VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.10.1999 - A 12 S 1021/97 - asyl.net: R4869
https://www.asyl.net/rsdb/R4869
Leitsatz:

Auch unter Berücksichtigung neuer Erkenntnismittel droht wegen exilpolitischer Betätigung bei einer Rückkehr in die Türkei dort - wenn überhaupt - nur exponierten Personen politische Verfolgung (Bestätigung und Fortschreibung der ständigen Senatsrechtsprechung). (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Türkei, Kurden, Dorfzerstörung, Weigerung, das Amt des Dorfschützers zu übernehmen, Haft, Folter, Familienangehörige, Ermordung, PKK, Unterstützung, Glaubwürdigkeit, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, PKK, ERNK, Vereinsverbot, Hungerstreik, Medienberichterstattung, Strafverfolgung, Beschlagnahme, Deutsch-Kurdischer Freundschaftsverein, Demonstrationen, Überwachung im Aufnahmeland, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Öcalan, Objektive Nachfluchtgründe, Sippenhaft
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

Auch unter Berücksichtigung neuer Erkenntnismittel droht wegen exilpolitischer Betätigung bei einer Rückkehr in die Türkei dort - wenn überhaupt - nur exponierten Personen politische Verfolgung (Bestätigung und Fortschreibung der ständigen Senatsrechtsprechung). (amtlicher Leitsatz)

Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß zurückkehrende Asylbewerber kurdischer Volkszugehörigkeit nicht routinemäßig, d.h. ohne Vorliegen von Besonderheiten, allein aufgrund eines längeren Auslandsaufenthaltes und einer Asylantragstellung bei der Wiedereinreise inhaftiert und asylerheblichen Mißhandlungen oder Folter ausgesetzt werden. Die inzwischen bekanntgewordenen und zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel geben dem Senat keine Veranlassung, seine Rechtsprechung grundsätzlich in Frage zu stellen.

Auch der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 07.09.1999 ist nicht geeignet, diese Beurteilung in Frage zu stellen. Das Auswärtige Amt schränkt dort seine Einschätzung aus dem ad-hoc-Lagebericht vom 25.02.1999, daß angesichts der zur Zeit hochemotionalisierten Atmosphäre im Zusammenhang mit der Inhaftierung Öcalans zu bedenken sei, "daß ein erhöhtes Risiko einer besonderen Gefährdung für abzuschiebende Türken kurdischer Volkszugehörigkeit " bestehe, dahingehend ein, daß dieses Risko (lediglich) für solche abzuschiebenden Personen bestehe, "die sich bisher in der Kurdenfrage engagiert" hätten. Gleichzeitig stellt es - insoweit in Übereinstimmung mit dem ad-hoc-Lagebericht fest, daß derzeit dem Auswärtigen Amt keine gesicherten Erkenntnisse darüber vorlägen, daß seit der Festnahme Öcalans aus Deutschland abgeschobene türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückkehr in die Türkei Repressionen ausgesetzt gewesen seien. Etwas anderes läßt sich auch nicht den vom Auswärtigen Amt dokumentierten vier Abschiebungsfällen entnehmen, die zeitlich nach der Festnahme Öcalans durch türkische Sicherheitskräfte liegen und in denen das Auswärtige Amt Nachforschungen angestellt hat. Abgesehen davon, daß sich das Vorliegen von im Rahmen des § 51 Abs. 1 AuslG relevanter Folter oder Mißhandlung letztlich wohl in keinem dieser Fälle hat verifizieren lassen, fehlt es insbesondere an ausreichend bestimmten Angaben zu den Hintergründen der berichteten Festnahmen bzw. Übergriffe seitens der Sicherheitskräfte, so daß sich nicht mit hinreichender Verläßlichkeit feststellen läßt, ob neben der Asylantragstellung und dem längeren Auslandsaufenthalt nicht besondere Umstände, insbesondere politische Verdachtsmomente vorlagen, die das konkrete Vorgehen der türkischen Sicherheitsbehörden erklären....

Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, sich derart für die kurdische Sache exilpolitisch exponiert zu haben, daß die türkischen Sicherheitskräfte an ihm ein ernsthaftes Verfolgungsinteresse haben könnten. Die exilpolitische Tätigkeit des Klägers ist als so untergeordnet anzusehen, daß schon nicht davon ausgegangen werden kann, daß er durch seine Aktivitäten dem türkischen Geheimdienst überhaupt namentlich bekannt geworden ist und - wenn doch - er dessen Aufmerksamkeit erlangt hat und dadurch in dessen Blickfeld geraten ist.

Was die Mitgliedschaft des Klägers in dem - von ihm so benannten - Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein XXXXXXXXX angeht, so ist nicht ersichtlich, daß es sich bei diesem um einen PKK-Verein handelt, an dem ein besonderes Interesse des türkischen Geheimdienstes bestehen könnte. Der Kläger hat im übrigen selbst eingeräumt, daß er lediglich einfaches Mitglied dieses Vereins ist. Als solchem drohen ihm bei Rückkehr jedoch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen der türkischen Sicheheitskräfte. Dasselbe gilt auch im Hinblick auf die schlichte Teilnahme des Klägers an mehreren Demonstrationen, einem Begräbnis sowie an einem Hungerstreik. Es ist weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich, daß die diesbezüglichen Aktivitäten über eine reine Mitläuferfunktion und - was den Verkauf von Speisen und Getränken auf Großdemonstrationen anbelangt - untergeordnete Hilfstätigkeiten hinausgegangen sind. Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick darauf, daß ein in einer Zeitung veröffentliches Lichtbild, unter anderem den Kläger als Teilnehmer des im Rahmen einer angemeldeten Mahnwache durchgeführten Hungerstreiks zeigt. Der Senat hält es nämlich für ausgesprochen unwahrscheinlich, daß türkische Stellen ein Interesse daran haben und deshalb den Aufwand auf sich nehmen, einen in der Presseberichterstattung namentlich nicht erwähnten einfachen Teilnehmer eines Hungerstreiks, der lediglich zusammen mit anderen Teilnehmern auf einem Zeitungsfoto zu sehen ist, zu identifizieren. Es ist deshalb nichts dafür ersichtlich, daß gerade aufgrund dieses Hungerstreiks ein Bezug zu der Person des Klägers hergestellt werden könnte. An dieser Beurteilung ändert sich auch dadurch nichts, daß der Kläger bei der Auflösung der Versammlung, bei der es zu einer Straßenschlacht mit der Polizei gekommen ist, ausweislich der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft am Nachmittag (...) neben weiteren (...) Personen festgenommen und am nächsten Tag (...) entlassen wurde. Denn das Ermittlungsverfahren, das "nur" wegen eines Vergehens nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG durchgeführt worden ist, wurde wegen geringer Schuld des Täters und fehlendem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. Der Senat kann daher nicht zugrundelegen, daß der Kläger an dieser Aktion derart beteiligt war, daß davon ausgegangen werden könnte, dies sei den türkischen Sicherheitsbehörden bekannt geworden oder - wenn doch - daß diese deshalb ein ernstes Verfolgungsinteresse an dem Kläger haben könnten. Da es zu keiner rechtskräftigen Verurteilung des Klägers gekommen ist, ist auch eine Mitteilung an die türkischen Behörden im Wege des regelmäßigen Strafnachrichtenaustausches ausgeschlossen.