OVG Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Brandenburg, Urteil vom 10.08.2000 - 4 A 219/95.A - asyl.net: R8505
https://www.asyl.net/rsdb/R8505
Leitsatz:

1. Zulässigkeit der Klage trotz nicht unterschriebener Klageschrift, da Gericht bisher bei dem Kläger den Eindruck erwecken musste, dass es hierauf nicht (mehr) ankommt.

2. Flüchtlingsanerkennung für solche Mitglieder der EPRP, die aktiv über Jahre hinweg an herausgehobener Stelle für die Organisation in Deutschland tätig gewesen sind und von denen anzunehmen ist, dass sie dem äthiopischen Staat bekannt sind.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Äthiopien, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, EPRP, Funktionäre, Überwachung im Aufnahmeland, Terrorismusbekämpfung, EUF, D (A), Verfahrensrecht, Fristen, Klagefrist, Fristversäumnis, Schriftform, Faires Verfahren
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist zulässig.

Zwar hat der Kläger innerhalb der Klagefrist keine unterschriebene Klageschrift eingereicht. Ihm kann indes eine eventuelle Verfristung der Klage nicht entgegengehalten werden. Der Senat hat hierzu bereits in seinem Zulassungsbeschluss vom 15. Mai 1998 ausgeführt, dass dem Kläger die in die Sphäre des Gerichts fallende teilweise Vernichtung des Briefumschlags, mit dem er seine Klage eingereicht hat, und der einen Anhaltspunkt dafür hätte liefern können, ob dem Schriftlichkeitserfordernis gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 6. Dezember 1988 - 9 C 40.87 -, BVerwGE 81, 32, 35; Urteil vom 17. Oktober 1968 - 2 C 112.65 -, BVerwGE 30, 274, 277) trotz der zunächst fehlenden Unterschrift durch einen handschriftlichen Absendervermerk Genüge getan worden ist, nicht zum Nachteil gereichen darf. Derartige vom Kläger nicht zu vertretende Versäumnisse im Gewahrsamsbereich des Gerichts wirken sich auf die Zulässigkeit des Rechtsschutzgesuchs nicht aus (vgl. - ebenfalls zu einem abhanden gekommenen Briefumschlag - BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1984 - 6 C 12.83 -, Buchholz 310 § 81 Nr. 11).

Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger sich nicht darauf beruft, den teilweise verloren gegangenen Briefumschlag eigenhändig mit seinen Absenderangaben versehen zu haben, sondern vielmehr in der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 1995 auf Frage des Verwaltungsgerichts eingeräumt hat, sich daran nicht mehr erinnern zu können. Auch insoweit ist auf die Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 15. Mai 1998 zu verweisen, wonach der Kläger zur Gewährleistung einer fairen Verfahrensgestaltung spätestens bis zur ersten mündlichen Verhandlung am 12. November 1992 auf die Unterschriftsproblematik hätte angesprochen werden müssen, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich daran zu erinnern, ob er den Briefumschlag mit seinem Absender versehen hat. Stattdessen hat das Verwaltungsgericht dem Kläger in Verkennung der Rechtslage zunächst in der Eingangsverfügung anheimgegeben, die fehlende Unterschrift binnen 2 Wochen nachzuholen. Dem ist der Kläger nachgekommen. In der Folgezeit hat das Verwaltungsgericht nach der Durchführung einer ersten mündlichen Verhandlung Auskünfte eingeholt, die die materielle Rechtslage betreffen. Erstmals annähernd 4 Jahre nach Klageerhebung, in der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 1995, hat das Gericht dann den Kläger auf die Unterschriftsproblematik angesprochen. Dass er sich zu jenem Zeitpunkt nicht mehr sicher erinnern konnte, ob er den Briefumschlag beschriftet hat, erscheint ohne weiteres verständlich, zumal das Verwaltungsgericht bis dahin durch seine Verfahrensweise bei dem Kläger den Eindruck erwecken musste, dass es hierauf nicht (mehr) ankommt. Ihn an dieser fehlenden Erinnerung festhalten zu wollen, widerspräche der von Verfassungs wegen gebotenen fairen Verfahrensgestaltung. Bei dieser entstandenen Sachlage kann die Unaufklärbarkeit der Einhaltung der Klagefrist mit Blick auf die wegen einer möglichen handschriftlichen Absenderangabe gegebenenfalls ordnungsgemäße Klagerhebung dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen; eine Wiedereinsetzungsproblematik wegen einer versäumten Klagefrist stellte sich danach nicht.

Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte zu 1. auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG.

Dabei kann offenbleiben, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus dem Heimatland politische Verfolgung erlitten oder ihm eine solche Verfolgung gedroht hat, und deshalb zu seinen Gunsten von einem herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab auszugehen ist. Ihm droht unabhängig hiervon wegen seiner herausgehobenen exilpolitischen Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland bereits mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Äthiopien.

Die EPRP ist in Äthiopien auch unter der neuen Regierung noch immer nicht offiziell zugelassen und damit eine illegale Partei (Institut für Afrika-Kunde vom 17. November 1998 an VG Berlin). Sie ist Mitglied und führende Kraft der im April 1991 in den USA gegründeten Coalition of Ehtiopian Demokratic Forces CoEDF (amnesty international, Stellungnahme vom 18. Juni 1998 und Institut für Afrika-Kunde vom 23. November 1998, jeweils an VGH Baden-Württemberg). Als Mitglied der CoEDF gehört sie der 1996 gegründeten Ethiopian Unity Front (EUF) an, die allgemein formulierte demokratische Ziele vertritt, sich aber zu deren Durchsetzung in Äthiopien zum bewaffneten Kampf bekennt (Institut für Afrika-Kunde vom 17. November 1998 an VG Berlin) und bewaffnete Aktionen gegen die jetzige äthiopische Regierung unternommen haben soll (Institut für Afrika-Kunde vom 10. November 1999 an Hess. VGH; amnesty international vom 17. August 1999 an Hess. VGH; Auswärtiges Amt vom 30. Juni 1999 an Hess. VGH). Allerdings soll die CoEDF ebenso wie die EUF ihre Mitglieder und Anhänger in Äthiopien im Juni 1998 aufgerufen haben, bewaffnete Operationen gegen die äthiopische Regierung wegen des Konfliktes mit Eritrea einzustellen; in diesem Zusammenhang unterstützt die CoEDF wie auch die EUF die Position der äthiopischen Regierung (Institut für Afrika-Kunde vom 17. November 1998 an das VG Berlin). Ob dieser Waffenstillstand von der EUF bislang tatsächlich eingehalten worden ist, läßt sich nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht feststellen. Vereinzelt wird vielmehr davon berichtet, dass zumindest Teile der EPRP die Kampfhandlungen wieder aufgenommen haben (vgl. die vom Kläger eingeführte Stellungnahme von amnesty international vom 2. April 2000 Bl. 278 d.A.). Jedenfalls verfolgt die äthiopische Regierung die EPRP wegen der Verbindung zur EUF auch weiterhin als terroristische Vereinigung (Auswärtiges Amt vom 5. Februar 1999 an VG Ansbach). Wie sich die nunmehr mit dem am 18. Juni 2000 geschlossenen Waffenstillstandsabkommen eingetretene Beendigung des Grenzkonfliktes zwischen Äthiopien und Eritrea (s.o.) auf das militärische Verhalten der EUF auswirkt, ist auf der Grundlage der bislang hierzu verfügbaren Auskünfte nicht erkennbar.

Die Auskunftslage zu der Frage, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit wegen eines exilpolitischen Engagements für die EPRP mit einer Gefährdung im Falle der Rückkehr nach Äthiopien zu rechnen ist, stellt sich für den Senat nach den vorliegenden Erkenntnissen wie folgt dar: ...

