VG Halle

Merkliste
Zitieren als:
VG Halle, Beschluss vom 11.01.2018 - 7 B 284/17 HAL - asyl.net: M26024
https://www.asyl.net/rsdb/m26024
Leitsatz:

Ausschluss des Flüchtlingsschutzes und subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 8 AufenthG für einen Mann aus dem Westjordanland, von dem angenommen wird, er sei Sympathisant der Hamas, und der als islamistischer Gefährder eingestuft wird.

Schlagwörter: Westjordanland, Israel, Salafisten, Islamisten, Hamas, Ausschlussgrund, Gefährdung der öffentlichen Ordnung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4, AufenthG § 60 Abs. 8,
Auszüge:

[...]

Unter Anlegung dieser Maßstäbe gebietet es die wertende Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls, den Antragsteller aus schwerwiegenden Gründen als Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen.

Die Kammer hält den Antragsteller zunächst für einen Sympathisanten der HAMAS.

Die HAMAS übt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 03. Dezember 2004 - 6 A 10.02 - juris, Rdnr. 20 ff.) Gewalttaten gegenüber Israel und israelischen Staatsbürgern aus und beeinträchtigt dadurch die friedliche Verständigung des israelischen und des palästinensischen Volkes. In der vorgenannten Entscheidung heißt es weiter:

"HAMAS (Harakat al-Muqawama al-lslamiya) wurde im Frühjahr 1988 von palästinensischen Anhängern der so genannten Muslimbruderschaft unter Führung von Scheich Ahmed Yassin gegründet (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2003, 2004, S. 186; Rotter/Fathi, Nahostlexikon, 2001, S. 124 f.). Die Organisation verfolgt das Ziel, auf dem gesamten Gebiet "Palästina", also auch auf dem Territorium des Staates Israel, einen islamistischen Staat zu errichten. So wird in der Präambel der "Charta der Bewegung des islamischen Widerstands (HAMAS)", der so genannten HAMAS-Charta aus dem Jahr 1988, ausgeführt: "Israel wird bestehen und solange weiter bestehen, bis der Islam es zunichte macht, wie er das, was davor war, zunichte gemacht hat." Nach § 7 Satz 13 der HAMAS-Charta ist "die Bewegung des Islamischen Widerstands (...) ein Glied in der Kette des Heiligen Krieges gegen die israelische Invasion". In § 13 Satz 1 der HAMAS-Charta wird eine friedliche Beilegung des Konflikts zwischen Israel und Palästina abgelehnt ("Die Initiativen, die so genannten friedlichen Lösungen und die internationalen Gipfelkonferenzen zur Lösung der palästinensischen Angelegenheit stehen im Widerspruch zur Doktrin der Bewegung des Islamischen Widerstands"). § 13 der HAMAS-Charta spricht dem Staat Israel das Existenzrecht ab ("Der Verzicht auf irgendeinen Teil von Palästina ist ein Verzicht auf einen Teil der Religion") und proklamiert den bewaffneten Kampf ("Es gibt keine Lösung für die palästinensische Angelegenheit außer durch den Heiligen Krieg."). Dementsprechend ist nach § 15 der HAMAS-Charta "der Heilige Krieg zur Befreiung Palästinas (...) eine auferlegte Pflicht". Militärischer Arm von HAMAS sind die Ende 1991 gegründeten Izz-al-Din al-Qassam-Brigaden, die die Hauptverantwortung tragen für palästinensische Terrorakte einschließlich Selbstmordattentate gegen Israel und israelische Staatsbürger (vgl. Verfassungsschutzbericht 2003, a.a.O., S. 186; Rotter/Fathi, a.a.O., S. 126). Die Führung von HAMAS bekennt sich ausdrücklich zum gewaltsamen Vorgehen gegenüber Israel und zu Selbstmordattentaten. [...] HAMAS ist ein einheitliches Gebilde, bei dem die sozialen Aktivitäten, die von den der Organisation zuzuordnenden so genannten Sozialvereinen entfaltet werden, nicht von dem militärischen (terroristischen) und politischen Vorgehen von HAMAS getrennt werden können."

