BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 24.05.2000 - 9 C 20.99 - asyl.net: R7735
https://www.asyl.net/rsdb/R7735
Leitsatz:

Kein Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG für Anhänger der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Pakistan. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Pakistan, Ahmadiyya, Gruppenverfolgung, Religiös motivierte Verfolgung, Religiöses Existenzminimum, EGMR, Rechtsprechung, Strafverfolgung
Normen: AuslG § 53 Abs. 4
Auszüge:

Das Berufungsgericht hat Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG auf der Grundlage seiner zum asylrechtlichen Teil der Klage getroffenen tatsächlichen Feststellungen zur Situation der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Pakistan und unter Würdigung des indiviudellen Verfolgungsvortrags des Klägers verneint. Dabei hat es in erster Linie geprüft, ob dem Kläger wegen der geltend gemachten Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit der Ahmadis in Pakistan Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG in Verbindung mit Art. 9 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 686) - EMRK - zu gewähren ist. Seine Auffassung, auch dieser Schutz müsse dem Kläger versagt bleiben, weil er jedenfalls nicht weiterreichen könne als der "Schutz vor Eingriffen in das religiöse Existenzminimum nach den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zur Reichweite des Asylgrundrechts und zu den Voraussetzungen des Flüchtlingsschutzes bei an den Glauben und seine Betätigung anknüpfenden Verfolgungsmaßnahmen", steht entgegen der Ansicht der Revision mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat hierzu in dem gleichzeitig ergangenen Urteil im Verfahren BVerwG 9 C 34.99 das auch für den hier zu entscheidenden Fall Geltende ausgeführt: ...

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat der Ansicht, dass zu dem menschenrechtlichen Mindeststandard, dessen Missachtung in einem Nicht-Vertragsstaat eine Abschiebung dorthin unzulässig machen kann, auch ein unveräußerlicher - nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht beschränkbarer - Kern der Religionsfreiheit gehört, der für die personale Würde und Entfaltung eines jeden Menschen unverzichtbar ist (zur Auslegung von Art. 9 EMRK vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 19. April 1993 - 3 1992/348/421 - Nr. 31 ff. <Kokkinakis>; Urteil vom 23. August 1994 - 11/1993/406/485 - Nr. 47 ff. <Otto-Preminger-Institut>; Urteil vom 24. Februar 1998 - 140/1996/759/958-960-Nr. 45 ff. <Larissis u.a.>). Dessen Verletzung kann im Einzelfall zu einem Abschiebungsverbot aus der EMRK führen. Im Ergebnis zutreffend und in Übereinstimmung mit weiteren Oberverwaltungsgerichten (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 2. März 1999 - Bf IV 13/95; VGH Kassel, Urteil vom 31. August 1999 - 10 UE 864/99.A -; OVG Koblenz, Urteil vom 20. Januar 2000 - 12 A 11883/96 - <juris>; OVG Lüneburg NVwZ 1998, Beilage Nr. 7, 65; ähnlich VGH Mannheim, Urteil vom 15. Juni 1999 - A 6 S 2766/98 -) ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der unbedingt zu schützende menschenrechtliche Kern der Religionsfreiheit indessen nicht weiterreichen kann als das sogenannte religiöse Existenzminimum, wie es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts durch das Asylrecht geschützt wird (vgl. BVerfGE 54, 341, 356 ff.; 76, 143, 158 ff.; InfAuslR 1992, 219; NVwZ 1995, Beilage 5, 33 = InfAuslR 1995, 210;).

Die danach in besonderer Weise gewährleistete Religionsausübung im nichtöffentlichen, privaten Bereich (sog. forum internum) ist jedoch nach den für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) für den Kläger als Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Pakistan noch gewahrt. Er muss insbesondere nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, bei einer Rückkehr nach Pakistan dort wegen der Zugehörigkeit zu seiner Glaubensgemeinschaft und wegen der Ausübung seines Glaubens im privaten Bereich beachtlich wahrscheinlich bestraft oder schutzlos Angriffen fundamentalistischer Muslime ausgesetzt zu werden (vgl. im Einzelnen die Beweiswürdigung im Berufungsurteil, UA S. 44 ff.).