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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 23.02.2021 - XIII ZB 50/20 - asyl.net: M29604
https://www.asyl.net/rsdb/m29604
Leitsatz:

Ausübung von Ermessen bei Anordnung von Ausreisegewahrsam:

a) Die Ausübung des Ermessens bei der Anordnung des Ausreisegewahrsams nach § 62b AufenthG erfordert eine Berücksichtigung der relevanten persönlichen Umstände des Betroffenen.

b) Hat das Amtsgericht nicht erkannt, dass es ein Ermessen hat, und den Betroffenen nicht zu seinen für die Ermessensausübung relevanten persönlichen Umständen - z.B. seiner Arbeitsstelle - befragt, kann der Ermessensfehler nur nach erneuter Anhörung des Betroffenen und nur für die Zukunft geheilt werden.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Anhörung, Wohnanschrift, Anschrift, Ausreisegewahrsam, Ermessen,
Normen: AufenthG § 62b,
Auszüge:

[...]

cc) Die Anordnung des Ausreisegewahrsams war aber deshalb rechtswidrig, weil das Amtsgericht von seinem Anordnungsermessen keinen Gebrauch gemacht hat.

(1) Der Haftrichter ist gesetzlich nicht verpflichtet, Ausreisegewahrsam anzuordnen, wenn er das Vorliegen der Voraussetzungen hierfür nach § 62b AufenthG festgestellt hat. Im Unterschied zur Sicherungshaft, die nach § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in diesem Fall anzuordnen ist, hat der Haftrichter bei der Anordnung von Ausreisegewahrsam nach § 62b Abs. 1 Satz 1 AufenthG ein Ermessen. Er kann den Ausreisegewahrsam anordnen, aber auch davon absehen. Er kann dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit deshalb nicht nur bei der Bestimmung der Länge des anzuordnenden Ausreisegewahrsams, sondern auch dadurch Rechnung tragen, dass er von der Anordnung trotz Vorliegens der Voraussetzungen absieht. Die Anordnung von Ausreisegewahrsam ist deshalb nur rechtmäßig, wenn der Haftrichter nicht nur das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 62b AufenthG festgestellt, sondern auch sein Anordnungsermessen pflichtgemäß ausgeübt und eine Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Betroffenen und dem staatlichen Interesse an der zügigen Durchführung der Abschiebung vorgenommen hat. Die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gründe sind - wenn auch in knapper Form - in der Entscheidung darzulegen (§ 38 Abs. 3 Satz 1, § 96 Abs. 2 FamFG). Das Rechtsbeschwerdegericht darf zwar nicht das Ermessen des Tatrichters durch eine eigene Entscheidung ersetzen. Es hat aber zu überprüfen, ob eine Ermessensentscheidung überhaupt stattgefunden hat und ob sie fehlerfrei - insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - erfolgt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2012 - V ZB 221/11, FGPrax 2012, 84 Rn. 4 [zur "kleinen Sicherungshaft"], und vom 20. April 2018 - V ZB 226/17, NVwZ-RR 2018, 746 Rn. 11 f.). [...]