Voraussetzungen für das Absehen vom Visumsverfahren:
1. Ein Visum für einen längerfristigen Aufenthalt (Kategorie D), welches von einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union erteilten wurde, ist kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 81 Abs. 4 AufenthG. Beantragt eine Person vor Ablauf dieses Visums in Deutschland die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt das Visum daher bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde nicht als fortbestehend (keine Fortgeltungsfiktion).
2. Eine Einreise mit der Absicht, sich dauerhaft im Bundesgebiet aufzuhalten, ist ohne das hierfür erforderliche nationale Visum rechtswidrig.
3. Die Ausländerbehörde hat nach § 5 Abs. 2. S. 2 AufenthG die Möglichkeit, im Ermessenswege vom Visumsverfahren abzusehen. Dabei haben die beiden Tatbestandsalternativen "gesetzlicher Anspruch" und "Unzumutbarkeit" unterschiedliche Zweckrichtungen; beiden muss in der Ermessenserwägung Rechnung getragen werden.
4. Die Nachholung des Visumverfahrens ist regelmäßig auch angesichts der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der damit einhergehenden Reisebeschränkungen zumutbar.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Einreise und Aufenthalt ohne nationales Visum sind gemäß § 15 AufenthV i.V.m. Art. 21 Abs. 2a i.V.m. Abs. 1 SDÜ indes nur im Falle eines Kurzaufenthalts von bis zu 90 Tagen Dauer, nicht jedoch dann rechtmäßig, wenn der Drittstaatsangehörige bereits in der Absicht einreist, sich dauerhaft im Bundesgebiet aufzuhalten. Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt (ebenso Hessischer VGH, Beschluss vom 04.06.2014 - 3 B 785/14 -, juris Rn. 7; Bayerischer VGH, Beschluss vom 14.02.2018 - 10 CS 18.350 u.a. -, juris Rn. 26; OVG Hamburg, Beschluss vom 01.06.2018 - 1 Bs 126/17 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.07.2014 - 2 M 23/14 -, juris Rn. 12; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.02.2019 - 11 S 21.18 -, juris Rn. 8; ebenso für die Einreise eines von der Visumspflicht befreiten Ausländers nach Art. 20 SDÜ: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.09.2011 - 11 S 2438/11 -, juris Rn. 8; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.11.2015 - 18 B 387/15 -, juris Rn. 3).
Soweit die Beschwerde pauschal geltend macht, diese Auffassung sei gemessen an den zu beachtenden europäischen Regelungen, gemessen am deutschen Grundgesetz und den Wertentscheidungen der Verfassung nicht haltbar und die Rechtsfrage mangels höchstrichterlicher und unionsrechtlicher Klärung als offen anzusehen, genügt ihr Vorbringen insbesondere mit Blick auf die Bestätigung der einhelligen obergerichtlichen Auffassung durch das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 19.11.2019 (Az.: 1 C 22/18, juris Rn. 18), auf die bereits das Verwaltungsgericht verwiesen hat, nicht dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO.
Im Übrigen kommt bereits in der Formulierung des § 15 AufenthV zum Ausdruck, dass Einreise und Aufenthalt ohne nationales Visum nur im Falle eines Kurzaufenthalts rechtmäßig sind. Systematisch ergibt sich dies auch aus dem Verweis von Art. 21 Abs. 1 SDÜ auf Art. 5 Abs. 1 SGK a.F. - nunmehr Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (SGK n.F.) -, der bereits im Einleitungssatz von einem "geplanten" Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen spr icht. Ebenso bezieht sich Art. 5 Abs. 1 Buchst. c) SGK a.F. bzw. Art. 6 Abs. 1 Buchst. c) SGK n.F. ausdrücklich auf einen "beabsichtigten" Aufenthalt, dessen Zweck und Umstände belegt und für dessen Dauer ebenso wie für die Rückreise ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts vorliegen müssen. Nach Art. 5 Abs. 2 SGK a.F. bzw. Art. 6 Abs. 3 SGK n.F. enthält zudem der Anhang I eine nicht abschließende Liste von Belegen, die sich der Grenzschutzbeamte von dem Drittstaatsangehörigen vorlegen lassen kann, um zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchst. c) erfüllt sind. Zu diesen Belegen gehören bei touristischen oder privaten Reisen etwa Belege betreffend den Reiseverlauf und die Rückreise (Anhang I, Buchst. c) ii) und iii)). Art. 5 Abs. 3 Satz 1 SGK a.F. bzw. Art. 6 Abs. 4 Satz 1 SGK n.F. sieht zudem eine Berechnung des notwendigen Lebensunterhalts anhand der Dauer des Aufenthalts, insbesondere der "Zahl der Aufenthaltstage" vor. Diese Regelungen ergeben nur Sinn, wenn sie sich auf einen von vornherein als solchen beabsichtigten Aufenthalt von begrenzter Dauer beziehen (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 01.06.2018 - 1 Bs 126/17 -, juris Rn. 18; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.02.2019 - OVG 11 S 21.18 -, juris Rn. 11; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.07.2014 - 2 M 23/14 -, juris Rn. 16). [...]
