VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 24.02.1999 - 9 B 98.32315 - asyl.net: R3461
https://www.asyl.net/rsdb/R3461
Leitsatz:

1. Rückkehrern drohen jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Vietnam keine asylrelevanten Maßnahmen, z.B. unter Anwendung des vietnamesischen Strafgesetzbuches.

2. Vietnamesische Asylbewerber, die nicht vorverfolgt ausgereist sind und sich in Deutschland - ggfs. auch in erheblichem Umfang exilpolitisch betätigt haben - haben bei Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Vietnam, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Demonstrationen, Publikationen, Radiointerview, Situation bei Rückkehr, Strafverfolgung, Regierungsdekret, Administrativhaft
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht nach wie vor davon aus, daß es in der

Volksrepublik Vietnam - die einen autoritären kommunistischen Einparteienstaat darstellt - eine asylrelevante politische Verfolgung auch und gerade unter Einsatz der Mittel des Strafrechts geben kann....

Der Senat hat die Überzeugung gewonnen, daß die Volksrepublik Vietnam jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt Rückkehrern aus dem westlichen Ausland gegenüber keine asylrelevanten Maßnahmen, z.B. durch Anwendung entsprechender Vorschriften des vietnamesischen Strafgesetzbuches, mehr vorsieht. Die frühere Beurteilung, ab einer gewissen Schwelle von Aktivitäten im Ausland ließen sich solche Maßnahmen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausschließen, weil der vietnamesische Staat schon zur Gesichtswahrung und Herrschaftssicherung generalpräventiv eingreifen werde (BayVGH vom 1.6.1992 a.a.O. S. 534), wird durch tatsächliche Belege und Quellen nicht mehr gestützt. Die "Verteidigungslinie" zur Absicherung der Herrschaftsstruktur wird vielmehr dort gezogen, wo durch Handlungen innerhalb Vietnams das Herrschaftsmonopol der kommunistischen Partei beeinträchtigt oder in Frage gestellt wird.

"Politisch unzuverlässige" Rückkehrer werden deshalb überwacht und beobachtet, gegebenenfalls auch schikaniert, bis man ihre innenpolitische Gefährlichkeit einschätzen kann. Möglichkeiten dazu enthalten die Verordnungen wie etwa Dekret Nr. 31/CP. Demgegenüber werden geltende Strafvorschriften wie Art. 85 VStGB für Rückkehrer offensichtlich nicht (mehr) herangezogen. Diese Normen und entsprechende Repressionen sind allerdings weiterhin verfügbar und werden auch

eingesetzt, wenn sich ein Dissident in Vietnam aktiv regimekritisch betätigt.

Dieses Vorgehen der vietnamesischen Stellen steht nicht nur mit den oben dargelegten Erkenntnisquellen in Einklang. Es erscheint aus der Sicht des vietnamesischen Staates auch vernünftig, der schon kapazitätsmäßig weder die Aktivitäten Hundertausender im Ausland lebender Vietnamesen als "potentieller Rückkehrer" im einzelnen feststellen und überwachen noch die Auslandskontakte im Inland durch Rückkehrer, Besucher, Touristen, moderne Medien etc. in jedem Fall kontrollieren kann. Zudem ist den vietnamesischen Staatsorganen bekannt, daß die

westliche Öffentlichkeit auf die Bestrafung regimekritischer Rückkehrer mitunter empfindlich reagieren könnte. Die Aktivitäten der in Deutschland lebenden Vietnamesen werden dabei durchaus wahrgenommen und auch mißbilligt. Sie werden im Rahmen einer Schaden-Nutzen- Abwägung aber offensichtlich nicht repressiv geahndet, weil darin eine zum Eingreifen zwingende Gefährdung von Herrschaftsinteressen nicht gesehen wird.

Der Verwaltungsgerichtshof zieht aus alldem den Schluß, daß vietnamesische Asylbewerber, die aus Vietnam nicht vorverfolgt ausgereist sind und sich in Deutschland - gegebenenfalls auch in erheblichem Umfang - exilkritisch betätigt haben, im Rückkehrfalle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG zu befürchten haben.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist nicht erkennbar, daß dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Vietnam mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG droht.

Mit seinen verschiedenen exilpolitischen Tätigkeiten, die allenfalls durchschnittlichen Umfang aufweisen, hebt sich der Kläger nicht einmal von der Masse der in Deutschland lebenden und agierenden exilpolitisch aktiven vietnamesischen Staatsbürger ab. Inwiefern er mit seiner Mitarbeit an regimekritischen Zeitungen (insbesondere in den Zeitschriften "Hy Yong" und "Canh En"), mit seiner Teilnahme an exilkritischen Veranstaltungen und mit seinen sonstigen exilpolitischen Unternehmungen (...) in Vietnam eine nennenswerte Öffentlichkeitswirkung erzielt hätte, ist nicht ersichtlich. Dies gilt auch hinsichtlich der beiden Radiointerviews sowie seiner Beteiligung an einer Störaktion gegenüber vietnamesischen Musikgruppen in der Alabama-Halle. Von besonders außergewöhnlichen und weit überdurchschnittlichen exponierten regimekritischen Aktivitäten kann offensichtlich nicht die Rede sein.