OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 09.12.2020 - 2 B 240/20 - asyl.net: M29196
https://www.asyl.net/rsdb/m29196
Leitsatz:

Kein besonderer Ausweisungsschutz eines anerkannten Flüchtlings, dessen Schutzstatus wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung widerrufen wurde:

"1. Hat die Klage gegen den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft keine aufschiebende Wirkung (§ 75 Abs. 2 Nr. 1 AsylG), kann sich der Betroffene auch dann nicht mehr auf den erhöhten Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3a AufenthG berufen, wenn der Widerruf noch nicht bestandskräftig ist. Dies begegnet in Fällen, in denen die Klage gegen den Widerruf erstinstanzlich schon abgewiesen wurde, keinen unionsrechtlichen Bedenken,

2. Auch wenn ein Ausländer von der Unterstützung des Terrorismus nicht im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 a.E. AufenthG "Abstand genommen" hat, muss für eine spezialpräventive Ausweisung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls das Bestehen oder Nichtbestehen von Wiederholungsgefahr geprüft werden.

3. Im Ausland erbrachte Unterstützungshandlungen für ausländische terroristische Vereinigungen gefährden zumindest 'erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland' im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG.

4. Zur Ausweisung eines ehemaligen IS-Kämpfers aus spezial- und generalpräventiven Gründen."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Suspensiveffekt, Ausweisung, terroristische Vereinigung, besonderer Ausweisungsschutz,
Normen: AufenthG § 53 Abs. 3a, AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 53 Abs. 1, AsylG § 75 Abs. 2 Nr. 1, AsylG § 3 Abs. 2 Nr. 3, AsylG § 3 Abs. 4
Auszüge:

[...]

a) Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ist nicht der (hohe) Maßstab des § 53 Abs. 3a AufenthG anzulegen.

Nach § 53 Abs. 3a AufenthG darf ein anerkannter Flüchtling nur ausgewiesen werden, wenn er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde. Der Antragsteller wurde im Jahr 2009 als Flüchtling anerkannt. Das Bundesamt hat seine Flüchtlingseigenschaft indes mit Bescheid vom 01.12.2017 widerrufen, weil die Gewährung von Flüchtlingsschutz nach § 3 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 1 AufenthG ausgeschlossen sei. Der Widerruf ist zwar noch nicht bestandskräftig. Der Antragsteller hat gegen den Widerruf Klage erhoben; das erstinstanzliche klageabweisende Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Klage entfaltet jedoch gem. § 75 Abs. 2 Nr. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Deshalb kann sich der Antragsteller derzeit nicht auf den erhöhten Ausweisungsschutz für Flüchtlinge berufen (offen gelassen in BayVGH, Beschl. v. 23.02.2016 – 10 B 13.1446, juris Rn. 3).

Nach herrschender Auffassung endet die Rechtsstellung als Flüchtling zwar erst, wenn der Widerruf bestandskräftig ist (vgl. Hailbronner, AuslR, § 73 AsylG Rn. 149; Fleuß, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, § 73 AsylG Rn. 25; Bergmann, in: ders./ Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 73 AsylG Rn. 26). Dem ist für den Regelfall im praktischen Ergebnis auch zuzustimmen. Vorliegend verhält es sich jedoch wegen des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Widerruf ausnahmsweise anders. [...]