OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 15.03.2013 - 11 LA 68/13 - asyl.net: M20807
https://www.asyl.net/rsdb/m20807
Leitsatz:

Für palästinensische Volkszugehörige aus dem Gazastreifen ohne (andere) Staatsangehörigkeit besteht grundsätzlich keine Möglichkeit, nach Israel einzureisen.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Grundsätzliche Bedeutung, staatenlos, Palästinenser, staatenlose Palästinenser, Israel, Gaza-Streifen,
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

Denn nach den Erkenntnisquellen des Senats kann bereits im Zulassungsverfahren hinreichend sicher festgestellt werden, dass palästinensische Volkszugehörige aus dem Gazastreifen weder nach Israel abgeschoben (1.) werden, d.h. dort auf diese Weise unfreiwillig einreisen können, noch grundsätzlich aus dem Bundesgebiet, dem Gazastreifen oder einem sonstigen Drittstaat dorthin freiwillig (2.) einreisen können. Ob ausnahmsweise eine freiwillige Einreisemöglichkeit nach Israel besteht, wenn - wie im Folgenden ausgeführt - besondere, insbesondere medizinische Gründe gegeben sind, oder ggf. im Einzelfall eine unfreiwillige Einreisemöglichkeit durch Aus- oder Durchlieferung bestehen kann, braucht vorliegend nicht geklärt zu werden. Denn solche Ausnahmefälle sind hier nicht gegeben und wären zudem schon begrifflich ungeeignet, dem Rechtsstreit eine grundsätzliche Bedeutung zu vermitteln.

1. Dass eine Abschiebung von palästinensischen Volkszugehörigen, die - wie die Kläger nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts - aus dem Gazastreifen stammen und nicht die Staatsangehörigkeit eines (anderen) Staates haben, nach Israel tatsächlich unmöglich ist, weil Israel ihnen eine solche Einreise verweigert, hat das Auswärtige Amt wiederholt, zuletzt auf Anfrage des Verwaltungsgerichts in diesem Verfahren mit Auskunft vom 7. Mai 2012, erklärt. Es hat dabei ausdrücklich bestätigt, dass seine so lautende, ausführliche Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover vom 15. Oktober 2009 weiterhin aktuell ist (vgl. auch die ältere Auskunft vom 15.11.2007 an das VG Würzburg). Abweichende Auskünfte hat die Beklagte nicht benannt und sind auch dem Senat nicht bekannt. In der im Internet abrufbaren englischsprachigen Studie “Closing Protection Gaps“ des Badil Resource Center vom August 2011 zur Rechtsstellung palästinensischer “Flüchtlinge“ innerhalb der Europäischen Union wird diese Einschätzung vielmehr bestätigt, soweit über Rückführungsversuche aus anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union berichtet wird. Danach erfolgt in Spanien bislang regelmäßig keine Flüchtlingsanerkennung (vgl. Seite 60); die an sich erforderliche Rückführung erweise sich in der Praxis als schwierig, wenn nicht unmöglich. Damit übereinstimmend wird auf Seite 72 f. wiedergegeben, dass es auch aus Großbritannien bislang keine einzige gelungene Rückführung in das palästinensische Autonomiegebiet gegeben habe, und zwar deshalb, weil die israelischen Sicherheitskräfte eine zwangsweise Rückführung nicht zuließen.

2. Die zuvor angeführten Auskünfte des Auswärtigen Amtes schließen zugleich auch ein freiwillige Einreise von “Gaza-Palästinensern“ nach Israel grundsätzlich aus. Auch diese Auskunft stimmt - von nachfolgend im Einzelnen genannten Ausnahmen abgesehen - mit der Erkenntnislage des Senats überein. Am ausführlichsten wird die maßgebliche rechtliche und tatsächliche Lage in der ebenfalls im Internet abrufbaren, englischsprachigen Auskunft des kanadischen Immigration and Refugee Board vom 29. Juni 2009 wiedergegeben. Danach benötigen Gaza-Palästinenser für die streng kontrollierte Einreise nach Israel eine Genehmigung, haben aber nach höchstrichterlicher israelischer Rechtsprechung vom Juli 2008 aus keinem Grund ein Recht auf eine solche Ein- oder auch nur Durchreise. Einreisegenehmigungen können ohne Angabe von Gründen verweigert werden und werden tatsächlich auch nur in sehr wenigen Fällen erteilt. In Einzelfällen erhalten Palästinenser, deren (schwer wiegende) Krankheit im Gaza-Streifen nicht ausreichend behandelt werden kann, eine Einreisegenehmigung. Hinzukommen in geringer Zahl und ohne gesicherten Anspruch auf Einreise Diplomaten, Angehörige internationaler Organisationen oder mit besonderen Beziehungen zur Autonomiebehörde bzw. zu den israelischen Streitkräften, Journalisten, Pilger, Studenten an Universitäten in Drittstaaten und sonstige humanitäre Einzelfälle.

Aus den von der Beklagten auszugsweise zitierten Reisehinweisen des österreichischen Außenministeriums ergibt sich keine andere Einschätzung. Dass danach der Erez-Übergang zwischen Israel und dem Gazastreifen mit wiederkehrenden Unterbrechungen für den Reiseverkehr offen steht, bedeutet nicht, dass eine solche Reisemöglichkeit auch für (Gaza-)Palästinenser besteht. Das Gegenteil ergibt sich bereits aus den weiteren Ausführungen in dem Bericht, wonach österreichische Staatsbürger palästinensischer Herkunft, die noch eine palästinensische Identitätskarte besitzen, von Israel ausschließlich als Palästinenser betrachtet werden und nur über den Übergang Rafah (Ägypten) bzw. die Allenby-Brücke (Jordanien) reisen können. Diese Einschränkung der Reisemöglichkeiten für Personen, die aus Sicht der israelischen Behörden (weiterhin) als Palästinenser eingestuft werden, stimmt mit den aktuellen Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes überein. Danach wird selbst deutschen Staatsangehörigen, die eine palästinensische Personenkennziffer (ID-Nummer) haben, die Einreise nach Israel (über den Flughafen Ben-Gurion) grundsätzlich verweigert; sie können allenfalls aus Jordanien über die Allenby-Brücke in das Westjordanland reisen. Zusätzlich wird betont, dass für den o.a. Personenkreis mit einer palästinensischen Personenkennziffer auch die Ausreise aus dem palästinensischen Autonomiegebiet nach Israel grundsätzlich ausgeschlossen ist und nur bei Vorliegen humanitärer Gründe unter Umständen eine Ausreisegenehmigung erteilt wird. [...]