OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 03.05.1999 - 9 L 3865/98 - asyl.net: R3677
https://www.asyl.net/rsdb/R3677
Leitsatz:

Im Regelfall führen regimekritische Handlungen von Vietnamesen im Ausland nicht zu

asylrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen. Das gilt auch für regimekritische Publikationen im Internet.

(amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Vietnam, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Publikationen, Internet, Situation bei Rückkehr, Strafverfolgung, Regierungsdekret, Administrativhaft, Berufungszulassungsantrag, Divergenzrüge, Darlegungserfordernis, Grundsätzliche Bedeutung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2
Auszüge:

Im Regelfall führen regimekritische Handlungen von Vietnamesen im Ausland nicht zu

asylrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen. Das gilt auch für regimekritische Publikationen im Internet.

(amtlicher Leitsatz).

Die Kläger werfen ferner die Frage auf, "wie die Wirkung von Internet-Aktivitäten auf das vietnamesische System zu beurteilen ist". Diese Frage rechtfertigt eine Zulassung der Berufung nicht, weil sie sich auf der Grundlage der Maßstäbe, die bezüglich der Gefahr einer politischen Verfolgung wegen exilpolitischer Betätigung gelten, ohne Weiteres beantworten läßt: Exilpolitische Internet-Aktivitäten wirken sich auf die politische Meinungsbildung in Vietnam in gleicher Weise aus wie von Exilorganisationen verfaßte Artikel in Zeitschriften und wie Demonstrationen im Ausland. In allen Fällen haben die Verantwortlichen bzw. Teilnehmer ferner ihre Regimegegnerschaft nach außen hin und daher für den vietnamesischen Staat erkennbar kundgetan. Die Besonderheit bei Internet-Aktivitäten besteht darin, dass die vietnamesische Regierung sich relativ einfach Zugang zu den Informationsquellen verschaffen und daher leicht tatsächlich Kenntnis von den Betätigungen erlangen kann. Bei im Ausland produzierten Zeitschriften und dort durchgeführten Demonstrationen kann die tatsächliche Kenntniserlangung im Einzelfall schwieriger sein, weil sie von weiteren Umständen (z.B. Fotos von der Demonstration oder Besitz der Zeitschrift) abhängt.

Diese Unterschiede hinsichtlich der Leichtigkeit einer Kenntniserlangung liegen auf einer anderen Ebene als die Beantwortung der Frage, wann sich Vietnam wegen Regimekritischer Äußerungen, von denen es erfahren hat, zu Verfolgungsmaßnahmen politischer Art veranlassen lässt. Insoweit verlangt die obergerichtliche Rechtsprechung - wie dargelegt - unter anderem, dass die exilpolitischen Tätigkeiten von ihrem Inhalt her so schwerwiegend sind und eine derart starke

Öffentlichkeitswirkung entfalten können, dass sich das vietnamesische Regime wahrscheinlich veranlaßt sieht, im Interesse der Beibehaltung des Sozialismus und der Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei gegen die Regimekritiker vorzugehen. Die Gefahr einer politischen Verfolgung droht also vor allem dann, wenn die vom Ausland her geübte Kritik durch das zur Verbreitung in Vietnam gewählte Medium eine breite Öffentlichkeitswirkung erzielt hat (vgl. ai vom 7.1.1997 an VG Neustadt,OVG Münster a.a.O.). Hiervon kann bei Veröffentlichungen im Internet - wie auch bei Demonstrationen im Ausland und bei Zeitschriften von Exilorganisationen - regelmäßig nicht ausgegangen werden. Denn die Publikationen im Internet erreichen nur einen sehr begrenzten, für die politische Meinungsbildung in Vietnam nicht ins Gewicht fallenden Kreis der vietnamesischen Bevölkerung, weil die weit überwiegende Mehrheit der Menschen in Vietnam nicht Zugang zu einem Internet-Anschluß hat. Den vietnamesischen Behörden ist die begrenzte Öffentlichkeitswirkung von aus dem Ausland gesteuerten regimefeindlichen Publikationen im Internet bekannt, so dass sie einen Handlungsbedarf vor allem dann nicht sehen, wenn die Verantwortlichen vor ihrer Ausreise aus Vietnam nicht regimekritisch aufgetreten sind und daher der Verdacht eines bloß asyltaktischen Vorgehens besteht. Auf den von den Klägern im Zulassungsantrag hervorgehobenen Gesichtspunkt, dass das vietnamesische Regime jederzeit auf das Internet zugreifen kann, kommt es nach alledem nicht an.

Die Kläger halten schließlich für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob es sich bei Internet-Aktivitäten um Auslandstätigkeiten handele, obwohl die Inhalte weltweit und damit auch in Vietnam verfügbar seien. Diese Frage bedarf ebenfalls nicht der Klärung in dem angestrebten Berufungsverfahren, weil sie sich ohne Weiteres beantworten lässt: Ob eine exilpolitische Betätigung im Ausland vorliegt, richtet sich nach dem Ort an dem die Handlung des Schutzsuchenden Ausländers vorgenommen worden ist, und nicht danach, wo sie erkennbar wird. Demnach liegt bei außerhalb Vietnams vorgenommenen Publikationen im Internet eine exilpolitische Betätigung vor, weil die Eingabe ins Internet im vietnamesischen Auland erfolgt ist. Unerheblich ist demgegenüber, dass auch in Vietnam auf das Internet zurückgegrriffen werden kann.