Keine Flüchtlingsanerkennung bei Wehrdienstentziehung durch Flucht aus Syrien:
1. Personen, die sich der (Reserve-)Wehrpflicht durch Flucht entzogen haben, droht im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Bestrafung oder sonstige Verfolgung.
2. Insoweit eine Verfolgungshandlung bejaht wird, so fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund. Mangels systematischer Verfolgung einfacher Wehrdienstentzieher ist nicht davon auszugehen, dass das syrische Regime Wehrdienstentziehern eine feindliche Gesinnung unterstellt. Die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellte starke Vermutung für das Vorliegen eines flüchtlingsrelevanten Verfolgungsgrunds greift nicht.
3. Es bleibt offen, ob dies auch für Deserteure und Überläufer gilt.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die Klage ist aber insgesamt unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Ablehnung der Zuerkennung im angegriffenen Bescheid ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. [...]
Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist, so dass ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU nicht zu Gute kommt. Eine Vorverfolgung setzt voraus, dass der Asylbewerber bereits eine Verfolgung erlitten hat oder eine solche unmittelbar bevorstand (Funke-Kaiser, in Gemeinschaftskommentar zum AsylG, Loseblattsammlung (Stand: November 2020), vor II-3, Rn. 346).
Der Kläger ist in Syrien von keiner Verfolgungshandlung betroffen gewesen. Ihm drohte allein eine Einziehung zum Reservewehrdienst, was keine Verfolgungshandlung darstellt. Eine Verfolgung stand auch nicht unmittelbar bevor, und zwar auch dann nicht, wenn damals eine Wehrdienstentziehung durch Flucht tatsächlich bestraft wurde (A.A. OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 29.1.2021 - 3 B 109.18 -, juris, Rn. 51).
Eine Bestrafung als Verfolgungshandlung konnte erst mit einer Militärdienstverweigerungshandlung eintreten. Diese Verweigerung ist aber frühestens dadurch begangen worden, dass er sich durch Flucht in das Ausland dem Zugriff Syriens entzogen hatte. Im Moment der Verweigerung stand also gar keine Verfolgung mehr bevor, erst recht nicht unmittelbar. [...]
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung unter dem Gesichtspunkt, dass er sich durch seine Ausreise dem drohenden Reservewehrdienst entzogen hat und deshalb bei seiner Rückkehr mit einer Bestrafung rechnen müsste. Eine solche Bestrafung sieht das syrische Strafrecht zwar vor (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2020) vom 4.12.2020, S. 14, mit den unterschiedlichen Straftatbeständen der Wehrdienstentziehung, der Desertion und des Überlaufens zum Feind).
Eine Bestrafung oder sonstige Verfolgung eines syrischen Asylbewerbers, der sich seiner (Reserve-) Wehrpflicht durch Flucht entzogen hat, ist jedoch im Falle der Rückkehr nach Syrien nicht beachtlich wahrscheinlich (vgl. dazu, dass es für die Frage einer Verfolgungsgefahr nicht auf die Existenz einer Strafnorm, sondern auf die Verhängung einer Strafe in der Praxis ankommt, EuGH, Urteil vom 7.11.2013 - C-199/12 u.a. -, juris, Leitsatz 2 und Rn. 59 f.; BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 (78, Rn. 28)). [...]
Nachdem sich die Lage zugunsten des syrischen Staates stabilisiert hat, stellt Wehrdienstentziehung für das Regime keine existenzgefährdende Bedrohung mehr dar, sondern erschöpft sich in der Vorenthaltung der geforderten militärischen Dienstleistung und damit der Erschwerung der Entlassung länger dienender Rekruten. Angesichts dessen ist eine abschreckende Bestrafung nicht mehr vordringlich, vielmehr kommt es nunmehr auf den möglichst reibungslos nachzuholenden militärischen Einsatz ehemaliger Wehrdienstentzieher an. Diese aus Sicht des syrischen Staates naheliegende Konsequenz lässt sich nach neueren Erkenntnissen tatsächlich beobachten. Die Quellen ergeben, dass die Reaktion auf einfache Wehrdienstentziehung nunmehr regelmäßig darin besteht, solche Personen unverzüglich einzuziehen und militärisch einzusetzen (vgl. die Darstellung unterschiedlicher Quellen und mit Unterscheidung zwischen Wehrdienstentziehern, Deserteuren und Überläufern in: Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Syrien, vom 18.12.2020, S. 49 ff.). [...]
