Ersatzzustellung durch Niederlegung, wenn die Annahme verweigert wird:
"Die Ersatzzustellung durch Niederlegung ist auch dann rechtmäßig, wenn ein Leiter einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber generell die Annahme von Zustellungen für die Bewohner verweigert.
Voraussetzung des § 181 Abs. 1 ZPO ist dem Wortlaut der Norm nach lediglich die Unausführbarkeit einer Ersatzzustellung in der Gemeinschaftseinrichtung. Der Grund für die Unausführbarkeit ist unerheblich, er darf auch auf fehlender Mitwirkung des Adressaten oder der Empfangsperson nach § 178 Abs. 1 ZPO beruhen.
Es ist rechtlich zulässig, den Leiter der Gemeinschaftsunterkunft als verweigernden Ersatzempfänger wie nicht angetroffen zu behandeln und das Schriftstück gemäß § 181 ZPO durch Niederlegung zuzustellen."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
26 Die Ersatzzustellung durch Niederlegung war rechtmäßig. Grundsätzlich kann nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ein Schriftstück in Gemeinschaftseinrichtungen dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter zugestellt werden, wenn die Person, der zugestellt werden soll, in der Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen wird. Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht ausführbar, kann gemäß § 181 Abs. 1 ZPO das zuzustellende Schriftstück auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk der Ort der Zustellung liegt, niedergelegt werden. Wird die Post mit der Ausführung der Zustellung beauftragt, ist das zuzustellende Schriftstück am Ort der Zustellung oder am Ort des Amtsgerichts bei einer von der Post bestimmten Stelle niederzulegen. [...]
29 Die Zustellung war hier trotz der Annahmeverweigerung des Leiters der Gemeinschaftseinrichtung rechtmäßig. Anders als die Klägerin vertritt das Gericht nicht die Rechtsauffassung, dass die Zustellung durch Niederlegung nur dann zulässig ist, wenn der Einrichtungsleiter als tauglicher Zustellungsempfänger im Sinne des § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht persönlich angetroffen wird. Voraussetzung des § 181 Abs. 1 ZPO ist dem Wortlaut der Norm nach lediglich die Unausführbarkeit einer Ersatzzustellung in der Gemeinschaftseinrichtung. Der Grund für die Unausführbarkeit ist unerheblich, er darf auch auf fehlender Mitwirkung des Adressaten oder der Empfangsperson nach § 178 Abs. 1 ZPO beruhen. Es ist rechtlich zulässig, den Leiter der Gemeinschaftsunterkunft als verweigernden Ersatzempfänger wie nicht angetroffen zu behandeln und das Schriftstück gemäß § 181 ZPO durch Niederlegung zuzustellen (vgl.: Hüßtege in: Thomas/Putzo ZPO, 40. Aufl. 2019, § 181 Rn. 3; Dörndorfer in: BeckOK ZPO, 39. Ed. 1.12.2020, § 179 Rn. 1; Schwarz in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 260. Lieferung 10.2020, § 3 VWZG Rn. 84; wohl auch Wittschier in: Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, ZPO § 181 Rn. 2; Coenen, "Das (nicht mehr ganz neue) Zustellungsrecht oder knappe Formulierung = klare Regelung?", DGVZ 2004, 69, 71).
30 Die gegenteilige Ansicht, nach der in Fällen der Annahmeverweigerung stets nach § 179 ZPO zu verfahren sei (vgl. Schultzky in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 181 Rn. 2; Siebert in: Saenger, ZPO, 8. Auflage 2019, § 181 Rn. 2, beck-online), überzeugt die Einzelrichterin nicht. Sie widerspricht dem Sinn und Zweck der Zustellungsvorschriften. Wie in den Vorschriften der §§ 178 bis 181 ZPO geht es auch in § 181 darum, eine Zustellung ohne persönliche Übergabe zu ermöglichen, um so den Interessen des Zustellungsveranlassers Rechnung zu tragen und zugleich den Adressaten durch Verfahrensregeln zu schützen, die den Zugang zu der Sendung sicherstellen sollen (vgl. Häublein/Müller in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 181 Rn. 1). Dem Interesse des Zustellungsadressaten zeitnah und zuverlässig vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis nehmen zu können, wird bei einer Annahmeverweigerung durch den Leiter einer Gemeinschaftseinrichtung, wie der vorliegenden, durch die Ersatzzustellung gemäß § 181 ZPO regelmäßig besser Rechnung getragen als durch die Anwendung des § 179 ZPO. Durch die vorgeschriebene Mitteilung über die Niederlegung wird der Zustellungsempfänger in die Lage versetzt, sich das betreffende Schriftstück selbst zu beschaffen oder es von einem Bevollmächtigten abholen zu lassen und sodann von dem Inhalt Kenntnis zu erlangen. Die Anwendung des § 179 ZPO würde hingegen dazu führen, dass das zuzustellende Schriftstück im Büro des Einrichtungsleiters zurückgelassen (vgl. § 179 Satz 1 2. Alt. ZPO) oder aber an den Absender zurückgesendet (vgl. § 179 Satz 2 ZPO) würde. Gemäß § 179 Satz 3 ZPO gilt das Schriftstück mit der Annahmeverweigerung als zugestellt, ohne dass der Zustellungsadressat hiervon in irgendeiner Art und Weise benachrichtigt wird. Durch ein Zurücklassen oder Zurücksenden würde dem Betroffenen die Kenntnisnahme erheblich erschwert oder sogar zeitweise unmöglich gemacht. Die ersatzweise Zustellung durch Niederlegung ist demgegenüber weniger belastend und trägt gleichwohl den Interessen des Zustellungsveranlassers hinreichend Rechnung.
31 Überdies erscheint auch zweifelhaft, ob überhaupt von einer "unbefugten" Annahmeverweigerung im Sinne des § 179 ZPO gesprochen werden kann, wenn - wie bei Gemeinschaftseinrichtungen dieser Größenordnung (etwa 300 Bewohner) - durchaus nachvollziehbare logistische Gründe gegen die Übernahme der Verantwortung für die Zustellungen an sämtliche Bewohner ins Feld geführt werden können. Es kann dahinstehen, ob sich eine Verpflichtung zur Annahme von Zustellungen aus der von der Klägerin mit Schriftsatz vom 9. März 2021 übersandten Anlage 1 zum Betreibervertrag Flüchtlingsunterbringung Land Berlin, A II. 10, ergibt, in der von der "Entgegennahme und Zustellung der Bewohnerpost nach gesetzlichen Bedingungen" die Rede ist oder ob es sich insoweit um einen Zirkelschluss handelt. Nach den vorstehenden Ausführungen ist nämlich eine Ersatzzustellung durch Niederlegung gemäß § 181 ZPO auch im Falle einer unberechtigten Annahmeverweigerung zulässig. [...]