Keine Unzulässigkeit des Asylantrags von in Griechenland Anerkannten wegen dort drohender Menschenrechtsverletzungen:
1. International Schutzberechtigten droht bei einer Rückkehr nach Griechenland die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GrCH, Art. 3 EMRK. Sie können dort weder eine menschenwürdige Unterkunft noch eine Arbeit finden und erhalten keinen Zugang zu Sozialleistungen. Auch Nichtregierungsorganisationen können keine ausreichende Unterstützung leisten. Die Bedingungen haben sich aufgrund der Corona-Pandemie nochmal erheblich verschlechtert.
2. Das BAMF ist nach Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung dazu verpflichtet, den Asylantrag materiell zu prüfen und erst dann über Abschiebungsverbote zu entscheiden. Eine auf § 35 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung ist rechtswidrig, wenn der Asylantrag nicht als unzulässig abgelehnt werden durfte.
(Leitsätze der Redaktion; Parallelverfahren: 11 A 2982/20.A; unter Bezug auf EuGH, Urteil vom 13.11.2019 - C-540/17; C-541/17 Deutschland gg. Hamed und Omar - Asylmagazin 1-2/2020, S. 35 f. - asyl.net: M27836; mit zahlreichen Erkenntnismitteln zur aktuellen humanitären Situation in Griechenland)
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Ausgehend hiervon kann der Asylantrag nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden, weil dem Kläger zur Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) für den Fall seiner Rückkehr nach Griechenland die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK droht. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in Griechenland in eine Situation extremer materieller Not geraten wird und seine elementarsten Bedürfnisse ("Bett, Brot, Seife") für einen längeren Zeitraum nicht wird befriedigen können.
1. Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Griechenland keine menschenwürdige Unterkunft finden, sondern über einen längeren Zeitraum obdachlos sein wird.
a. Auf der Grundlage der dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnisse und zum Zeitpunkt seiner Entscheidung allgemein zugänglichen Informationen ist davon auszugehen, dass international Schutzberechtigte nach ihrer Rückkehr nach Griechenland regelmäßig schon keinen Zugang zu einer menschenwürdigen Unterkunft erhalten. [...]
2. Der Kläger wird mit hoher Wahrscheinlichkeit im Falle seiner Rückkehr nach Griechenland ferner nicht in der Lage sein, sich aus eigenen durch Erwerbstätigkeit zu erzielenden Mitteln mit den für ein Überleben notwendigen Gütern zu versorgen. [...]
Die Corona-Pandemie hat ferner erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftslage in Griechenland.
Griechenland hatte begonnen, sich von der achtjährigen Rezession zu erholen, in die das Land während der Schuldenkrise im Jahr 2009 gestürzt war. Der am 7. November 2020 verfügte zweite Lockdown wirft die griechische Wirtschaft wieder weit zurück. Im dritten Quartal ging das Bruttoinlandsprodukt (im Folgenden: BIP) im Jahresvergleich um 11,7 % zurück. Das war der heftigste Einbruch aller Staaten der Europäischen Union (vgl. etwa RND, Corona wirft Griechenland weit zurück, Bericht vom 25. Dezember 2020, www.rnd.de; i.d.S. auch GTAI, Germany Trade & Invest, Griechenland sucht Ausweg aus der Krise, Stand 30. November 2020, www.gtai.de; so auch: Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Griechenland kämpft gegen alte und neue Krisenfolgen, Bericht vom 23. November 2020, www.gruene-bundestag.de). [...]
b. Angesichts der sich aus diesen Erkenntnissen und Informationen ergebenden derzeitigen Arbeitsmarktsituation und Wirtschaftslage in Griechenland ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr keine Arbeit finden würde. Bei einer Arbeitslosenquote von nahezu 20 % und den einen Zugang zum Arbeitsmarkt zusätzlich erschwerenden persönlichen Handicaps des Klägers - wie der mangelnden Beherrschung der griechischen Sprache, des Fehlens spezifischer beruflicher Qualifikationen und des für einen Drittstaatsangehörigen in einem anderen Land typischen Fehlens privater Netzwerke - erscheint es nahezu ausgeschlossen, dass der Kläger in einem überschaubaren Zeitraum im Anschluss an eine Rückkehr nach Griechenland eine Arbeit findet, die es ihm gestattet, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.
3. Der Kläger wird im Falle seiner Rückkehr nach Griechenland auch keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen haben, mit deren Hilfe er dort sein Existenzminimum sichern könnte. [...]
4. Auch die Unterstützung von NGOs setzte den Kläger in Griechenland nicht in die Lage, dort seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. [...]
II. Die unter Ziffer 2. des Bescheids getroffene Feststellung des Fehlens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist verfrüht ergangen, weil das Bundesamt nach Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung verpflichtet ist, den Asylantrag des Klägers materiell zu prüfen und sodann über Abschiebungsverbote zu entscheiden. Die auf § 35 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung in Ziffer 3. Sätze 1 bis 3 des angefochtenen Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag des Klägers mit Blick auf die unter B. 1. getroffenen Feststellungen nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden durfte. Infolgedessen entfällt auch die Grundlage für die Anordnung des auf § 11 Abs. 1 AufenthG gestützten Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4. des Bescheids. [...]