Zur Behandlung von Wehrdienstentziehern wurde ermittelt, dass sie regelmäßig sofort rekrutiert werden. Demgegenüber sollen Deserteure dem Risiko ausgesetzt sein, zuvor inhaftiert zu werden. Während des Bürgerkriegs seien Deserteure hingerichtet worden, diese Praxis habe der syrische Staat aber - von Einzelfällen abgesehen - seit einigen Jahren aufgegeben. Es gebe Beispiele von desertierten Offizieren, die in ihre alten Positionen wiedereingerückt seien. Demgegenüber werde von Todesurteilen gegen Überläufer wegen Verrats berichtet, so etwa am 25.7.2019 durch das Militärgericht Damaskus (Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mai 2020, S. 31 ff.). [...]
Insgesamt ergibt sich damit ein mit der derzeitigen Interessenlage des syrischen Staates konformes, in sich stimmiges Lagebild: Nach Ausbruch des Bürgerkrieges war Wehrdienstentziehung ein Massendelikt, dem wegen der prekären militärischen Situation scharf entgegengetreten wurde. Nach der militärischen Konsolidierung Syriens trat das Erfordernis abschreckender Bestrafung zurück hinter dem Interesse, die personelle Stärke der Armee durch Heranziehung frischer Kräfte im Gegenzug zur Entlassung schon lange dienender Kräfte aufrecht zu erhalten. Daraus erklärt sich das Angebot an gesuchte Personen, ihre Angelegenheiten zu bereinigen, und der Umstand, dass Wehrdienstentzieher regelmäßig nur noch zu befürchten haben, den Wehrdienst nachholen zu müssen. Soweit die These vertreten wird, der militärische Einsatz der Wehrdienstentzieher an der Front sei als Bestrafung gedacht für unterstellte Illoyalität (Politmalus) (so UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Syria, 7.5.2020, S. 9), überzeugt das nicht. Nach den vorliegenden Erkenntnissen trifft das Risiko einer Frontkommandierung jedermann in der syrischen Armee und hängt davon ab, ob die jeweilige Einheit im Fronteinsatz steht, wobei die Einheiten zwischen Fronteinsatz und Etappe rotieren. Die militärischen Einheiten werden aber nicht aus bestimmten Gruppen, etwa Wehrpflichtigen aus eroberten Gebieten, zusammengesetzt. So sollen die meisten Frontopfer nach wie vor aus den als zuverlässig geltenden Gebieten Latakia, Tartus, Westhama, Westhoms und Damaskus stammen (vgl. Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mai 2020, S. 13 ff.).
Die vorliegenden Erkenntnisse ergeben vielmehr, dass auch neu ausgehobene Rekruten mit sehr geringer Ausbildung an die Front kommandiert werden (Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mai 2020, S. 14 m.w.N.).
Von einem erkennbaren System der Bestrafung von Wehrdienstentziehern durch "Frontbewährung" kann keine Rede sein. Somit ist festzustellen, dass bei gewöhnlichen Wehrdienstentziehern (draft evaders) keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG besteht, vielmehr lediglich mit der Verpflichtung zu rechnen ist, den Wehrdienst nachholen zu müssen. Insofern hält der Senat seine bislang vertretene gegenteilige Auffassung auf der Grundlage neuerer Erkenntnisse nicht weiter aufrecht. [...]
Ob im Gegensatz zu einfachen Wehrdienstentziehern (draft evaders) bei Deserteuren (deserters), also Personen, die bereits in das militärische System eingegliedert und mit militärischen Aufgaben betraut waren, ihre Einheiten oder Posten aber verlassen haben, eine Verfolgungshandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. zu den insoweit vorliegenden Erkenntnissen Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mai 2020, S. 31 ff., und Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Syrien, vom 18.12.2020, S. 49 ff.).
