VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 01.08.2000 - A 9 S 1126/99 - asyl.net: R8530
https://www.asyl.net/rsdb/R8530
Leitsatz:

Im Nordsudan findet keine Gruppenverfolgung von Christen statt.

Im Sudan wird niemand wegen seiner Ausreise aus dem Sudan, wegen eines längeren Auslandsaufenthalts oder wegen eines Asylantrags politisch verfolgt.

Zur Frage, ob die Einberufung zum Wehr- oder Kriegsdienst im Sudan politische Verfolgung darstellt. (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Sudan, Nouer, Christen, Religiös motivierte Verfolgung, Gruppenverfolgung, Religiöses Existenzminimum, Nordsudan, Wehrdienstentziehung, Desertion, Glaubwürdigkeit, Wehrpflicht, Einberufung, Zwangsrekrutierung, Schikanen im Wehrdienst, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Im Nordsudan findet keine Gruppenverfolgung von Christen statt.

Im Sudan wird niemand wegen seiner Ausreise aus dem Sudan, wegen eines längeren Auslandsaufenthalts oder wegen eines Asylantrags politisch verfolgt.

Zur Frage, ob die Einberufung zum Wehr- oder Kriegsdienst im Sudan politische Verfolgung darstellt. (amtliche Leitsätze)

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Beklagten vom 08.05.1998 mit Recht aufgehoben, soweit darin festgestellt wurde, dass hinsichtlich einer Abschiebung in den Sudan für den Beigeladenen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gegeben seien; denn das ist nicht der Fall.

Es kann nicht angenommen werden, dass dem Beigeladenen im Falle einer Rückkehr in den Sudan dort tatsächlich Nachteile wegen Desertion drohen. Der Senat teilt die Bedenken des Verwaltungsgerichts gegen die Glaubhaftigkeit der tatsächlichen Angaben des Beigeladenen.

Politische Verfolgung droht dem Beigeladenen auch nicht aus anderen Gründen.

Dem Beigeladenen droht keine politische Verfolgung in Anknüpfung an seine Ethnie oder seine Religion. Es fehlt an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass die Angehörigen des Volks der Nouer im Sudan - und sei es allein im Nordsudan - einer Gruppenverfolgung ausgesetzt wären. Ebenfalls findet im Nordsudan keine Gruppenverfolgung von Christen statt; diese sehen sich zwar vielfältigen Diskriminierungen und Beeinträchtigungen in ihrer Religionsausübung ausgesetzt, doch ist das sogenannte religiöse Existenzminimum allemal gewahrt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 10.05.1995 - A 13 S 2943/92 und 1796/93 -; BayVGH, Urt. vom 23.07.1996 - 25 BA 96.32298 -; Thür. OVG, Urt. vom 04.05.1999 - 3 KO 262/98 -; vgl. AA, Lagebericht vom 14.06.2000; Bundesamt, Einzelentscheider-Brief Oktober 1998; DOI vom 22.02.1997 und vom 23.02.1997 an VG Ansbach, vom 06.10.1997 und vom 08.01.1998 an VG Sigmaringen).

Der Beigeladene hat nach eigenem Bekunden im Übrigen seit seinem achten Lebensjahr in (...) gelebt, ohne dort wegen seiner Stammeszugehörigkeit oder wegen seiner Religion behelligt worden zu sein, und hat auch im Asylverfahren keine diesbezüglichen Befürchtungen geäußert.

Der Beigeladene wurde nach eigenen Angaben (...) geboren und unterliegt damit - wie alle jungen Männer zwischen 18 und 32 Jahren - unverändert der Wehrpflicht. Es ist daher möglich und sogar wahrscheinlich, dass er nach Rückkehr in den Sudan dort - erstmals oder erneut - zu den Streitkräften eingezogen wird. Politische Verfolgung stellt das aber nicht dar.