Ohne Erfolg rügt die Antragstellerin auch, dass ihr die Nachholung des Visumverfahrens wegen der derzeit herrschenden Corona-Pandemie unzumutbar wäre. Das Verwaltungsgericht führt aus, dass sich die Unzumutbarkeit nicht aus dem allgemeinen Risiko ableiten lasse, bei einer Rückkehr in die Ukraine an dem SARS-CoV-2-Virus zu erkranken, da sich nicht feststellen lasse, dass die junge und gesunde Antragstellerin während des erwartungsgemäß nur wenige Monate dauernden Aufenthalts in der Ukraine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an dem SARS-CoV-2-Virus erkranken und einen schweren Krankheitsverlauf erleiden und infolgedessen in eine existenzielle Gesundheitsgefahr geraten könnte. Dies stellt die Beschwerde nicht substantiiert in Frage.
Auch der Verweis der Antragstellerin auf den Schutz der Ehe führt die Beschwerde nicht zum Erfolg. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 6 Abs. 1 GG ist zu entnehmen, dass die Ehe mit einem deutschen Partner den ausländischen Staatsangehörigen nicht schlechthin vor einer Aufenthaltsbeendigung schützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.07.1973 - 1 BvR 23/73 u.a. -, BVerfGE 35, 382, 408). Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es vielmehr grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Eine Trennung für den mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehenden Zeitraum ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, Beschlüsse vom 17.05.2011 - 2 BvR 1367/10 -, juris Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 11.01.2011 - 1 C 23.09 -, juris, Rn. 34; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.06.2018 - 11 S 816/18 -, juris Rn. 7; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.11.2019 - 2 M 86/19 -, juris Rn. 11; Hailbronner, Ausländerrecht, § 5 Rn. 75 <Stand: 10/2019>). Unter "vorübergehend" in dem Sinne ist dabei die Zeitspanne zu verstehen, welche üblicherweise für das Durchlaufen des Visumverfahrens zu veranschlagen ist (Sächsisches OVG, Beschluss vom 08.10.2020 - 3 B 186/20 -, juris Rn. 13).
Die weitere Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und die damit einhergehenden Reisebeschränkungen haben entgegen der Annahme der Antragstellerin nicht zur Folge, dass in ihrem Fall nicht mehr mit einer nur vorübergehenden Trennung der Ehegatten zu rechnen wäre. Die unter Verweis auf eine nicht näher bezeichnete Auskunft des Auswärtigen Amtes mit der Beschwerde geltend gemachte Befürchtung, dass das Verfahren pandemiebedingt bis zu 16 Monate in Anspruch nehmen könnte bzw. wegen der Pandemiesituation Einreisevisa auf unbestimmte Zeit gar nicht erteilt würden, erweist sich als nicht gerechtfertigt. Das Auswärtige Amt hat auf eine Anfrage des Senats vom heutigen Tag per E-Mail mitgeteilt, dass die Antragstellerin spätestens Mitte März einen Antragstermin erhalten könne, wenn sie sich heute in der Terminwarteliste der Botschaft Kiew eintrage. Da sie bereits eine Vorabzustimmung der Ausländerbehörde besitze, habe sie sogar die Möglichkeit, einen frühzeitigeren Antragstermin zu buchen. Aufgrund der Vorabzustimmung und vorausgesetzt, dass ein vollständiger Antrag eingereicht werde, sei davon auszugehen, dass das Visumverfahren innerhalb von drei Wochen abgeschlossen werden könne. Diese der Antragstellerin noch kurz vor der Entscheidung übermittelte Auskunft belegt, dass keine Gefahr besteht, dass Einreisevisa erst nach unverhältnismäßig langer Dauer oder zurzeit gar nicht erteilt würden.
Auch unzumutbare Beschränkungen bei der Ausreise in die Ukraine oder bei der Rückreise zurück ins Bundesgebiet werden von der Beschwerde weder aufgezeigt noch sind solche ersichtlich. Die Antragsgegnerin ist - ohne dass die Beschwerde dies substantiiert angreift - davon ausgegangen, dass derzeit lediglich eine Teilreisewarnung vor nicht notwendigen touristischen Reisen in die Ukraine bestehe und die Ausreise möglich sei. Dies gilt, wie die Beschwerdeerwiderung unter Verweis auf die Webseite des Auswärtigen Amtes (Stand: 15.02.2021) vorträgt, nach wie vor. Selbst wenn Einreisende in die Ukraine und von dort ins Bundesgebiet Zurückkehrende jeweils einer mehrere Tage dauernden Selbstisolationspflicht und einer COVID-19-PCR-Testpflicht vor oder nach der Einreise unterlägen, wie die Antragsgegnerin in der Beschwerdeerwiderung im Einzelnen ausführt, ist nicht ersichtlich, dass dies für die Antragstellerin unzumutbar wäre. Auch für den deutschen Ehemann der Antragstellerin erscheint es angesichts der auf wenige Wochen beschränkten Trennungszeit mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG zumutbar, die eheliche Lebensgemeinschaft mit der Antragstellerin auch ohne Besuche in der Ukraine, die er wegen der damit verbundenen Quarantänepflichten als arbeitsplatzgefährdend ansieht, vorübergehend durch Kontakte via Telefon oder Internet fortzuführen. [...]