OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 23.03.2000 - 10 M 4629/99 - asyl.net: R6363
https://www.asyl.net/rsdb/R6363
Leitsatz:

1. Bei der Aufforderung, sich in die Erstaufnahmeeinrichtung Halberstadt zu begeben, handelt es sich im vorliegenden Fall um eine selbstständig anfechtbare Auflage i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, für die vor Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens erforderlich ist, wobei die aufschiebende Wirkung eines eingelegten Widerspruches nur durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO beseitigt werden kann.

2. Die Auflage hat keine tragfähige Rechtsgrundlage.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Kosovo, Albaner, Umverteilung, Zuweisung, Bürgerkriegsflüchtlinge, Duldung, Auflagen, Nebenbestimmungen, Anfechtbarkeit, Räumliche Beschränkung, Erlasslage, Sofortvollzug, Analogie
Normen: AuslG § 44 Abs. 6; AuslG § 56 Abs. 3 S. 2; VwVfG § 36 Abs. 2 Nr. 4; VwGO § 80 Abs. 3 Nr. 4; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass es sich bei der zwischen den Beteiligten umstrittenen Aufforderung, sich in die Erstaufnahmeeinrichtung Halberstadt zu begeben, um eine selbständig anfechtbare Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG handelt, für die vor Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens erforderlich ist, wobei die aufschiebende Wirkung eines eingelegten Widerspruches nur durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO beseitigt werden kann. Nicht übereinzustimmen vermag der Senat hingegen mit der Auffassung der Vorinstanz, die im Rahmen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse der Antragsteller an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit der streitigen Auflage müsse zum Nachteil der Rechtsschutzsuchenden ausgehen. Denn das Verwaltungsgericht hat bei seiner Abwägung unberücksichtigt gelassen, dass die Rechtmäßigkeit der von den Antragstellern angegriffenen Auflage mit erheblichen Zweifeln belastet ist, die zu ihren Gunsten in die Abwägung hätten eingehen müssen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts dürfte die streitbefangene Auflage, die gemäß § 44 Abs. 6 AuslG auch nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der Duldung in Kraft bleibt, in § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG in Verbindung mit dem Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 25. Juni 1999 (45.31-12230/1-1 <§ 32 a> 1-1) keine tragfähige Rechtsgrundlage finden. Zwar kann nach der genannten Vorschrift eine Duldung mit weiteren Bedingungen und Auflagen versehen werden. Diese Befugnis der Ausländerbehörden findet jedoch ihre Grenze im Gesetz selbst, namentlich in § 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG, wonach die Duldung räumlich auf das Gebiet des Landes, im Falle des Ausspruches durch eine niedersächsische Ausländerbehörde also auf das Gebiet des Landes Niedersachsen beschränkt ist, und zwar unabhängig davon, ob die räumliche Begrenzung ungeachtet jeder ausländerbehördlichen Anordnung gilt (so Renner, AuslR, 7. Aufl., § 56 Rdn. 7) oder selbst noch im Rahmen einer Nebenbestimmung umzusetzen ist (zum Meinungsstand insoweit GK-AuslR, § 56 Rdn. 5, 6). Aus dem Kontext, in dem § 56 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AuslG zueinander stehen, folgt jedenfalls, dass die in Satz 2 angesprochenen weiteren Bedingungen und Auflagen nach dem Willen des Gesetzgebers nur innerhalb der in Satz 1 umschriebenen Beschränkung möglich sein sollen. Nicht umfasst von § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG wird daher eine Anordnung, die der vorangegangenen Aussage des Satzes 1 widerspricht. Die in § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG angesprochenen weiteren Bedingungen und Auflagen können sich daher nur im Rahmen der räumlichen Beschränkung von Satz 1 der Vorschrift bewegen und diese gegebenenfalls weiter modifizieren oder einschränken, dürfen dieser aber nicht widersprechen oder diese gar in ihr Gegenteil umändern (ebenso BayVGH, Beschl. v. 16.2.2000 - 10 CS 99.3292 -).