Das liegt jedenfalls deshalb näher, weil hier der Schaden aus Sicht des syrischen Staates nicht bloß in der Vorenthaltung der militärischen Dienstleistung besteht, sondern darin, dass eine aktive militärische Sicherung wegbricht und damit eine militärische Instabilität droht. Das Gewicht der Auflehnung gegen die militärische Disziplin ist also deutlich höher und bedarf zu ihrer Unterdrückung harscherer Maßnahmen. Das gilt erst Recht für Überläufer (defectors), die nicht nur desertieren, sondern zum Feind überlaufen und damit angesichts der weitgehenden Rekrutierungsbemühungen auch auf der Rebellenseite ihre militärische Dienstleistung dem Feind zur Verfügung stellen. Bei diesen stellt sich ernsthaft die Frage, ob die zu erwartende Verfolgung nach § 3a Abs. 3 AsylG mit einem Verfolgungsgrund nach § 3b AsylG verknüpft ist.
Der der vorstehenden Bewertung entgegenstehenden Beurteilung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg kann der Senat nicht beitreten. Sie erkennt zwar an, dass es zwischenzeitlich Quellen gebe, die von einem Absehen von Bestrafung für Wehrdienstentzieher berichten, meint aber vor allem unter Verweis auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4.12.2020, dass nach wie vor eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür bestehe (OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 29.1.2021 - 3 B 109.18 -, juris, Rn. 93-96).
Der Bericht des Auswärtigen Amtes trägt - wie oben ausgeführt - die Beurteilung gerade nicht, da er im Gegenteil die Regel bestätigt, dass rückkehrende Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen werden und Haftstrafen nur für Desertion drohen. Letzteres ist möglich, wie oben ausgeführt, kann aber nicht auf Rückkehrer, die sich lediglich durch Flucht der Einberufung entzogen und somit keine Desertion begangen haben, ausgedehnt werden (zur Unterscheidung zwischen Wehrdienstentziehung und Desertion im syrischen Strafrecht s. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2020) vom 4.12.2020, S. 14).
Die Beurteilung des Gerichts schenkt den in letzter Zeit gehäuft vorliegenden Berichten über ein Absehen von Bestrafung für einfache Wehrdienstentzieher zu wenig Beachtung und hält sich ohne überzeugende aktuelle Tatsachengrundlage an überkommenen Einschätzungen aus der Hochzeit des voll entbrannten Bürgerkriegs fest, für die auch der erkennende Senat die Einschätzung geteilt hat, dass eine - sogar extralegale - Bestrafung anzunehmen war. Es fehlt an einer Einordnung dieser Berichte in die durch militärische Entspannung und Stabilisierung zugunsten des syrischen Staates gekennzeichnete Gesamtlage und die sich daraus für ihn ergebende Interessenlage. Sie berücksichtigt auch nicht das nunmehr eingeführte, oben dargestellte System der Bereinigung der Angelegenheiten, das erkennbar von der Absicht getragen ist, den Flüchtlingen eine geordnete Rückkehr ohne Furcht vor Bestrafung zu ermöglichen. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Strafandrohung nach wie vor bestehe und Amnestien sinnlos seien, wenn strafrechtliche Sanktionen faktisch ausgesetzt seien. Es besteht ein Bedürfnis, die nach wie vor erforderliche Rekrutierung durch eine Strafandrohung für Wehrdienstentziehung abzusichern. Es steht außer Frage, dass Wehrdienstentziehung vom syrischen Staat als kriminelles Unrecht angesehen wird und er daher keine Veranlassung hat, es durch Aufhebung der Strafdrohung zu entkriminalisieren. Davon zu trennen ist die Frage, wie er auf das Massenphänomen dieses Delikts tatsächlich reagiert, ob er insbesondere - wie festzustellen ist - dem Soldatenbedarf Vorrang vor einer Bestrafung gibt, dies vor dem Hintergrund, dass die Gefängnisse ohnehin überfüllt sind und Massen von Wehrdienstentziehern gar nicht aufnehmen können (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Fabrice Balanche in einem Interview vom 7.2.2020, Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mai 2020, S. 59 (Nr. 109), und ein westlicher Diplomat in Beirut in einem Interview vom 21.2.2020, Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mai 2020, S. 83 (Nr. 308)). [...]