In der Rechtsprechung ist geklärt, dass auch die zwangsweise Heranziehung zum Wehrdienst und die damit zusammenhängenden Sanktionen, selbst wenn sie von weltanschaulich totalitären Staaten ausgehen, nicht schlechthin politische Verfolgung darstellen. Dahin schlagen derartige Maßnahmen vielmehr nur dann um, wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt werden, die dadurch gerade wegen ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen persönlichen Merkmals getroffen werden sollen (BVerwG, Urt. vom 25.06.1991 - 9 C 131.90 -, Buchholz 402.25 § 2 AsylVfG Nr. 21 = InfAuslR 1991, 310 313>; Urt. vom 06.12.1988 - 9 C 22.88 -, BVerwGE 81, 41 44>; sowie zuletzt Beschluss vom 10.09.1999 - 9 B 7/99 -, juris). Anhaltspunkte hierfür bestehen jedoch nicht.

Der erkennende Verwaltungsgerichtshof hat im Jahr 1995 festgestellt, dass die Rekrutierungspraxis im Sudan mangels eines staatlichen Meldewesens und mangels einer behördlich organisierten Wehrerfassung nur unsystematisch erfolgte; junge Männer wurden vor allen Dingen bei Beginn des Studiums oder einer sonstigen Berufsausbildung erfasst und dann umgehend eingezogen. Die Einberufungszahlen orientierten sich allein am Bedarf. Anhaltspunkte dafür, dass missliebige Bevölkerungsgruppen verstärkt einberufen oder bevorzugt bei Kampfeinsätzen verwendet würden, fehlten (VGH Bad.- Württ., Urt. vom 10.05.1995 - A 13 S 2943/92 -, Umdruck S. 30 ff.). Daran hat sich im Grundsatz nichts geändert. Allerdings verkündete die sudanesische Regierung angesichts der im Januar 1997 einsetzenden Offensive der Bürgerkriegsgegner die Generalmobilmachung und suchte in der Folgezeit größere Anteile der Wehrpflichtigen einzuberufen, ohne dass jedoch eine vollständige Erfassung der wehrpflichtigen Jahrgänge erreicht worden wäre (AA vom 26.01.1999 an VG Augsburg; DOI vom 11.11.1998 an VG Augsburg). Ist damit die Einberufungspraxis weiterhin selektiv, so lässt die Selektion doch unverändert kein System erkennen, vollends keines unter Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale. Nach wie vor wurden keine Wehrersatzbehörden aufgebaut, sondern setzt die Wehrerfassung bei den Schulabgängern und Studien- bzw. Ausbildungsanfängern an (AA, Lagebericht vom 14.06.2000). Und nach wie vor fehlt es an Berichten über Diskriminierungen nach Rasse oder Religion (vgl. AA, Lagebericht vom 14.06.2000).

Allerdings gibt es vereinzelt Berichte über Diskriminierungen im Militärdienst aus politischen Gründen; jedoch kann der Beigeladene daraus für sich nichts herleiten. Zum einen berichtet das Deutsche Orient-Institut, oppositionelle Studenten würden mitunter zum Dienst bei den PDF genötigt, was nicht nur militärischen oder polizeilichen Zwecken, sondern auch der Disziplinierung und (Um-) Erziehung diene (DOI vom 13.03.1999 an VG Schleswig). Ob dies zutrifft und ob es sich dabei um politische Verfolgung handelte, mag offen bleiben; denn der Beigeladene hat sich nicht als oppositioneller Student exponiert und braucht dies auch nach Rückkehr in den Sudan nicht zu tun, weshalb er nicht zu der möglicherweise betroffenen Bevölkerungsgruppe gehört. Zum anderen vermutet das Deutsche Orient-Institut, dass gefasste Deserteure - mangels hinreichender Strafvollzugseinrichtungen - in besonderen Einheiten zusammengefasst und bevorzugt zu Fronteinsätzen kommandiert werden (DOI vom 12.08.1999 an VG Ansbach). Auch dem braucht der Senat nicht weiter nachzugehen; denn der Beigeladene ist - wie gezeigt - nicht desertiert. Dass schon die längere Auslandsabwesenheit als Wehrdienstentziehung angesehen und mit ähnlichen Repressalien geahndet würde, ist nicht ersichtlich.

