OVG Thüringen

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Zitieren als:
OVG Thüringen, Urteil vom 13.04.2000 - 3 KO 265/98 - asyl.net: R8534
https://www.asyl.net/rsdb/R8534
Leitsatz:

1. Das Hilfsbegehren zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG richtet sich in sog. asylrechtlichen Altverfahren, in denen die Ausländerbehörde noch gemäß § 28 AsylVfG a.F. für den Erlaß der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung zuständig geblieben ist, gegen die Körperschaft, die die Aufgaben der Ausländerbehörde wahrnimmt (Anschluß an BVerwG, Beschluß vom 4. Juni 1998 - 9 B 429/98 -).

2. Hat die Vorinstanz über die Hauptanträge zur Asylberechtigung, zur Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG und zur Abschiebungsandrohung zugunsten des Asylbewerbers entschieden, fallen durch das Rechtsmittel des Bundesbeauftragten oder Beklagten gegen die Verpflichtung nach dem Hauptantrag in der Rechtsmittelinstanz die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche des Asylbewerbers nach § 53 AuslG an, ohne daß dies zur Disposition des Rechtsmittelführers stünde (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 19.96 -).

3. Die Frage, ob ein Klageverfahren aufgrund Klagerücknahme oder wegen Eintritts der Rücknahmefiktion beendet ist, kann nicht Gegenstand einer selbständig anfechtbaren und in der Rechtsmittelinstanz nicht mehr überprüfbaren Zwischenentscheidung nach § 109 VwGO sein. In der Sache liegt eine nicht bindende, unselbständige Zwischenentscheidung nach § 173 VwGO i.V.m. § 303 ZPO vor.

4. Amharische Volkszugehörige aus Äthiopien unterliegen keiner staatlichen Gruppenverfolgung.

5. Ein Auslandsstudium in der ehemaligen Tschechoslowakei führt nach der Ablösung des Mengistu-Regimes nicht zu einer Gefährdung.

6. Ein langjähriger Auslandsaufenthalt und die Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland lösen keine beachtliche Rückkehrgefährdung i.S.v. § 51 Abs. 1 AuslG für einen äthiopischen Staatsangehörigen aus.

7. Die exilpolitische Betätigung für die Zweigniederlassung der AAPO (einer politischen Partei in Äthiopien) in Deutschland kann dann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, sofern sich der Asylbewerber durch hervorgehobene Tätigkeiten oder sonst öffentlichkeitswirksam als Regimegegner exponiert hat. (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Äthiopien, Amharen, Gruppenverfolgung, Studium, Tschechoslowakei (A), Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Exilpolitische Betätigung, AAPO, Demonstrationen, Überwachung im Aufnahmeland, Auslandsvertretung, Passersatzbeschaffung, Zwangsvorführung, Sippenhaft, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Abschiebungshindernis, Versorgungslage, Existenzminimum, Hilfsorganisationen, Extreme Gefahrenlage, D (A), Verfahrensrecht, Streitgegenstand, Hauptantrag, Hilfsantrag, Altfälle, Zuständigkeit, Bundesamt, Ausländerbehörde, Klagerücknahme, Rücknahmefiktion, Zwischenentscheidung, Bindungswirkung, Anfechtbarkeit
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6; AsylVfG § 81; AsylVfG § 87 Abs. 1 Nr. 1; AsylVfG a.F. § 28; AsylVfG a.F. § 30; VwGO § 88; VwGO § 109; VwGO § 173; ZPO § 303; ZPO § 318
Auszüge:

1. Das Hilfsbegehren zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG richtet sich in sog. asylrechtlichen Altverfahren, in denen die Ausländerbehörde noch gemäß § 28 AsylVfG a.F. für den Erlaß der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung zuständig geblieben ist, gegen die Körperschaft, die die Aufgaben der Ausländerbehörde wahrnimmt (Anschluß an BVerwG, Beschluß vom 4. Juni 1998 - 9 B 429/98 -).

2. Hat die Vorinstanz über die Hauptanträge zur Asylberechtigung, zur Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG und zur Abschiebungsandrohung zugunsten des Asylbewerbers entschieden, fallen durch das Rechtsmittel des Bundesbeauftragten oder Beklagten gegen die Verpflichtung nach dem Hauptantrag in der Rechtsmittelinstanz die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche des Asylbewerbers nach § 53 AuslG an, ohne daß dies zur Disposition des Rechtsmittelführers stünde (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 19.96 -).