Unabhängig von der Frage, ob überhaupt beachtlich wahrscheinlich mit einer Verfolgungshandlung zu rechnen ist, fehlt es bei einfacher Wehrdienstentziehung durch Flucht nach weitgehend übereinstimmender Rechtsprechung der Obergerichte jedenfalls bei einer eventuellen Verfolgungshandlung an der genannten erforderlichen Verknüpfung (OVG NRW, Urteile vom 4.5.2017 - 14 A 2023/16.A -, NRWE, Rn. 39 ff. und juris, Rn. 37 ff., und vom 7.2.2018 - 14 A 2390/16.A -, NRWE, Rn. 43 ff. und juris, Rn. 41 ff. und vom 18.4.2019 - 14 A 2608/18.A -, NRWE, Rn. 48 ff. und juris, Rn. 46 ff., und vom 13.3.2020 - 14 A 2778/17.A -, NRWE, Rn. 45 ff. und juris, Rn. 43 ff.; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris, Rn. 134 ff., und Beschluss vom 6.2.2018 - 1 A 10849/17.OVG -, S. 13 ff.; OVG Saarl., Urteile vom 2.2.2017 - 2 A 515/16 -, juris, Rn. 31, und vom 30.11.2017 - 2 A 236/17 -, juris, S. 9 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris, Rn. 72 ff. und Beschlüsse vom 14.3.2018 - 2 LB 1749/17 -, juris, Rn. 71 ff., und vom 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris, Rn. 32 ff.; Hamb. OVG, Urteil vom 11.1.2018 - 1 Bf 81/17.A -, juris, Rn. 90 ff.; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 21.3.2018 - 3 B 28.17 -, juris, Rn. 25 ff.; Schl.-H. OVG, Urteile vom 4.5.2018 - 2 LB 17/18 -, juris, Rn. 88 ff. und 127 ff., und vom 17.8.2018 - 2 LB 30/18 -, juris, Rn. 41 ff. und 104; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23.10.2018 - A 3 S 791/18 -, juris, Rn. 25 ff., Bay. VGH, Urteil vom 12.4.2019 - 21 B 18.32459 -, Bayern.Recht, Rn. 42 ff., und Sächs. OVG, Urteil vom 21.8.2019 - 5 A 50/17.A -, juris, Rn. 31 ff., jeweils unter Aufgabe der in der bisherigen Rechtsprechung vertretenen Auffassung; a.A. OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 29.1.2021 - 3 B 109.18 -, juris, Rn. 103 ff., unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung; OVG M.-V., Urteil vom 21.3.2018 - 2 L 238/13 -, juris; Thür. OVG, Urteil vom 15.6.2018 - 3 KO 155/18 -, juris, Rn. 69 ff.; Hess. VGH, Urteil vom 26.7.2018 - 3 A 403/18.A -, juris, Rn. 16 ff.).
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist auch nicht wegen einer Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG gerechtfertigt. Danach kann Verfolgungshandlung sein die "Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 fallen". § 3 Abs. 2 AsylG schließt Personen von der Flüchtlingsanerkennung trotz Vorliegens einer grundsätzlich asylrelevanten Verfolgung aus, wenn es sich - verkürzt gesagt - um - vor allem unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten - Schwerkriminelle handelt. Da hier nach dem oben gesagten eine Strafverfolgung oder Bestrafung nicht beachtlich wahrscheinlich ist, liegt auch diese Verfolgungshandlung nicht vor, wobei offen bleiben kann, ob es auch an den weiteren Voraussetzungen fehlt (Verweigerung des Militärdienstes, Konflikt, in dem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 AsylG fallen).