Politische Verfolgung droht dem Beigeladenen schließlich auch nicht wegen seiner Ausreise aus dem Sudan, wegen seines längeren Aufenthalts in Deutschland und wegen des hier betriebenen Asylverfahrens (Bestätigung von VGH Bad.-Württ., Urt. vom 10.05.1995 - A 13 S 2943/92 -; ebenso BayVGH, Urt. Vom 23.07.1996 25 BA 96.32298 -; Beschluss vom 18.03.1998 25 B 96.36034 -; ThürOVG, Urt. vom 04.05.1999 3 KO 262/98 -).

Der Beigeladene muss allerdings damit rechnen, bei der Wiedereinreise in den Sudan von den Sicherheitskräften befragt und gegebenenfalls verhört zu werden. So wird bei Rückkehrern verfahren, die sich länger als ein Jahr außerhalb des Sudan aufgehalten haben (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 10.05.1995 A 13 S 2943/92 -, Umdruck S. 46, 54; DOI vom 27.02.1998 an VG Aachen; ai vom 30.12.1998 an VG Aachen; AA, Lagebericht vom 14.06.2000). Das allein stellt indes noch keine ausgrenzende Verfolgungsmaßnahme von asylerheblicher Intensität dar und wird im Übrigen gegenüber jedem Auslandsrückkehrer nach längerfristiger Abwesenheit, also nicht gerade in Anknüpfung an Asylmerkmale praktiziert. Zu asylerheblichen Nachteilen insbesondere zu längerfristiger Inhaftierung und/oder zu Misshandlungen und Folter in Anknüpfung an die tatsächliche oder doch vermutete politische Überzeugung des Betroffenen führen diese Befragungen und verhöre jedoch nicht in jedem Fall, sondern nur bei Hinzutreten besonderer Umstände. Das bloße Betreiben eines Asylverfahrens im Ausland gehört nicht dazu.

Selbst wenn dem Beigeladenen tatsächlich eine regimekritische Haltung unterstellt werden sollte, hätte er nicht mit politischer Verfolgung zu rechnen. Seit 1998 ist eine gewisse Liberalisierung im Sudan erkennbar, die Anfang 2000 sogar zur Wiederzulassung oder doch zur Tolerierung zuvor verbotener Oppositionsparteien wie der Umma-Partei oder der DUP geführt hat (AA vom 08.05.1998 an VG Aachen; Lagebericht vom 14.06.2000; 001 vom 10.05.2000 an VG Ansbach; Mattes, Sudan 1999, Nahost-Jahrbuch 2000). Dies zeigt sich auch darin, dass seither die öffentliche Äußerung von - auch deutlicher - Kritik an der Regierung folgenlos möglich geworden ist und zunehmend praktiziert wird, auch in der Presse; erst bei Hinzutreten besonderer Umstände (herabsetzende Kritik; Kritik von prominenter Seite; nachdrückliche Parteinahme etwa speziell für die SPLA oder für das Nuba-Volk) muss mit Verfolgungsmaßnahmen gerechnet werden (AA vom 22.05.1998 an VG Magdeburg und vom 24.07.1998 an VG Sigmaringen; Lagebericht vom 29.09.1998; 001 vom 03.03.1998 an VG Karlsruhe; Gesellschaft für bedrohte Völker vom 25.06.1998 an VG Bayreuth). Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass für regimekritische Äußerungen, die im Ausland - im Zuge eines Asylverfahrens oder außerhalb - erfolgen, strengere Maßstäbe angelegt werden (AA vom 04.05.1999 an VG Ansbach; Lagebericht vom 14.06.2000). Auch amnesty international benennt für seine gegenteiligen Befürchtungen in den jüngeren Stellungnahmen keinen Referenzfall (ai vom 28. und 30.12.1998 an VG Aachen); die zuvor angeführten Referenzfälle datieren sämtlich aus der Zeit vor 1997 und betreffen im Übrigen zumeist keine zurückkehrenden Asylbewerber (ebenso Thür. OVG, Urt. vom 04.05.1999 - 3 KO 262/98 - Umdruck S. 55).