Nach dem Inhalt des Erlasses des Niedersächsischen Innenministeriums vom 25. Juni 1999 soll durch die von den Ausländerbehörden im Zusammenhang mit der Duldungserteilung anzuordnenden Auflagen, die Aufnahmeeinrichtungen aufnahmepflichtiger Bundesländer aufzusuchen, eine länderübergreifende Verteilung illegal in das Bundesgebiet eingereister Kosovo-Albaner erreicht werden, um auf diese Weise die mit dem geduldeten Aufenthalt verbundenen finanziellen Belastungen der einzelnen Länder auszugleichen. Der Erlass bezweckt daher im Ergebnis eine Regelung, wie sie die §§ 45, 46, 55 und 56 AsylVfG für die länderübergreifende Verteilung von Asylbewerbern und § 32 a Abs. 11 und 12 AuslG für die Verteilung und Zuweisung von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen, denen eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen ist, und damit für Ausländergruppen vorsehen, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Hierzu zählen die Antragsteller, die einen Asylantrag nicht gestellt haben, nicht. Im Ansatz durchaus verständlich hat das Verwaltungsgericht daher danach gefragt, ob die für legal eingereiste Ausländer, namentlich für sich rechtmäßig aufhaltende Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge geltenden Verteilungsregelungen, für die ein berechtigtes öffentliches Interesse streitet, im Wege der Analogie nicht auch für illegal eingereiste Ausländer anzuwenden seien. Soweit die Vorinstanz diesem Gedanken dann in der Annahme einer bestehenden Gesetzeslücke näher getreten ist, vermag ihr der Senat indes nicht zu folgen. Dabei kann es auf sich beruhen, ob sich die Annahme einer im Wege der Analogie zu schließenden Gesetzeslücke schon deshalb verbietet, weil der Gesetzgeber zwischen einzelnen Ausländergruppen differenzierende Regelungen geschaffen hat, die es dann auch gruppenspezifisch einzuhalten gilt (so BayVGH, a.a.O.), oder ob das System der Subsidiarität der für die örtliche Ausländerbehörde anzunehmenden Zuständigkeit das Vorhandensein einer Regelungslücke ausschließt (dazu OVG Berlin, Beschl. v. 5.4.1995 - 8 S 577.94/8 M 26.94 -, InfAuslR 1995, 257). Gegen die Annahme einer im Wege der Analogie auszufüllenden Lücke spricht vielmehr das Verhalten des Gesetzgebers selbst, der sich des Problems der Verteilung - lediglich - geduldeter Ausländergruppen durchaus bewusst gewesen ist. § 17 Abs. 2 AuslG 1965 räumte dem Bundesminister des Innern oder der von ihm durch Rechtsverordnung bestimmten Bundesoberbehörde die Befugnis ein, geduldete Ausländer nach Anhören der Länder und aufgrund des vom Bundesrat festgestellten Schlüssels für die Verteilung von ausländischen Flüchtlingen auf die Länder zu verteilen. Mit dem Hinweis, dass für eine Übernahme jener Regelung über die Verteilung geduldeter Ausländer ein praktisches Bedürfnis nicht bestehe, hat es der Gesetzgeber dann in der Folgezeit abgelehnt, eine dem § 17 Abs. 2 AuslG 1965 entsprechende Vorschrift in die Neufassung des AuslG 1990 aufzunehmen (vgl. BT-Drs. 11, 6321 S. 76). Abgesehen davon, dass der Gesetzgeber damit zum Ausdruck gebracht hat, auch eine Umverteilung lediglich geduldeter Ausländer könne nur aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage erfolgen, hat er im Verlauf der Fortentwicklung des Ausländer- und Asylrechts die ursprüngliche Regelung des § 17 Abs. 2 AuslG 1965 nicht wieder aufgegriffen, sondern durch Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften vom 30. Juni 1993 (BGBI. I S. 1062) mit Wirkung vom 1. Juli 1993 lediglich den auf die Gruppe der sich legal aufhaltenden Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge bezogenen § 32 a mit den in den Abs. 11 und 12 geregelten Verteilungs- und Zuweisungsverfahren in das geltende Ausländergesetz eingefügt. Eine vergleichbare Regelung für illegale und lediglich geduldete Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge hat der Gesetzgeber indes nicht getroffen und es insoweit bei seiner Absicht, die Vorschrift des § 17 Abs. 2 AuslG 1965 nicht zu übernehmen, belassen. Von einer ungewollten Regelungslücke kann danach nicht die Rede sein.