OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.01.2000 - 8 A 1292/96.A - asyl.net: R5601
https://www.asyl.net/rsdb/R5601
Leitsatz:

1. Auch angesichts der jüngsten Ereignisse in der Türkei nach der Verhaftung und Verurteilung des PKK-Vorsitzenden Öcalan gilt:

a) Kurden unterliegen in keinem Landesteil der Türkei einer Gruppenverfolgung. Im Übrigen steht ihnen in der Westtürkei eine inländische Fluchtalternative offen.

b) Personen aus Ostanatolien, die - insbesondere wegen Verweigerung des Dorfschützeramtes oder wegen bestimmter Art von Betätigung für die HADEP - bei den Sicherheitskräften am Heimatort im Verdacht stehen, mit der militanten kurdischen Bewegung zu sympathisieren, sind in keinem Landesteil der Türkei vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher.

c) Exilpolitische Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland begründen ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsrisiko für türkische Staatsangehörige im Allgemeinen nur, wenn sich der Betreffende politisch exponiert hat. In diesem Fall kann allerdings eine Zuerkennung von Asyl oder Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG durch den "Terrorismusvorbehalt" oder § 51 Abs. 3 AuslG ausgeschlossen sein. Bei exponierten exilpolitischen Aktivitäten für die PKK ist eine Zuerkennung von Asyl oder Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG nicht in jedem Fall durch den "Terrorismusvorbehalt" oder § 51 Abs. 3 AuslG ausgeschlossen (im Anschluß an BVerwG, Urteile vom 30. März 1999 - 9 C 22.98 -, NVwZ 1999, 1353 f., - 9 C 23.98 -, NVwZ 1999, 1349 ff und - 9 C 31.98 -, NVwZ 1999, 1346 ff.).

d) Kurden droht im Allgemeinen weder bei der Erfüllung ihrer Wehrpflicht noch im Zusammenhang mit einer etwaigen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung oder Fahnenflucht politische Verfolgung.

e) Sippenhaft droht im Allgemeinen nur nahen Angehörigen (Ehegatten, Eltern, Kindern ab 13 Jahren und Geschwistern) von durch Haftbefehl landesweit gesuchten Aktivisten einer militanten staatsfeindlichen Organisation.

f) Türkische Asylbewerber, denen politische Verfolgung nicht aus einem der vorstehend erwähnten Gründe droht, müssen auch bei der Abschiebung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Behandlung befürchten.

2. Eine Gruppenverfolgung der Aleviten findet in der Türkei nicht statt.

3. Die Anwendbarkeit des § 53 AuslG, der auch bei verfolgungsunabhängigen Gefahren eingreift, wird nicht durch den "Terrorismusvorbehalt" oder § 51 Abs. 3 AuslG ausgeschlossen. Wirtschaftliche Probleme im Zusammenhang mit der Rückkehr türkischer Asylbewerber in ihr Heimatland rechtfertigen in aller Regel auch unter Berücksichtigung der Erdbeben in 1999 nicht die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG. (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Türkei, Kurden, Aleviten, Gruppenverfolgung, Westtürkei, Interne Fluchtalternative, Dorfschützer, Dorfzerstörung, Razzien, HADEP, Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Überwachung im Aufnahmeland, Strafnachrichtenaustausch, PKK, Asylausschluss, Terrorismusvorbehalt, Wehrdienstentziehung, Strafverfolgung, Politmalus, Schikanen im Wehrdienst, Sippenhaft, Haftbefehl, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Erdbebenopfer
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

1. Auch angesichts der jüngsten Ereignisse in der Türkei nach der Verhaftung und Verurteilung des PKK-Vorsitzenden Öcalan gilt:

a) Kurden unterliegen in keinem Landesteil der Türkei einer Gruppenverfolgung. Im Übrigen steht ihnen in der Westtürkei eine inländische Fluchtalternative offen.

b) Personen aus Ostanatolien, die - insbesondere wegen Verweigerung des Dorfschützeramtes oder wegen bestimmter Art von Betätigung für die HADEP - bei den Sicherheitskräften am Heimatort im Verdacht stehen, mit der militanten kurdischen Bewegung zu sympathisieren, sind in keinem Landesteil der Türkei vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher.

c) Exilpolitische Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland begründen ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsrisiko für türkische Staatsangehörige im Allgemeinen nur, wenn sich der Betreffende politisch exponiert hat. In diesem Fall kann allerdings eine Zuerkennung von Asyl oder Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG durch den "Terrorismusvorbehalt" oder § 51 Abs. 3 AuslG ausgeschlossen sein. Bei exponierten exilpolitischen Aktivitäten für die PKK ist eine Zuerkennung von Asyl oder Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG nicht in jedem Fall durch den "Terrorismusvorbehalt" oder § 51 Abs. 3 AuslG ausgeschlossen (im Anschluß an BVerwG, Urteile vom 30. März 1999 - 9 C 22.98 -, NVwZ 1999, 1353 f., - 9 C 23.98 -, NVwZ 1999, 1349 ff und - 9 C 31.98 -, NVwZ 1999, 1346 ff.).

d) Kurden droht im Allgemeinen weder bei der Erfüllung ihrer Wehrpflicht noch im Zusammenhang mit einer etwaigen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung oder Fahnenflucht politische Verfolgung.

e) Sippenhaft droht im Allgemeinen nur nahen Angehörigen (Ehegatten, Eltern, Kindern ab 13 Jahren und Geschwistern) von durch Haftbefehl landesweit gesuchten Aktivisten einer militanten staatsfeindlichen Organisation.

f) Türkische Asylbewerber, denen politische Verfolgung nicht aus einem der vorstehend erwähnten Gründe droht, müssen auch bei der Abschiebung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Behandlung befürchten.

2. Eine Gruppenverfolgung der Aleviten findet in der Türkei nicht statt.

3. Die Anwendbarkeit des § 53 AuslG, der auch bei verfolgungsunabhängigen Gefahren eingreift, wird nicht durch den "Terrorismusvorbehalt" oder § 51 Abs. 3 AuslG ausgeschlossen. Wirtschaftliche Probleme im Zusammenhang mit der Rückkehr türkischer Asylbewerber in ihr Heimatland rechtfertigen in aller Regel auch unter Berücksichtigung der Erdbeben in 1999 nicht die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG. (amtliche Leitsätze)