Bei Würdigung dieser Auskunftslage ist zwar nicht anzunehmen, dass bereits einfache Mitglieder der EPRP oder eines ihrer Unterstützungskomitees, also soweit sie sich nur auf der Ebene der bloßen Mitläuferschaft bewegen und sich nicht über das "übliche" Maß (wie etwa die Teilnahme an Demonstrationen und sonstigen Veranstaltungen oder das Verteilen von Propagandamaterial) hinaus in einer dieser Organisationen engagieren, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer politisch motivierten Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr rechnen müssen. Der anderslautenden Einschätzung von amnesty international, wonach gleichsam jedwede Aktivität in einer exilpolitischen Organisation zu einer Verfolgung im Falle der Rückkehr führen soll, vermag in dieser Allgemeinheit nicht zu überzeugen.. Dagegen spricht schon, dass - worauf auch das Auswärtige Amt hinweist (vgl. etwa Lagebericht vom 3. April 2000) - auch dem äthiopischen Staat bekannt ist, dass einige Exilgruppen nicht vorrangig das Ziel verfolgen, die Zustände in ihrem Heimatland zu verändern, sondern den geltend gemachten Asylanspruch der Gruppenangehörigen zu untermauern. Demgemäß zählt nach Angaben des Auswärtigen Amtes (a.a.O.) die Betätigung in einer oppositionellen Exilgruppe auch zu dem typischen Vorbringen von Asylbewerbern. Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich der äthiopische Staat durch derartige Aktivitäten im Ausland, solange sie auf der Ebene der bloßen Mitläuferschaft verbleiben, ernsthaft bedroht fühlt und gegen die betreffenden Personen vorgeht, sobald er ihrer habhaft wird.

Anders stellt sich die Situation jedoch für solche Mitglieder der EPRP dar, die aktiv über Jahre hinweg an herausgehobener Stelle für diese Organisation in Deutschland tätig gewesen sind und von denen anzunehmen ist, dass sie dem äthiopischen Staat bekannt sind. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der äthiopische Auslandsgeheimdienst, für den in der DDR ausgebildetes Geheimdienstpersonal des Mengistu-Regimes rekrutiert worden ist, nach insoweit übereinstimmender Auskunftslage die Aktivitäten der oppositionellen Gruppen im Ausland durchaus nachdrücklich überwacht (vgl. Lagebericht d . Auswärtigen Amtes vom April 2000 und Auskunft vom 22. Februar 2000 an VG Ansbach; Auskunft von amnesty international vom 17. August 1999 an Hess. VGH; Auskunft des Instituts für Afrika-Kunde vom 23. November 1998 an VGH Bad. Württ.). Es ist deshalb davon auszugehen, dass ihm der zahlenmäßig überschaubare Kreis der herausgehobenen, in der Öffentlichkeit agierenden Funktionäre der EPRP in Deutschland bekannt ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 3. April 2000; Auskunft des Instituts für Afrika-Kunde vom 23. November 1998 an VGH Bad.-Württ.). Weil eine solche Überwachung stattfindet, liegt im Übrigen die Annahme nahe, dass der äthiopische Staat aus den so gewonnenen Informationen auch gewillt ist, Konsequenzen zu ziehen, andernfalls gäbe die von ihm betriebene Auslandsüberwachung keinen Sinn. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der äthiopische Staat gerade die EPRP wegen ihrer Verbindung zu der in Äthiopien - wenn auch offenbar nur sporadisch und ohne greifbare Erfolge - mit militärischen Mitteln vorgehenden EUF (der EPRP-Vorsitzende Yoseph Mersha soll zugleich Vorsitzender der CoEDF und der EUF sein, vgl. Auswärtiges Amt vom 30. Juni 1999 an Hess. VGH und - zu den militärischen Aktivitäten der EUF - Auskunft vom 24. September 1998 an VG Berlin) als terroristische Vereinigung ansieht, die für ihn anders als eine im Rahmen der üblichen Propagandamittel nur im Ausland agierende Exilorganisation eine greifbare Bedrohung "vor Ort" darstellt. Vor diesem Hintergrund erscheint jedenfalls mit Blick auf an herausgehobener Stelle agierende Parteifunktionäre plausibel, dass die Gutachterstellen bei erwiesener EPRP-Mitgliedschaft eine Verfolgung, also Verhaftung und Inhaftierung von unbestimmter Dauer und ohne (rechtsstaatliches) Gerichtsverfahren, für wahrscheinlich (Institut für Afrika-Kunde und Auswärtiges Amt, s.o.), überwiegend wahrscheinlich (UNHCR, s. o.) bzw. - in Einzelfällen - sogar für sicher halten (Auswärtiges Amt, s.o.). Ebenso erscheint es nachvollziehbar, dass diese Verfolgungswahrscheinlichkeit in dem Maße weiter steigt, in dem die Verantwortlichkeit und Intensität der exilpolitischen Betätigung zunimmt.

