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EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 02.07.2020 - C-18/19, WM gg. Deutschland (Asylmagazin 10-11/2020, S. 390 f.) - asyl.net: M28827
https://www.asyl.net/rsdb/m28827
Leitsatz:

Abschiebungshaft in gewöhnlichen Haftanstalten in Ausnahmefällen zulässig:

Der Vollzug der Abschiebungshaft hat nach dem sogenannten Trennungsgebot grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen zu erfolgen. Es ist jedoch mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn der Vollzug der Abschiebungshaft dann in gewöhnlichen Hafteinrichtungen erfolgt, wenn von der betroffenen Person eine erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft oder für die innere oder äußere Sicherheit ausgeht.

(Leitsätze der Redaktion; Entscheidung erging auf Vorlage des BGH, Beschluss vom 22.11.2018 - V ZB 180/17; Eine entsprechende Regelung findet sich in § 62a Abs. 1 AufenthG in der vor dem 21.08.2019 geltenden Fassung sowie in der ab dem 01.07.2022 geltenden Fassung)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Trennungsgebot, Haftanstalt, Gefahr, öffentliche Ordnung, öffentliche Sicherheit,
Normen: RL 2008/115/EG Art. 16 Abs. 1, AufenthG § 58a Abs. 1, AufenthG § 62a Abs. 1
Auszüge:

[...]

31 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115 den Grundsatz auf, dass die Inhaftierung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger zur Sicherung der Abschiebung in speziellen Hafteinrichtungen erfolgt. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 dieser Richtlinie sieht eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor, die als solche eng auszulegen ist (Urteil vom 17. Juli 2014, Bero und Bouzalmate, C-473/13 und C-514/13, EU:C:2014:2095, Rn. 25). [...]

39 Demnach dürfen die Mitgliedstaaten nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/115 ausnahmsweise und über die in deren Art. 18 Abs. 1 ausdrücklich genannten Fälle hinaus, illegal aufhältige Drittstaatsangehörige zur Sicherung der Abschiebung in einer gewöhnlichen Haftanstalt unterbringen, wenn diese Mitgliedstaaten die Inhaftierung in speziellen Hafteinrichtungen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht sicherstellen und dadurch die mit der Richtlinie verfolgten Ziele nicht einhalten können. [...]

46 Eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit kann daher nur dann rechtfertigen, dass ein Drittstaatsangehöriger nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/115 in einer gewöhnlichen Haftanstalt in Abschiebungshaft genommen wird, wenn sein individuelles Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder die innere oder äußere Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats berührt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Februar 2016, N., C-601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 67).

47 Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen im Ausgangsverfahren erfüllt sind, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

48 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, nach der ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger zur Sicherung der Abschiebung getrennt von Strafgefangenen in einer gewöhnlichen Haftanstalt untergebracht werden darf, weil von ihm eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft oder für die innere oder äußere Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats ausgeht, nicht entgegensteht. [...]