Inwieweit für die Frage, ob im - hier nicht beachtlich wahrscheinlichen - Fall einer solchen Verfolgungshandlung die notwendige Verknüpfung nach § 3a Abs. 3 AsylG mit einem Verfolgungsgrund nach § 3b AsylG besteht, die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 19.11.2020 - C-238/19 -, juris) von Bedeutung ist, bedarf wegen Fehlens der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung keiner Entscheidung. Sie ist jedoch unabhängig davon im vorliegenden Fall einer einfachen Wehrdienstentziehung durch Flucht zu verneinen. Der Gerichtshof für die Europäische Union hält für den Fall einer Militärdienstverweigerung unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (= § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) genannten Voraussetzungen eine "starke Vermutung" für gegeben, dass die Verweigerung mit einem in Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU (= § 3b AsylG) genannten Verfolgungsgründe in Zusammenhang steht (EuGH, Urteil vom 19.11.2020 - C-238/19 -, juris, Rn. 57).
Eine Verknüpfung der Verweigerung mit einem Verfolgungsgrund ist nicht erforderlich, vielmehr ist eine Verknüpfung zwischen der Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund erforderlich (Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU (= § 3a Abs. 3 AsylG). Das ist hier nicht die Militärdienstverweigerung, sondern die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Militärdienstverweigerung. Der Gerichtshof meint wohl, dass zu vermuten sei, die Verweigerung stehe mit einem Verfolgungsgrund in Zusammenhang (etwa mit politischen oder religiösen Gründen), so dass Syrien bei der Strafverfolgung oder Bestrafung dem Verweigerer die Merkmale zuschreibe (Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU = § 3b Abs. 2 AsylG) und damit die erforderliche Verknüpfung vorliege. Das ist zwar in dieser Allgemeinheit sowohl hinsichtlich der Motivation für eine Wehrdienstentziehung durch Flucht als auch hinsichtlich der maßgeblichen Einschätzung durch den syrischen Staat nur eine nicht durch Tatsachen gestützte Behauptung, jedoch räumt auch der Gerichtshof ein, dass es Sache der nationalen Behörden ist, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität der Verknüpfung zu prüfen (EuGH, Urteil vom 19.11.2020 - C-238/19 -, juris, Rn. 61).
Schon zu den Zeiten, als der Senat noch von der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung ausging, war es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass eine solche Verknüpfung bestand (OVG NRW, Urteile vom 4.5.2017 - 14 A 2023/16.A -, NRWE, Rn. 39 ff. und juris, Rn. 37 ff., und vom 7.2.2018 - 14 A 2390/16.A -, NRWE, Rn. 43 ff. und juris, Rn. 41 ff. und vom 18.4.2019 - 14 A 2608/18.A -, NRWE, Rn. 48 ff. und juris, Rn. 46 ff., und vom 13.3.2020 - 14 A 2778/17.A -, NRWE, Rn. 45 ff. und juris, Rn. 43 ff.).
Nunmehr kann dies vollständig ausgeschlossen werden. Der Senat ist, wie ausgeführt, unter den heutigen Verhältnissen sogar der Auffassung, dass für Personen, die sich dem Wehrdienst durch Flucht entzogen haben, selbst eine Verfolgungshandlung nicht beachtlich wahrscheinlich ist. Erst Recht kann festgestellt werden, dass eine flächendeckende, systematische Verfolgung solcher Personen nicht feststellbar ist. Daraus folgt aber, dass der syrische Staat solche Personen auch nicht als politische Oppositionelle ansieht, sondern realistisch als Personen, die Furcht vor einem Kriegseinsatz haben. Politische Oppositionelle werden nämlich nach wie vor unnachsichtig verfolgt (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2020) vom 4.12.2020, S. 12 f.).
Damit greift die vom Gerichtshof angenommene starke Vermutung aus Sicht des syrischen Staates hier nicht Platz, so dass auch eine Verknüpfung von - für sich schon nicht beachtlich wahrscheinlichen - Verfolgungshandlungen mit Verfolgungsgründen nicht beachtlich wahrscheinlich ist. [...]