3. Die Frage, ob ein Klageverfahren aufgrund Klagerücknahme oder wegen Eintritts der Rücknahmefiktion beendet ist, kann nicht Gegenstand einer selbständig anfechtbaren und in der Rechtsmittelinstanz nicht mehr überprüfbaren Zwischenentscheidung nach § 109 VwGO sein. In der Sache liegt eine nicht bindende, unselbständige Zwischenentscheidung nach § 173 VwGO i.V.m. § 303 ZPO vor.

4. Amharische Volkszugehörige aus Äthiopien unterliegen keiner staatlichen Gruppenverfolgung.

5. Ein Auslandsstudium in der ehemaligen Tschechoslowakei führt nach der Ablösung des Mengistu-Regimes nicht zu einer Gefährdung.

6. Ein langjähriger Auslandsaufenthalt und die Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland lösen keine beachtliche Rückkehrgefährdung i.S.v. § 51 Abs. 1 AuslG für einen äthiopischen Staatsangehörigen aus.

7. Die exilpolitische Betätigung für die Zweigniederlassung der AAPO (einer politischen Partei in Äthiopien) in Deutschland kann dann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, sofern sich der Asylbewerber durch hervorgehobene Tätigkeiten oder sonst öffentlichkeitswirksam als Regimegegner exponiert hat. (amtliche Leitsätze)

Das Vorbringen des Klägers bietet keinen Anlaß, aufgrund seiner exilpolitischen Betätigung einen verfolgungserheblichen Gefährdungsgrad anzunehmen.

Der Kläger gehört nicht zu den führenden Exilpolitikern der AAPO. Er ist vielmehr einfaches Parteimitglied und zählt lediglich zum Kreis der Unterstützer der Partei. Besondere Funktionen hat er in der Partei nicht inne.

Die von ihm entfalteten Aktivitäten erschöpfen sich in untergeordneten Tätigkeiten wie der persönlichen Nachrichtenübermittlung, der Mitwirkung an der Verbreitung politischer Propaganda, der Mitgliederwerbung, der regelmäßigen Zahlung von Mitgliedsbeiträgen/Spenden und der Teilnahme an Demonstrationen sowie sonstigen öffentlichen Veranstaltungen. Bei einer Betätigung dieser Art handelt es sich um einfache, gewöhnliche Aufgaben, die mit der Mitgliedschaft in einer Exilvereinigung üblicherweise verbunden sind und durch die der Kläger selbst nicht in besonderer Weise nach außen hin als Regimegegner in Erscheinung getreten ist.

Bei den in Rede stehenden Aktivitäten ist weder anzunehmen, daß die äthiopischen Behörden auf den Kläger und dessen exilpolitische Betätigung in besonderer.Weise aufmerksam geworden sind, noch davon auszugehen, daß die äthiopischen Behörden die genannten Tätigkeiten, soweit sie von diesen überhaupt Kenntnis genommen haben, als aggressive oder staatsgefährdende Akte ansehen und hieran Verfolgungsmaßnahmen anknüpfen. Eine exponierte Stellung als Regimegegner ergibt sich für den Kläger nicht allein aufgrund seiner Beteiligung an den Demonstrationen in Berlin am 6. Juli 1991 und in München am 13. März 1993, über die nach seinem Vortrag Video- und Fotoaufnahmen existieren sollen. Insbesondere wird weder vom KIäger vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, auf welcher konkreten Video- oder Fotoaufnahme der Kläger selbst zu erkennen und inwiefern dadurch auch für Dritte zu identifizieren ist. Hinsichtlich der Demonstration vom 6. Juli 1991 in Berlin ist des weiteren offen, von wem die genannten Videoaufnahmen gemacht worden sein sollen, ob der Kläger selbst auf ihnen überhaupt zu erkennen ist und gegebenenfalls worauf sich die diesbezüglichen Kenntnisse des Klägers stützen.