Dieser Einschätzung lässt sich nicht entgegenhalten, dass insoweit keine Referenzfälle bekannt sind, anhand derer die Verfolgungswahrscheinlichkeit für zurückkehrende EPRP-Mitglieder verifiziert werden könnte. Das Fehlen von Referenzfällen ließe nur dann Rückschlüsse auf eine bestimmte Verfolgungswahrscheinlichkeit zu, wenn bekannt wäre, dass und wieviele EPRP-Mitglieder in den letzten Jahren nach Äthiopien abgeschoben worden sind, und wenn über deren weiteres Schicksal hier Informationen vorlägen.

Durchaus von Bedeutung für die Wahrscheinlichkeitsprognose sind indes die vorliegenden Informationen über die Verfolgung von EPRP-Mitgliedern oder anderen gegen das jetzige Regime aktiven Oppositionellen in Äthiopien, die entweder im Heimatland selbst aktiv waren oder aus anderen Staaten freiwillig oder gegen ihren Willen nach Äthiopien zurückgekehrt sind (vgl. etwa Auskunft von amnesty international vom 17. August 1999 an Hess. VGH; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 24. September 1.998 an VG Berlin; Auskunft von amnesty international vom 18. Juni 1998 an VGH Bad.-Württ. und den Bericht zur Verfolgung von Angehörigen der EPRP vom August 1994 - Anlage zur Auskunft vom 6. September 1995 an VG Schleswig; vgl. ferner die Jahresberichte von amnesty international für 1995 bis 1999, jeweils unter "Äthiopien"). Diese Informationen zeigen, dass der äthiopische Staat von ihm als Regimegegner eingestufte Personen, zu denen auch herausgehobene EPRP-Mitglieder zählen, und denen er habhaft wird, auch tatsächlich verfolgt.

Es ist mithin davon auszugehen, dass jedenfalls herausgehobene, in der Öffentlichkeit agierende Funktionäre der Exil-EPRP mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Verhaftung und Inhaftierung von unbestimmter Dauer im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien rechnen müssen (ähnlich - bei je nach Einzelfall nuancierendem Verständnis einer in diesem Sinne "führenden" Parteifunktion - OVG Bremen, Urteil vom 21. März 2000 - 1 A I 174/99.A -; Bay. VGH, Beschluss vom 11. November 1999 - 9 B 99.31501 -; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11. Mai 1999 - A 9 S 47/98 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. April 1996 - 6 A 12327/94 -; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. Juni 1995 - A 13 S 2963/92 - und vom 8. Februar 1995 - A 1: S 2868/92 -; OVG Saarland, Urteil vom 7. Juli 1993 - 9 R 15/92 -).

Besteht demnach für Mitglieder der EPRP, die sich in Deutschland an herausgehobener Stelle exilpolitisch engagieren, eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit, so gilt dies auch für den Kläger. Nach den - von den Beteiligten im Übrigen nicht in Abrede gestellten - Ausführungen des Klägers und dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der EPRP an heraus gehobener Stelle exilpolitisch tätig ist.

Der Kläger ist seit neun Jahren und damit für einen bei Asylbewerbern, die sich während ihres Asylverfahrens exilpoltisch betätigen, ungewöhnlich langen Zeitraum für die EPRP in Deutschland aktiv. Seit 1991 ist er Mitglied des EPRP-Unterstützungskomitees in Berlin-Brandenburg und hat im Vorstand dieses Unterstützungskommitees bis 1997 für den Bereich Propaganda verantwortlich gezeichnet. Daneben ist er Mitglied der EPRP für die Unterregion Berlin-Brandenburg und dort 1997 als Schriftführer in den Vorstand gewählt worden. In dieser Funktion hat er seit Jahren zahlreiche Veranstaltungen der EPRP, auch solche mit ausländischer Beteiligung, mit organisiert und/oder an ihnen teilgenommen. Wegen Ort, Zeit und Gegenstand der einzelnen Demonstrationen, Seminare, Diskussionsveranstaltungen und weiteren Veranstaltungen, an denen der Kläger in der vorerwähnten Weise beteiligt gewesen, ist, wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die im Tatbestand im Einzelnen dargestellten diesbezüglichen Ausführungen des Klägers verwiesen, die der Senat seiner Bewertung zugrunde legt. Auf diesen Veranstaltungen hat der Kläger sich als Gegner des äthiopischen Regimes zu erkennen gegeben, so etwa durch seine von den Zeugen bestätigte Auseinandersetzung mit Frau Nezanet Asfaw, einer Vertreterin der äthiopischen Regierung, bei der Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung am 7. Oktober 1995, und durch seinen regierungskritischen Redebeitrag auf der Veranstaltung vom 23. August 1998 im Haus der Demokratie in Berlin. Neben diesen nach außen gerichteten Aktivitäten nimmt der Kläger innerhalb der EPRP-Parteiorganisation herausgehobene Funktionen wahr, indem er für die Unterregion Berlin-Brandenburg als Schriftführer des Vorstandes fungiert und in dieser Funktion - nach Aussage des Zeugen Lorenso in den letzten Jahren zunehmend an der Stelle des Vorsitzenden - die Unterregion gegenüber der EPRP auf Bundesebene vertritt, den Kontakt hält und regelmäßig über die Aktivitäten der Unterregion Bericht erstattet. Seine wiederholte Teilnahme an den Jahresversammlungen der EPRP in Deutschland zeigt, dass der Kläger auch auf Bundesebene eng in die parteiinterne Planung und Organisation eingebunden ist. Überdies hat der Kläger im Februar 1998 an der Gründungsversammlung des Unterstützungskomitees er - in Äthiopien militärisch gegen das Regime aktiven - EUF in Deutschland teilgenommen.