Diese Einschätzung teilt auch der EuGH, der entschieden hat, dass die Palästinenserorganisation HAMAS weiterhin auf der europäischen Liste terroristischer Vereinigungen verbleibt (vgl. Pressemitteilung des EuGH Nr. 85/2017 vom 26. Juli 2017 zu C-599/14 P und C-79/15 P, juris).

Der Antragsteller, ein staatenloser Palästinenser aus dem Westjordanland, sympathisiert offen mit dieser terroristischen Vereinigung.

Dies ergibt sich aus den - auf die Erkenntnismitteilung des Ministeriums für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt vom 10. Mai 2017 sowie auf das Behördenzeugnis des Ministeriums für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt vom 20. September 2017 gestützten - nachvollziehbaren Schilderungen des Bundesamtes. Danach hat sich in Auswertung eines dem Antragsteller zuzuordnenden Facebook-Profils gezeigt, dass er Bilder der HAMAS als Profilbilder verwendet hat. Ein weiteres von ihm geteiltes Bild setzt das "Dritte Reich" mit dem Staat Israel gleich. Außerdem hat er ein Bild gepostet, das als Glorifizierung von Aktivisten zu verstehen ist, die vor allem im Rahmen der sogenannten "Intifada" mit Zwillen auf israelische Sicherheitskräfte schießen. Zudem teilt er einen Beitrag des SWR über die Durchsuchungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Moscheeverein "Fussilet 33" vor dem Hintergrund des Attentats auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche und kommentiert diesen auf Englisch mit "Religionsfreiheit". Darüber hinaus wurde anlässlich einer Wohnungsbegehung in einer allein vom Antragsteller illegal genutzten Dachgeschosswohnung festgestellt, dass sich dort neben einem sogenannten Würgeholz (Nunchaku) auch Zeichen mit der türkischen Aufschrift "Nieder mit Israel" und dem "R4bia-Zeichen" (Erkennungssymbol der Muslimbrüder) befanden.

In Auswertung eines weiteren, dem Antragsteller zuzuordnenden Facebook-Profils - bei dem er über 688 "Freunde" verfügt - hat sich ergeben, dass er Bilder einer Patrouille der "Kassam-Brigade" gepostet und den militärischen Arm der HAMAS als "Elite" bezeichnet hat. Außerdem hat er ein Bild des Mitbegründers der HAMAS, Scheich Ahmad Yasin, als Profilbild verwendet und ein Video gepostet, das die HAMAS und ihren Mitbegründer glorifiziert.

Ausweislich des Behördenzeugnisses des Ministeriums für Inneres und Sport vom 20. September 2017 hat der Antragsteller darüber hinaus ab dem 14. Juli 2017 das Attentat auf dem Tempelberg in Jerusalem thematisiert, bei dem zwei israelische Polizisten starben und weitere Menschen verletzt wurden, und seine Zustimmung für den Attentäter bekundet. So hat er am 16. Juli 2017 ein Video geteilt, das Angriffe auf israelische Sicherheitskräfte zeigt und mit "Schlag zu wie der Sturm" kommentiert.

Ob der Antragsteller darüber hinaus als Mitglied der HAMAS anzusehen ist, kann angesichts dessen dahinstehen.

Außerdem geht die Kammer davon aus, dass es sich beim Antragsteller um einen in der Öffentlichkeit aktiven Salafisten handelt.

Der Salafismus stellt eine Strömung innerhalb des islamischen Extremismus dar, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet ist, und sich aus Sicht des sächsischen Verfassungsschutzes in einen - von anlassbezogenen Ausnahmen abgesehen - grundsätzlich friedlichen, mit missionarischen Mitteln arbeitenden politischen Salafismus und den gewaltorientierten jihadistischen Salafismus unterteilen lässt (vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 19. Juli 2016 - 5 B 141/15 -, Rdnr. 9, juris).

