AufenthG verbietet nicht nur die Abschiebung eines Ausländers in einen Nicht-Vertragsstaat der EMRK, wenn ihm dort unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Vielmehr kann eine Abschiebung nach § 60 Abs. 5 AufenthG auch unzulässig sein, wenn im Einzelfall im Zielstaat die Verletzung anderer in der EMRK verbürgter, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannter Menschenrechtsgarantien zu befürchten ist - jedoch verbietet § 60 Abs. 5 AufenthG die Abschie­bung in solchen Fällen nur dann, wenn diese anderen Menschenrechtsgarantien "in ihrem Kern" bedroht sind, wobei die drohenden Beeinträchtigungen von ihrer Schwere her dem vergleichbar sein müssen, was nach der bisherigen Rechtsprechung wegen menschenunwürdiger Behandlung zu einem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK geführt hat (im Anschluss an BVerwG, U.v. 24.5.2000 - 9 C 34.99 - BVerwGE 111, 223/228 f.) (Rn. 66)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: subsidiärer Schutz, Abschiebungsverbot, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Krankheit, Iran, Diskriminierung, Akteur, Achtung des Privatlebens, Achtung des Familienlebens,
Normen: AsylG § 4, AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3, EMRK Art. 8,
Auszüge:

[...]

66 In der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts ist grundsätzlich geklärt, dass § 60 Abs. 5 AufenthG nicht nur die Abschiebung eines Ausländers in einen Nicht-Vertragsstaat der EMRK verbietet, wenn ihm dort unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Vielmehr kann eine Abschiebung nach § 60 Abs. 5 AufenthG auch unzulässig sein, wenn im Einzelfall im Zielstaat die Verletzung anderer in der EMRK verbürgter, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannter Menschenrechtsgarantien zu befürchten ist - jedoch verbietet § 60 Abs. 5 AufenthG die Abschiebung in solchen Fällen nur dann, wenn diese anderen Menschenrechtsgarantien "in ihrem Kern" bedroht sind, wobei die drohenden Beeinträchtigungen von ihrer Schwere her dem vergleichbar sein müssen, was nach der bisherigen Rechtsprechung wegen menschenunwürdiger Behandlung zu einem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK geführt hat (vgl. BVerwG, U.v. 24.5.2000 - 9 C 34.99 - BVerwGE 111, 223/228 f.; B.v. 8.4.2004 - 1 B 199.03 - juris Rn. 5; B.v. 21.12.2004 - 1 B 74.04 - juris Rn. 5). [...]