VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 08.10.2020 - 19 K 522/18.A - asyl.net: M29257
https://www.asyl.net/rsdb/m29257
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung einer homosexuellen Frau aus Ghana:

1. Homosexuellen Frauen droht in Ghana keine staatliche Verfolgung. Das Verbot "unnatürlichen Geschlechtsverkehrs" durch das ghanaische Strafgesetzbuch bezieht sich nur auf Männer.

2. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für eine nichtsstaatliche Gruppenverfolgung homosexueller Frauen. Zwar werden gleichgeschlechtliche Beziehungen durch breite Gesellschaftskreise und Religionsgemeinschaften geächtet und es gibt immer wieder mit Gewaltausübung einhergehende Angriffe gegen LGBTI-Personen durch Familienangehörige oder die Öffentlichkeit, jedoch organisiert sich in Ghana eine LGBTI-Community, die auch zunehmend öffentlich für ihre Rechte eintritt.

3. Für die Annahme einer nichtstaatlichen Gruppenverfolgung lässt sich auch nicht feststellen, dass staatliche Stellen mit der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen Regelmäßigkeit landesweit nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Angriffen nichtstaatlicher Akteure auf weibliche Homosexuelle zu bieten.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ghana, homosexuell, lesbisch, Gruppenverfolgung
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4,
Auszüge:

[...]

In Ghana besteht keine staatliche Gruppenverfolgung homosexueller Frauen. Soweit in Section 104 des ghanaischen Strafgesetzbuches Geschlechtsverkehr in "unnatürlicher Art" (Abs. 2) verboten wird, spricht nach der Auskunftslage überwiegendes dafür, dass sich dies nur auf homosexuellen Geschlechtsverkehr zwischen Männern bezieht (vgl. UK Home Office, Länderinformation, Ghana: Sexual orientation and gender identity or expression, Mai 2020, S. 14 f. m.w.N.; a. A.: Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Ghana als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG (Stand: Dezember 2019), 29.02.2020, S. 11).

Im Übrigen sind aber dem Auswärtigen Amt ohnehin in den letzten Jahren weder Verurteilungen nach Section 104 bekannt noch hat es entsprechende Hinweise durch Menschenrechtsorganisationen gegeben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Ghana als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG (Stand: Dezember 2019), 29.02.2020, S. 12; ebenso ausführlich UK Home Office, Länderinformation, Ghana: Sexual orientation and gender identity or expression, Mai 2020, S. 21 ff.; Human Rights Watch, Zur Lage von LGBT-Personen, No Choice but to Deny Who I Am, 08.01.2018, S. 30).

Andere Gründe für die Annahme einer staatlichen Gruppenverfolgung sind weder vorgetragen noch ersichtlich. [...]

Zwar werden gleichgeschlechtliche Beziehungen durch breite Gesellschaftskreise und Religionsgemeinschaften geächtet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Ghana als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG (Stand: Dezember 2019), 29.02.2020, S. 16).

Auch gibt es immer wieder mit Gewaltausübung einhergehende Angriffe gegen LGBT-Personen durch Familienangehörige oder die Öffentlichkeit. Angriffe durch Familienangehörige sind bei homosexuellen Frauen sogar weiter verbreitet als bei homosexuellen Männern (vgl. Human Rights Watch, Zur Lage von LGBT-Personen, No Choice but to Deny Who I Am, 08.01.2018, S. 33).

Dennoch organisiert sich in Ghana eine LGBTI-Community. Zunehmend treten Personen des öffentlichen Lebens, etwa Vertreter der Commission on Human Rights and Administrative Justice, des National Reserach Center oder von Universitäten für eine weitere Anerkennung und Entkriminalisierung ein. In Accra und in einigen der größeren ghanaischen Städten gibt es eine relativ aktive LGBTI-Szene (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Ghana als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG (Stand: Dezember 2019), 29.02.2020, S. 16; UK Home Office, Länderinformation, Ghana: Sexual orientation and gender identity or expression, Mai 2020, S. 42 ff., m. w. N.).

Bei einer landesweiten gruppengerichteten Verfolgung aller Gruppenmitglieder wäre dies nicht möglich. Bei den festgestellten Verfolgungshandlungen handelt es sich vielmehr um eine Vielzahl einzelner Übergriffe, die die Annahme einer Gruppenverfolgung nicht zu begründen vermögen.

Darüber hinaus lässt sich auch nicht feststellen, dass staatliche Stellen mit der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen Regelmäßigkeit landesweit nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Angriffen nichtstaatlicher Akteure auf weibliche Homosexuelle zu bieten, § 3c Nr. 3 AsylG. Zwar lässt sich den aktuellen Erkenntnismitteln entnehmen, dass homosexuelle Opfer von Übergriffen oftmals von einer Anzeige bei staatlichen Stellen absehen, da sie das mit dieser verbundene Stigma und auch die Reaktion der Polizeibehörden fürchten. Jedoch wird zugleich berichtet, dass sich die Reaktionen der Polizei änderten und diese im Falle von Anzeigen durch homosexuelle Opfer von Gewalt oder Belästigungen teilweise adäquat reagiere. Dies gelte insbesondere im Falle bekannter Verbindungspolizisten (vgl. UK Home Office, Länderinformation, Ghana: Sexual orientation and gender identity or expression, Mai 2020, S. 23 f., m. w. N.).

Hinsichtlich der Verfolgung homosexueller Frauen in Ghana ist deshalb auf die individuellen Umstände abzustellen. [...]