Abschiebungshaft für "Gefährder" in gewöhnlicher Haftanstalt zulässig:
"Die Abschiebungshaft kann bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, in einer allgemeinen Haftanstalt vollzogen werden, wenn er getrennt von Strafgefangenen untergebracht wird und diese Art des Haftvollzugs im konkreten Einzelfall verhältnismäßig ist [...]."
(Amtlicher Leitsatz; anschließend an EuGH, Urteil vom 02.07.2020 - C-18/19, WM gg. Stadt Frankfurt am Main (Asylmagazin 10-11/2020, S. 390 f.) - asyl.net: M28827)
[...]
5 2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Haftanordnung musste im Streitfall nicht im Hinblick auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts der Europäischen Union wegen einer absehbar rechtswidrigen Unterbringung des Betroffenen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 2013 - V ZB 40/11, juris Rn. 20 [insoweit in NVwZ 2014, 166 nicht abgedruckt]; vom 25. Juli 2014 - V ZB 137/14, InfAuslR 2014, 441 Rn. 5, und vom 25. August 2020 - XIII ZB 40/19, juris Rn. 12, jeweils mwN) unterbleiben.
6 a) Die Unterbringung des Betroffenen in der allgemeinen Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Main I erfolgte auf der Grundlage des § 62a Abs. 1 Satz 2 AufenthG aF. Diese Vorschrift steht mit dem Recht der Europäischen Union, insbesondere mit Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EG Nr. L 348, S. 98 - "Rückführungsrichtlinie"), in Einklang. [...]
8 bb) Um eine solche nationale Regelung handelt es sich bei § 62a Abs. 1 AufenthG aF. Zwar wird nach Satz 1 dieser Vorschrift Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Satz 2 der Norm erlaubt jedoch die Vollziehung der Haft in sonstigen Haftanstalten - getrennt von Strafgefangenen -, wenn von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht.
9 b) Die in § 62a Abs. 1 Satz 2 AufenthG aF angeführten Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer allgemeinen Justizvollzugsanstalt waren im Streitfall erfüllt. Vom Betroffenen ging eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus und er konnte in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt I getrennt von Strafgefangenen untergebracht werden.
10 c) Die Unterbringung des Betroffenen in einer allgemeinen Haftanstalt statt in einer Abschiebungshafteinrichtung ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
11 aa) Allerdings ist eine solche Unterbringung wegen des mit ihr verbundenen Eingriffs in das Grundrecht auf Freiheit der Person, der dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen muss (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. April 2018 - V ZB 162/17, InfAuslR 2018, 335 Rn. 16 mwN), nur dann gerechtfertigt, wenn sie trotz der Schwere des mit einer solchen Maßnahme verbundenen Eingriffs im Hinblick auf die konkrete, von dem Betroffenen ausgehende Gefahr erforderlich und angemessen ist (vgl. dazu auch Schlussanträge des Generalanwalts vom 27. Februar 2020 - C-18/19, ECLI:EU:C:2020:130 Rn. 96 ff.). Das war hier der Fall.
12 (1) In Abschiebungshafteinrichtungen genießen Gefangene deutlich mehr Freiheiten als in Einrichtungen für Untersuchungs- oder Strafgefangene. Die Gefangenen können sich dort in größerem Umfang frei bewegen, haben umfangreiche Kommunikationsmöglichkeiten einschließlich fremdsprachiger nationaler und internationaler Telefonate. Das hat zur Folge, dass sie im Einzelfall schwer zu kontrollieren sind. Eine Absicherung der Einrichtung gegen Übergriffe von außen ist zudem nur bis zu einem gewissen Grad gewährleistet (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, BT-Drucks. 18/12415, S. 15; Ausschussempfehlungen zu dem Entwurf eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, BR-Drucks. 179/1/17, S. 15; Schlussanträge des Generalanwalts vom 27. Februar 2020 - C-18/19, ECLI:EU:C:2020:130 Rn. 103 f.).
13 (2) In einer solchen Einrichtung konnte den besonderen Sicherheitsbedürfnissen, wie sie für den Betroffenen auch während seiner Inhaftierung erforderlich waren, nicht in hinreichendem Maß Rechnung getragen werden. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hatte der Betroffene während eines Syrienaufenthaltes im Jahr 2014 in den Reihen des IS gekämpft und plante nach seiner Rückkehr die Begehung eines Terroranschlags in Deutschland. Der mit Mitgliedern der radikal-salafistischen Szene eng vernetzte und rechtskräftig unter anderem wegen Körperverletzung verurteilte Betroffene galt als - insbesondere zur Durchsetzung seiner Wertvorstellungen - gewaltbereit, weshalb etwa für die Flugabschiebung eine herkömmliche Sicherheitsbegleitung für unzureichend angesehen wurde und auf besonders geschultes Personal zurückgegriffen werden musste. Der Betroffene hätte somit in einer Abschiebungshafteinrichtung eine Gefahr für andere Gefangene und das Aufsichtspersonal bedeutet. Zudem hätte nicht jede Fluchtmöglichkeit ausgeschlossen werden können.
14 bb) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt nicht, dass zugunsten der in den Anwendungsbereich des § 58a AufenthG fallenden Personen - zumindest einzelne - Abschiebungshafteinrichtungen derart umstrukturiert werden, dass sie bei ansonsten unveränderter Funktionsweise die spezifischen Sicherheitsanforderungen für die Unterbringung dieser Personen erfüllen. Dem stehen die gegenläufigen Freiheitsrechte der übrigen Insassen der betreffenden Abschiebungshafteinrichtungen entgegen. Denn eine solche Umstrukturierung würde zwangsläufig zu einer allgemeinen Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen zum Nachteil der Bewegungsfreiheit der übrigen - nicht gefährlichen - Inhaftierten führen, die gezwungen wären, sich in einer Gefängnisumgebung aufzuhalten.
15 cc) Ebenso wenig sind aus Gründen der Verhältnismäßigkeit innerhalb der Abschiebungshafteinrichtungen Sondereinheiten für die Unterbringung besonders gefährlicher Personen zu schaffen. Dies würde angesichts der Zahl dieser Personen, die im Vergleich zur Gesamtzahl der im Rahmen eines Rückkehrverfahrens inhaftierten Betroffenen sehr gering und zudem temporär schwankend ist, zu einem unverhältnismäßig hohen organisatorischen und finanziellen Aufwand führen (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 27. Februar 2020 - C-18/19, ECLI:EU:C:2020:130 Rn. 104, und BeckOK AuslR/Kluth [1.10.2020], § 62a AufenthG Rn. 11a). [...]