In der Gesamtschau gehen diese exilpolitischen Aktivitäten des Klägers angesichts ihrer Vielzahl, vor allem aber wegen ihrer inhaltlichen Qualität, deutlich über eine einfache Parteimitgliedschaft hinaus.

Die dem Kläger danach mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Repression durch den äthiopischen Staat stellt sich als politische Verfolgung dar. Er muss nach der vom Senat vorgenommenen Würdigung der Auskunftslage bei seiner Einreise nach Äthiopien wegen seiner EPRP-Aktivitäten in Deutschland, also in Anknüpfung an seine politische Überzeugung und Betätigung, mit einer Verhaftung und Inhaftierung von unbestimmter Dauer ohne rechtsstaatliches Verfahren oder gänzlich ohne Einschaltung der Justiz rechnen (s. zum Zustand des Justizwesens in Äthiopien die obigen Ausführungen unter II.1.). Der Einstufung dieser Repression als politische Verfolgung steht nicht entgegen, dass der äthiopische Staat eine Bekämpfung der von ihm als terroristisch eingestuften EPRP als legitime Ahndung kriminellen Unrechts ansieht, durch die er seinen eigenen Bestand schützen will. Zwar ist die grundsätzlich jedem Staat zuzubilligende Verfolgung kriminellen Unrechts, also von Straftaten, die sich - und sei es aus politischer Überzeugung - gegen die Rechtsgüter anderer Bürger richten, keine politische Verfolgung (BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1989 - 2 BvR 958/86 -, BverfGE 81, 142, 149 f.). Allerdings kommt insoweit eine Schutzgewährung nur dann nicht mehr in Betracht, wenn der Betreffende seine politische Überzeugung unter Einsatz terroristischer Mittel betätigt hat, also etwa unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter, wobei aber Terrorismus und Gewaltanwendung nicht gleichgesetzt werden dürfen (BverfG, Beschluss vom 25. April 1991 - 2 BvR 1437/90 -, InfAuslR 1991, 257, 260).

Hier liegen zwar Anhaltspunkte dafür vor, dass insbesondere die von der EPRP mitgegründete EUF in Äthiopien vereinzelt bewaffnete Aktionen durchgeführt haben soll (s. o. II.2.). Auch lehnt die EPRP bewaffnete Aktionen gegen die Regierung offenbar nicht prinzipiell ab. Konkrete Belege dafür, dass die EPRP bzw. die EUF nach dem mit Ausbruch des Grenzkonfliktes mit Eritrea erklärten Waffenstillstand ihre Guerillaaktionen wieder aufgenommen hat oder dies in nächster Zukunft tun wird, gibt es jedoch nicht. Unbeschadet dessen sind jedenfalls greifbare Anhaltspunkte für eine terroristische Ausrichtung der Aktivitäten des Klägers nicht ersichtlich. Er hat sich nach dem im Verfahren wiedergegebenen Inhalt seiner Reden für eine Demokratisierung seines Landes, für freie Wahlen und die Einhaltung der Menschenrechte eingesetzt nicht aber für terroristische Aktionen.