Abschiebungen nach Griechenland grundsätzlich möglich:
1. Die Lebensbedingungen anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland nach einer Rücküberstellung stellen nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein im Regelfall keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.
2. Die Frage, ob dies auch für besonders schutzbedürftige Personen gilt, ist nicht verallgemeinerungsfähig. Vielmehr ist in einer Einzelfallbetrachtung zu bestimmen, welches Maß an Eigeninitiative den betroffenen Personen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zugemutet werden kann.
3. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass vor einer Rückführung nach Griechenland zwingend eine konkrete Zusicherung einzuholen ist (unter Bezug auf BVerfG, Beschluss vom 31.07.2018 - 2 BvR 714/18 - asyl.net: M26565).
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
4-6 Die von dem Kläger aufgeworfene Frage, ob die derzeitigen Lebensbedingungen anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland nach einer Rücküberstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen, zielt auf die Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG, wäre in einem Berufungsverfahren aber nicht (mehr) klärungsbedürftig. Auf der Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 19.03.2019 - Rs. C-163/17 - Jawo) zum gleichlautenden Art. 4 GRC ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass anerkannt schutzberechtigte Personen in Griechenland nicht mit einer konventionswidrigen Behandlung rechnen müssen, weil sie sich in so ernsthafter Armut, Bedürftigkeit und extremer materieller Not wiederfänden, dass dies mit der Menschenwürde nicht mehr vereinbar wäre (Urt. v. 06.09.2019 - 4 LB 17/18 -, juris Rn. 50, 160 ff.).
7-9 Der "hilfsweise" aufgeworfenen Frage für den Fall, dass ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK durch die derzeitigen Lebensbedingungen anerkannter Schutzberechtigter nicht im Allgemeinen festgestellt werden kann, nämlich ob besonders schutzbedürftigen Personen im Falle einer Rücküberstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kommt über die genannte Klärung hinaus keine grundsätzliche Bedeutung (mehr) zu, sie ist im Übrigen auch nicht verallgemeinerungsfähig. Inwieweit die o.g. Rechtsprechung zu dem fehlenden Vorliegen von Anhaltspunkten für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auch für besonders vulnerable Personen gilt, hat der Senat zwar offengelassen (Urt. v. 06.09.2019 - 4 LB 17/18 -, juris Rn. 162). Die darauf abzielende Frage lässt sich jedoch nicht allgemein in die eine oder andere Richtung beantworten. Ihre Beantwortung hängt vielmehr von den individuellen Umständen ab. Nach der Rechtsprechung des Senats geht die sozioökonomische Integration Drittstaatsangehöriger in Griechenland im Wesentlichen auf Eigeninitiative zurück. Vulnerableren Gruppen (z.B. Familien mit kleinen Kindern) kann kein so hohes Maß an Eigeninitiative zugemutet werden wie arbeitsfähigen alleinstehenden gesunden Männern (Urt. v. 06.09.2019 a.a.O. Rn. 162, 174). Damit ist jedoch nicht gesagt, dass die einer Familie (in geringerem Maße) zumutbare Eigeninitiative generell nicht zum Erfolg führen kann. Vielmehr müssen hierfür regelmäßig (auch) die Umstände des Einzelfalls in den Blick genommen werden. Hiervon geht auch das im Zulassungsantrag zitierte Urteil des VG Regensburg vom 3. Januar 2019 (Az. RN 11 K 18.31292) aus. [...]
13 Der Antrag wird den genannten Anforderungen nicht gerecht. Der Kläger rügt eine fehlerhafte bzw. unterbliebene Beachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 2018 (Az. 2 BvR 714/18, juris), bzw. eine mangelhafte Sachaufklärung, arbeitet anhand der konkret zitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts unter Rn. 18, 19 aber keinen abstrakten tragenden Rechtssatz heraus, von dem das Verwaltungsgericht mit einem ebenso tragenden Rechtssatz abgerückt sein soll.
14 Ein Rechtssatz des Inhalts, dass vor der Rückführung eine Zusicherung Griechenlands einzuholen ist, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu vermeiden, da anerkannt Schutzberechtigte von der Inanspruchnahme von Sozialleistungen sonst faktisch ausgeschlossen wären, ergibt sich aus dem zitierten Beschluss tatsächlich nicht. Er befasst sich lediglich mit der dem Fachgericht obliegenden Sachaufklärungspflicht und führt aus, dass eine Rückführung von Schutzberechtigten nach Griechenland eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen kann, wenn der Behörde bekannt ist oder bekannt sein muss, dass dort Bedingungen herrschen, die gegen Art. 3 EMRK verstoßen (Rn. 18). Insofern kann es geboten sein, dass sich die zuständigen Behörden und Gerichte vor einer Rückführung über die dortigen Verhältnisse informieren und gegebenenfalls Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen (Rn. 19). Entgegenstehende Rechtssätze hat das Verwaltungsgericht im Übrigen nicht formuliert.
15 Weiter führt das Bundesverfassungsgericht unter Verweis auf seine Entscheidung vom 8. Mai 2017 (Az. 2 BvR 157/17) aus, dass die in Griechenland verfügbaren Sozialleistungen nach den vorgelegten Erkenntnissen an einen bis zu 20jährigen legalen Aufenthalt anknüpften, weshalb anerkannt Schutzberechtigte von der Inanspruchnahme dieser Leistungen faktisch ausgeschlossen seien (Rn. 23). Hieraus zieht es allerdings nicht den Schluss, dass zwingend eine Zusicherung griechischer Behörden einzuholen sei, sondern nur, dass es weiterer Feststellungen dazu bedurft hätte, ob und wie für nach Griechenland zurückgeführte anerkannt Schutzberechtigte zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird (Rn. 24), zumal eine Zusicherung nicht vorliege (Rn. 25).
16 Von der einzigen tatsächlichen Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass die in Griechenland verfügbaren Sozialleistungen – nach einem Erkenntnisstand von Anfang 2017 – an einen bis zu 20-jährigen legalen Aufenthalt anknüpften, weshalb anerkannt Schutzberechtigte von der Inanspruchnahme dieser Leistungen faktisch ausgeschlossen seien (Rn. 23), weicht das Verwaltungsgericht nicht in entscheidungserheblicher Weise ab. Vielmehr weist es in Auswertung von Erkenntnissen aus der Zeit bis Anfang 2019 darauf hin, dass das Postulat einer für erforderlich erachteten individuellen Zusicherung offenkundig nicht auf einer aktuellen Tatsachengrundlage beruhe und die Einholung einer individuellen Zusicherung nach den aktuellen Erkenntnisquellen im Entscheidungszeitpunkt nicht erforderlich erscheine (Seite 11 des im Urteil in Bezug genommenen Gerichtsbescheides vom 26.03.2019). Dabei setzt sich das Verwaltungsgericht – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert (Rn. 26) – u.a. ab Seite 7 des Gerichtsbescheides mit der Einführung allgemeiner Sozialhilfeleistungen durch Gesetz von Mai 2017 und der seit Januar 2017 landesweit eingeführten Pilotphase des Solidaritätseinkommens, verbunden mit kostenloser medizinischer Versorgung, Gewährung von Schulmahlzeiten und die Weiterleitung an soziale Strukturen und Fürsorgedienste, auseinander und weist ergänzend darauf hin, dass das Erfordernis eines Wohnungsnachweises seit Anfang 2018 weggefallen sei. [...]