Wie sich aus dem Behördenzeugnis des Ministeriums für Inneres und Sport vom 20. September 2017 ergibt, hat der Antragsteller am 29. Juli 2017 auf einem seiner Facebook- Profile ein Video geteilt, in dem gegen das Christentum agitiert und der Islam als einzig richtige Religion dargestellt wird. Am Tag darauf hat der Antragsteller das Video eines Imams geteilt, in dem erklärt wird, dass mit friedlichen Mitteln kein Sieg möglich sei und nur Kampf, Opfer und Märtyrertum die Lösung seien. Bereits zuvor hatte der Antragsteller mehrfach Videos und Beiträge des bekannten deutschen Salafisten Pierre Vogel geteilt.

Hinzu kommt, dass der Antragsteller nach den im Behördenzeugnis dargestellten Erkenntnissen Arabisch- und Koranunterricht für Jungen erteilt und in als Imam tätig ist und ihm dadurch auch bei jüngeren Muslimen eine besondere Vorbildfunktion zukommt. In der zuletzt genannten Funktion hat der Antragsteller unter anderem am 14. Juli 2017 und am 01. September 2017 Predigten gehalten, deren auszugsweise Übersetzung vorliegt und die ihn als Vertreter des gewaltorientierten jihadistischen Salafismus erscheinen lassen.

Als Fazit der Predigt vom 14. Juli 2017 wird im Behördenzeugnis ausgeführt: "Der Vorwurf der israelischen Besetzung der al-Aqsa-Moschee ist ein Topos islamischen antiisraelischen Repertoires. Diesen Vorwurf verquickt [der Antragsteller] geschickt mit dem ursprünglich rein religiösen Predigtgegenstand. Das abschließende Bittgebet um Irreführung der "Götzendiener" kann noch als traditionelle Formel gewertet werden, die Bitte um "Vernichtung" von "Feinden" ist extremistisch. Gleiches gilt für das Gebet um die Unterstützung von Jihadkämpfern, ausdrücklich ohne örtliche Eingrenzung. Unter "Jihad" versteht der Redner ausschließlich den bewaffneten Kampf in allen seinen Erscheinungsformen [...] Eine Differenzierung sucht man bei [dem Antragsteller] so vergebens wie eine - aus Predigten liberaler Muslime bekannte - Bitte um Rechtleitung der Götzendiener statt deren Irreführung. Der Prediger predigt einem Schwarz-Weiß-Schema folgend nach dem Muster "Wir gegen alle Anderen". Damit schließt er den argumentativen Kreis zum Predigtbeginn, wo er klargestellt hatte, dass der einzige Sinn menschlicher Existenz die Durchsetzung der Scharia sei."

Auch der Inhalt der Predigt aus Anlass des islamischen Opferfestes am 01. September 2017 bestätigt diese Einschätzung. Auch wenn der größte Teil der Predigt aus religiösen Formeln besteht, nutzte der Antragsteller auch diese Gelegenheit vor etwa 100 bis 120 Zuhörern zur Vermittlung extremer Botschaften, indem er den Islam als von allen Seiten bedroht darstellte. Muslime bewegen sich danach in einer Welt von Todfeinden. Mit seinen Ausführungen zu der noch zu erstrebenden Islamisierung Tschetscheniens und des Kaukasus befürwortet er wiederholt den bewaffneten Jihad.

Die Gesamtschau der den Antragsteller betreffenden Erkenntnisse ergibt, dass es sich bei ihm um eine Person handelt, die der radikal-islamischen Szene salafistischer Ausrichtung angehört, offen mit der HAMAS sympathisiert und sich für deren Ziele einsetzt. Der Antragsteller befürwortet eine militante, gewaltbereite Auslegung des Islam sowie den "Jihad" und hält den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung der "Scharia" für gerechtfertigt. Aufgrund seiner Stellung als "Lehrer" und Prediger verfügt er über zahlreiche Kontakte zu Muslimen, die er dazu nutzen kann und nutzte, salafistische Ansichten und Propaganda zu verbreiten. Angesichts dessen ist der Antragsteller bei der gebotenen Gesamtschau aus schwerwiegenden Gründen als Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen. [...]