Auch der weitere Hinweis des Klägers darauf, daß er der - besonders aktiven - Nürnberger Sektion der AAPO angehöre, die medienwirksam in der Frage der für das Jahr 2000 vorgesehenen Wahlen in Äthiopien an die Öffentlichkeit trete, rechtfertigt für sich allein nicht die Annahme, daß die äthiopischen Behörden gerade auch auf den Kläger selbst aufmerksam geworden sind. Substantiierte Angaben des Klägers zu konkreten Aktivitäten der Gruppe fehlen. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein eigenes hervorgehobenes, öffentlichkeitswirksames Engagement des Klägers ergibt, das insbesonde über die bloße Einbindung in die Nürnberger Gruppe der AAPO hinausginge. Anhaltspunkte dafür, daß bereits die Mitgliedschaft in dieser Gruppe schon für sich allein oder jedenfalls in Verbindung mit einer mehrjährigen AAPO-Mitgliedschaft zu einer exponierten Stellung als Regimegegner führen würde, liegen nicht vor. Sie ergeben sich namentlich nicht im Hinblick auf eine in der AAPO umstrittene Frage der Beteiligung an den Wahlen in Äthiopien im Mai 2000. Gleiches gilt hinsichtlich der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dargestellten innerparteilichen Auseinandersetzungen der Nürnberger Gruppe mit dem derzeitigen AAPO-Vorsitzenden.

Ein Verfolgungsinteresse des äthiopischen Staates gegenüber dem Kläger wird ebensowenig durch das Bestätigungsschreiben der deutschen Zweigniederlassung der AAPO vom 4. Februar 2000 dargelegt. Soweit in diesem Schreiben ausgeführt wird, daß der Kläger seit März 1994 aktives Mitglied der AAPO sei und in Deutschland an verschiedenen friedlichen Kundgebungen und Protesten gegen die derzeitige Regierung der EPRDF teilgenommen habe, ergibt sich daraus nichts für ein hervorgehobenes oder sonst öffentlichkeitswirksames, besonderes exilpolitisches Engagement des Klägers. Gleiches gilt hinsichtlich der dort enthaltenen - inhaltlich vagen - Einschätzung, es werde befürchtet, daß der Kläger aufgrund seiner Herkunft im Falle der Rückkehr ständiger Repression und politischer Verfolgung in Athiopien ausgesetzt sei. Entsprechendes gilt für den Inhalt des früheren Bestätigungsschreibens vom 15. Juni 1994, wonach der Kläger in der AAPO "sehr aktiv" sei und "viel beigetragen" habe.

Der Kläger ist auch nicht deswegen als Regimegegner in das besondere Blickfeld der äthiopischen Behörden geraten, weil er bei der äthiopischen Botschaft in Bonn dadurch namentlich bekannt geworden ist, daß die Ausländerbehörde der Stadt München im Zeitraum 1993/1994 - u.a. durch die Vorführung des Klägers bei der äthiopischen Botschaft (9. Juni 1994) - versuchte, die Ausstellung von Reisepapieren für den Kläger zu veranlassen. In den Bemühungen der Ausländerbehörde um Ausstellung eines Paßersatzes für den Kläger sind keine Umstände zu erkennen, aufgrund derer die äthiopische Botschaft oder andere äthiopische Behörden ihn als exponierten Regimegegner bzw. AAPO- Mitglied/Unterstützer identifiziert haben könnten. Die Korrespondenz zwischen der Botschaft und der Ausländerbehörde enthält ebensowenig wie die der Botschaft

übersandten Unterlagen irgendwelche Informationen zur politische Einstellung des Klägers, zu dessen exilpolitischen Aktivitäten oder zu dessen Asylverfahren, insbesondere den geltend gemachten Asylgründen (vgl. Ausländerakten). Eine andere Beurteilung kommt nicht aufgrund des an die Ausländerbehörde gerichteten Schreibens von a.i. vom 9. Juni 1 94 in Betracht, in dem die Vorführung des Klägers bei der äthiopischen Botschaft kritisiert wird. Soweit in dem genannten Schreiben ausgeführt wird, es sei nicht auszuschließen, daß der Kläger durch seine exilpolitische Betätigung den äthiopischen Behörden in Deutschland als Oppositioneller bekannt geworden ist, und die Verfahrensweise der Ausländerbehörde könne bei Rückkehr durchaus Verfolgungsmaßnahmen oder eine menschenrechtswidrige Behandlung mit auslösen, benennt a.i. die bloße Möglichkeit eines Geschehensablaufes. Tatsächliche Anhaltspunkte für die Identifizierung des Klägers als Regimegegner und daran anknüpfende Verfolgungsmaßnahmen, denen im Rahmen der Aufklärungspflicht nachzugehen wäre, ergeben sich daraus nicht.